Fotos und Review: drei Tage Psychedelic und Desert Rock an der Berliner Spree.
Berlin (mab) - Kommet, ihr Stoner, ihr Männer und Frau'n. Kommet, liebliche Musik zu hör'n – heuer sogar mit besserem Sound! Die Organisatoren des Berliner Desertfest haben aus den Turbulenzen nach dem Location-Wechsel vergangenes Jahr gelernt und die Ausgabe 2019 in allen Belangen verbessert.
Dazu präsentieren sie heuer ein gelungen diverses Line-Up. Fu Manchu halten die Fahne für alle Bewegungsfreudigen unter den trägen Weedians hoch. Om versprechen meditative Psycho-Esoterik. Zu All Them Witches' Livequalitäten zitiert man am besten schon vorab eine Stimme aus dem Publikum: "Es war eine Messe!".
Kikagaku Moyo bringen Psychedelic aus dem fernen Osten, Earthless und Colour Haze beglücken Jam-Enthusiasten verschiedener Coleur und J Mascis beglückt gleich zweimal mit Witch.
Desert Rock an der Spree
Zuerst fällt auf, dass der gesamte Innenraum neu gestaltet wurde. Statt wie im Vorjahr zwei Bühnen zusammen mit Indoor-Biergarten, Merch- und sonstigen Einkaufsmöglichkeiten, Toilettenschlangen und Chip-Tauschstationen in einem zu großen und halligen Raum unterzubringen, steht die Main Stage in einem zusätzlichen, sepraten Bereich. Davon profitiert der Sound enorm, und auch das Ambiente der Vorhalle wirkt aufgrund besserer Raumaufteilung einladender.
Draußen locken nach wie vor verschiedene Foodstände, die Spree und neuerdings auch eine begehbare Bootsbar. In deren Innern spielen nachts die Afterhour-DJ-Sets, auf dem Dach befindet sich eine Open Air-Bühne. Dort hockt Freitagnachmittag unter anderem Scott "Wino" Weinrich und schrammelt auf seiner Akustik-Gitarre, als wolle er demnächst unter die Berliner U-Bahn-Musiker gehen. Nett, aber verzichtbar.
Ganz anders die ersten größeren Namen auf der Main Stage: Monkey3 spacen sich und das Publikum mit den Ausnahmesongs ihrer neuen Platte in eine andere Dimension. Earthless nehmen die Steilvorlage auf und manövrieren uns mit stellaren Jam-Fähigkeiten ebenfalls in ein eigenes Universum. Wie bei (fast) jeder Show der Amerikaner fällt es schwer, sich zu entscheiden, was mehr begeistert: Isaiah Mitchells nie langweilende Gitarren-Dauersoli, Mario Rubacalbas virtuoses Schlagzeugspiel oder Mike Egintons stoisch tighter, an Sleep erinnernder Bass.
Verspätete Walpurgisnacht
J Mascis' Witch waren bereits Secret Headliner beim Warmup-Gig in einem nahe gelegenen Club. Heute nimmt Mascis zur Primetime hinter der Schießbude Platz, um seinen Blaupausen-Stoner zu zocken. Kann man hören, muss man nicht. Immerhin entschädigt der Dinosaur Jr.-Kopf mit seiner Überpräsenz in der Hauptstadt für seinen aus diskutablem Grund verschobenen Sologig im Juli: Da versetzt der Mann seine Fans zugunsten von Neil Young. Rod Stewart, der heute ein paar Meter entfernt die Mercedes-Benz-Arena bespaßt, interessiert Mascis anscheinend weniger.
Unangefochtene Headliner sind am Freitag trotzdem All Them Witches. Vor so großem Publikum sieht man die kürzlich zum Trio geschrumpften Amerikaner leider viel zu selten. Sänger/Bassist/New-Generation-Lemmy Charles Michael Parks, Jr. freut sich: "Wow, da sind aber viele von euch! Ich hoffe ihr findet neue Freunde beim Desertfest".
