Gewalt
Wie waren die bisherigen drei Monate im Lockdown? Kreativ oder depressiv?
Patrick Wagner: Kreativität und Depression sind für Gewalt natürlich eng miteinander verknüpft. Wir konnten uns sehr lange gar nicht ernsthaft aufrappeln, irgendetwas zu machen. Also keine Beats, keine Texte und keine Musik. Im Zuge der Streamingauftritte für United We Stream und dem Moers Festival haben wir uns zusammengerissen, geschrieben und erstmalig selbst produziert. Wird gerade von Olaf Opal gemischt. Wir sind gespannt.
Wie wird euch der Lockdown prägen? Gibt es Erkenntnisse oder Konsequenzen, die sich aus einem viertel Jahr Stubenhocken für euer Business ableiten lassen? Oder hofft man einfach, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder normalisiert, und es so weitergehen kann wie in den Jahren zuvor?
Als Musiker (wenn man uns so nennen will) bedeutet dieser Lockdown über ein Jahr Stillstand, da unsere Tournee abgesagt bzw. bis April 2021 verschoben wurde. Für unser Business bedeutet es einfach, dass es keines ist. Der Lockdown hat das Gewalt-Mantra bestätigt, dass der Mensch im Schnitt nicht in der Lage ist, mit sich selbst und den anderen umzugehen.
In Kürze wird es unter Auflagen wieder erste Konzerte geben. Wie siehst du diese Entwicklung und was steht bei Gewalt in naher Zukunft an?
Körperlichkeit ist ein entscheidendes Merkmal von Gewalt-Konzerten. Wir können uns Mindestabstandshows schwer vorstellen. Allerdings bereiten wir gerade ein Konzert im September mit dem Slash Filmfest in Wien vor. Das wird bestuhlt sein in einem großen Kinosaal - das erscheint mir eine gute Idee für Gewalt zu sein. Damit haben wir auch schon gute Erfahrungen gemacht.
Rechnen sich überhaupt Konzerte, wenn in nächster Zeit nur noch ein Bruchteil der Leute kommen darf?
Nein. Das würde mich sehr wundern.
Was kann man tun, um sich als Musiker*In finanziell über Wasser zu halten? Rächt es sich gerade in der Coronakrise, dass Musik als Kulturgut regelrecht entwertet wurde?
Musik ist ja auf allen Ebenen entwertet worden innerhalb der letzten 30 Jahre und hat sehr viel seiner lebensverändernden Durchschlagskraft verloren. Konzerte sind im Schnitt einfach Events, die man wegkonsumiert wie einen Film oder ein Videospiel. Dass man jetzt ausgerechnet keine Bands unterstützt, ist wenig verwunderlich, aber wir haben auch nicht ernsthaft damit gerechnet. Wir wollen dieses Jahr noch drei neue Singles veröffentlichen, eine Filmmusik schreiben, hoffen dass unsere Feature mit Modeselektor veröffentlicht wird. Ansonsten sind wir einfach auf Survival-Modus - wie auch vor der Coronakrise.
Wie ist die Situation konkret für euch: Fühlt man sich angesichts gewaltiger Kurzarbeitergeld-Volumina etc. vom Staat im Stich gelassen? Man hat ja das Gefühl, dass Freiberuflern bzw. der Kulturbranche erst zuletzt geholfen wird - oder kommt man auch in den Genuss eines finanziellen Schutzschirms und/oder anderer Hilfen?
Wir sind keine neidischen Menschen. Wir freuen uns über alle, denen es gut geht. Dass Kapitalismus ein menschen - und kunstfeindliches Prinzip ist, ist offensichtlich. Für Leute mit genügend Kreativität wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen natürlich begrüßenswert, für alle anderen auch. Es ist uns ein Graus, Anträge zu stellen, Bedürftigkeit nachzuweisen, Bücher zu führen. Das kommt uns sehr rückwärtsgewandt vor.
Helen Henfling, Jasmin Rilke und der frühere Surrogat-Sänger Patrick Wagner sind Gewalt. Die Band veröffentlicht seit vier Jahren ausschließlich Singles. 2018 spielte Gewalt im Vorprogramm von Jack White.
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