Den Ausstieg ihres Keyboarders verkraftet die Band überraschend gut, auch wenn man hie und da die kreativen Einsprengsel Allan Van Cleave bzw. zuletzt kurzzeitig Jonathan Drapers vermisst. Doch All Them Witches' mal brachiales, oft filigranes Zusammenspiel kommt auch so hervorragend zur Geltung und gipfelt im Closer "Blood And Sand / Milk And Endless Waters". Der Übersong vom neuen Album "ATW" – "Diamonds" – überzeugt auch live. Wie gesagt: "Es war eine Messe. Im positiven Sinne – ohne Kirche".
Sabbath-Huldigung meets Spree-Panorama
Der Samstag präsentiert sich auf den ersten Blick mit schwächerem Line-up, sorgt aber für ein paar Überraschungen. Nachmittags wechseln sich Regen und Sonnenschein ab: Zig Zags haben Glück und verheiraten auf der Bootsbühne ihren energetischen Sabbath-Stoner-Punk mit blauem Himmel und Spree-Panorama. Da kommt man trotz Kälte gerne nach draußen und nutzt den durch das Verlegen einiger Foodstände ins Innere frei gewordenen Platz.
Mehr über den Aufbau des Desertfests erfahrt ihr übrigens hier in einem Interview mit Crew-Mitglied Kat Ott:
Zu blauem Himmel und Sonne hätte auch die Chor-Psychedelik der Schweden Hällas gepasst. Den Slot auf der Hauptbühne hat die eigenbrötlerische Kombo, die klingt als hätten sie den Soundtrack zu einem 60s-Fantasy-Film geschrieben, in dem Ritter statt zu kämpfen auf Abenteuerreise und Pilz-Exkursion gehen.
Besuch aus Asien
Die spannendsten Beiträge kommen heute aus Ländern, die man nicht zuerst mit Stoner-Culture verbindet: Lucidvox aus Moskau tragen ihre fuzzigen Heavy-Tunes auf Russisch vor und mischen sowohl Punk- als auch leichte Folk-Einflüsse bei.
Abends gehts dann noch weiter gen Osten: Die Japaner Kikagaku Moyo bringen Sitar und den vielleicht besten Auftritt des Festivals mit. Jedenfalls sind sich darüber alle einig, mit denen wir sprechen. "Alles. Die waren alles", meint eine begeisterte Stimme. Psychedelische Rockmusik in a nutshell – dreamy, verspielt, zart, funky, heavy, grenzenlos kreativ und bunte Hosen.
Zumindest dem Namen nach bleibt es asiatisch: Fu Manchu beschließen als Headliner den zweiten Abend. Im direkten Vergleich zu ihren Vorgängern klingen die Veteranen zwar geradezu unspektakulär. Dafür befeuern sie zu später Stunde noch einmal die Bewegungsfreude des Publikums. Zum ersten Mal segeln Crowdsurfer gen Wellenbrecher. Ein solider Gig reicht Scott Hill locker, das Festivalpublikum mitzureißen. "Godzilla" jagt zum Schluss in die gute Nacht. Geil.
Sumpfmonster und vier Schwestern aus Australien
Am Sonntag spielen alle Bands vor merklich lichteren Reihen als an den beiden Vortagen. Offenbar nahmen recht viele Fans die Möglichkeit in Anspruch, Tagestickets für Freitag und Samstag zu kaufen. Viele ruft wohl jetzt die Arbeit am nächsten Morgen – da bleibt man nicht allzu gerne bis nach ein Uhr nachts wach, um sich Om anzugucken und hernach auf den zurzeit öffentlichen Nahverkehr zu pokern.
Trotzdem schön zu sehen: Das Desertfest bemüht sich, mehr Frauen ins Line-up zu integrieren. Dank Stonefield und Blackwater Holylight liegt der Nachmittag fest in weiblicher Hand. Erstere stammen aus dem Umfeld King Gizzard & The Lizard Wizards und mausern sich zum heimlichen Tagessieger. Live kommt der Retrorock der vier Schwestern aus Australien wesentlich härter rüber als auf Platte und klingt mit seiner fuzzigen Schwere, vielen Melodien, 60s-Leichtigkeit und etwas Fantasie wie eine Mischung aus Mammoth Weed Wizard Bastard und neuen Opeth.
Wie unterschiedlich Performances ausfallen können, zeigen Black Tusk und The Skull. Während erstere keine Sekunde stillstehen und ihren Swamp Metal mit Grimassen, aggressivem Gepose und viel Bewegung interpretieren, stehen letztere auf der Bühne. Bei Black Tusk geht leider zum ersten Mal der Sound wirklich in die Knie. So sumpfig sollte es dann doch nicht sein. So bietet sich wenigstens noch eine Gelegenheit, endlich die Kiss-Pinball-Maschine in der neuen Game-Ecke auszuprobieren oder zu kickern. Auch die kleine, aber feine Einkaufsmeile lohnt wie jedes Jahr einen Blick. Hier gibts rare Schallplatten, Kunstdrucke und Handwerksprodukte für die düsterpsychedelische Garderobe.
Lichte Reihen bei Om
Obwohl einige nur wegen Om-Tickets fürs Festival gekauft haben, füllen sich die Reihen auch abends nur schleppend. Am besten erwischen es noch Long Distance Calling, die ihren Instrumentalrock zur Primetime aufführen und mit einer tighten Performance überzeugen.
Enttäuschend geraten im Anschluss Wovenhand. David Eugene Edwards und seine beiden Kollegen spielen mehr gegen- als miteinander. Drummer Ordy Garrison bricht sichtlich genervt von seinen beiden Mitstreitern nach knapp zehn Minuten ab. Die nächste Stunde gerät statt zum Hypnose-Fest zur Geduldsprobe. Schade.
Als Om um halb zwölf endlich den Bass anschmeißen, fallen den Leuten bereits scharenweise die Augen zu. Nicht wenige machen es sich auf dem Boden bequem. Nach etwa einer halben Stunde Spielzeit lichten sich die Reihen merklich. Die einen treten bereits müde dem Heimweg an, andere müssen noch schnell ihre Zahl-Tokens loswerden – denn Geld zurück gibts nur bis 1 Uhr.
Nachtmeditation zum Abschied
Al Cisneros vertraut wie schon bei seinem Auftritt mit Sleep vor zwei Jahren auf eine Mono-Lightshow, nicht viel Bewegung, mehrere Amps und die Kraft seiner Riffs. Der Auftritt mag nicht sonderlich spektakulär sein, gegen den brachialen Sound seiner fließenden Basslinien verpuffen etwa 90 Prozent des sonstigen Lineups aber geradezu. Emil Amos am Schlagzeug beeindruckt kaum weniger. Er improvisiert viel, prägt die Songs mit seinen ungewöhnlichen Patterns und Fills. Om liefern den Soundtrack zum Stehend-Meditieren und bringen das Festival zu einem würdigen Abschluss. Nur schade, dass es kaum jemand gesehen hat.
Das Desertfest hat aus den Fehlern des Vorjahres definitiv gelernt, hat die Beschwerden der Fans ernst genommen und reagiert. In dieser Form könnte sich die anfangs umstrittene Location Arena Berlin doch noch etablieren. Wir freuen uns drauf.
Fotos: Andreas Koesler / Text: Manuel Berger
1 Kommentar
The Shrine? Greenleaf? Hier über den Besucherschwund bei OM ablästern, aber anscheinend The Shrine, Greenleaf, den völlig indiskutablen aber dennoch großartigen Soloauftritt von Nick Olivieri sowie Mondo Generator verpasst, oder was?