Die Doku von Cordula Kablitz-Post begleitet H.P. Baxxter durch die Corona-Jahre: ein entwaffnend humorvoller Blick hinter die Kulissen.
Hamburg/Berlin (rnk) - Twenty Four, Urban Cookie Collective oder Ice MC. Klingelt es bei dem ein oder anderen unter 40-Jährigen noch? Und würdest du für die Künstler an einem Montagabend ins Kino gehen? Natürlich nicht. Die Karten für die Berlin-Premiere von "FCK 2020 - Zweieinhalb Jahre mit Scooter" waren dagegen schnell ausverkauft.
Die junge Kellnerin in der Café Bar am Berliner Bahnhof Zoo kann es gar nicht glauben, was in der Nähe ihres Arbeitsplatzes passiert: "Der Scooter! Ooooh, den hab ick so als Kind jeliebt!" Das Partyvolk vor dem Kino trotzt derweil der eisigen Kälte und singt mit großer Inbrunst "Döp-Döp-Döp-Dö-Dö-Dö-Döp" aus "Maria I Like It Loud". Und auch zufällig vorbeikommende Passanten bleiben ungläubig stehen und zücken umgehend das Smartphone, als sie den wasserstoffblonden Hünen auf dem Red Carpet erblicken.
Angenehmer und wärmer ist es natürlich drinnen, im großen Saal des Zoo Palasts. Die Stimmung ist ausgelassen, immer wieder hört man ein euphorisches "Wiiiickääääd". Regisseurin Cordula Kalbitz-Post und H.P. Baxxter loben noch einmal ausdrücklich die Atmosphäre im Saal. Für die Regisseurin, die seit Anfang der Neunziger in Berlin wohnt, ein Traum, der endlich wahr wird. Geplant war "FCK 2020" ursprünglich als normale Behind The Scenes-Doku in der Tradition von "Weil du nur einmal lebst" (Toten Hosen), doch plötzlich entwickelte sich daraus ein Zeitdokument dieser absolut beängstigenden und merkwürdigen Krisenjahre. Ein Glück, den massiven Scooter-Sound in Dolby ATMOS ® Soundsystem mit über 150.000 Watt Maximalleistung, verteilt auf 44 Kanäle und 93 Lautsprecherboxen, erleben zu dürfen.
Der Schrei in die Stille
Der Film beginnt dagegen mit einem Schrei in die Stille. Das "I Want You To Stream"-Konzert steht an diesem Tag im März 2020 an, ein nervöser H.P. Baxxter rückversichert sich bei den Technikern, ob alles richtig eingestellt ist. Die Anspannung deutlich im Gesicht erkennbar, obwohl niemand im Studio sitzt. Es gibt keine Reaktion von einer tobenden Posse, dafür begeisterte Reaktionen im Chat zum Livestream. Im hartem Kontrast zu diesem kurzen Moment der Euphorie sieht man im nächsten Cut leergefegte Hamburger Straßen. Wo mittlerweile wieder Normalität einkehrt, wirken diese Bilder wie ein Albtraum. Es ist noch gar nicht so lange her, dass keine Züge mehr fuhren und die eigenen vier Wände die einzig sichere Umgebung waren, sozialer Kontakt war kaum mehr möglich.
H.P. und sein umtriebiger Manager sitzen derweil in Baxxters Hamburger Villa, die wahrscheinlich ein paar Wände mehr besitzt. Lagebesprechung, man wähnt sich zu diesem Zeitpunkt in der übelsten Lage. Hans-Peter, der wie ein Landlord zur Teatime in sein Anwesen lädt, spricht aus, was wohl Millionen oder Milliarden auf dem Planeten 2020 dachten: "Das Schlimmste ist, ich wache morgens auf, bin noch guter Dinge und nach fünf Sekunden denke ich: Oh Gott. Scheiße. Ist ja jetzt Corona-Krise, und dann brech' ich erst mal zusammen und man verfällt in so eine Lethargie." Um der entgegenzuwirken, werden Bilder umgehängt und Teppiche aus Aserbeidschan ausgelegt.
Doch irgendwas behagt ihm nicht, H.P. ist ziemlich sicher, dass Flora und Fauna in den Teppichmotiven nicht original aus dem Land stammen können: "Die haben überhaupt keine Pfauen dort!" Ebenfalls bemerkenswert: Ein großes Foto im Flur, auf dem zwei nackte Schönheiten lasziv ihre Körper auf der Couch räkeln, während H.P. in der Mitte aufrecht und mit Pelzmantel den Pimp gibt. "Das ist Fotokunst", befindet er fachmännisch, seine (damalige) Freundin schweigt lieber. Auch auf dem Cover von "God Save The Rave", stark angelehnt an das Abendmahl von Leonardo Da Vinci, sieht man ihn im Mittelpunkt des Geschehens, was die mittlerweile verflossenen, in die Lakaien-Rolle gedrängten Mitstreiter monieren. "Naja, das soll ja auch authentisch rüberkommen." Rückblickend und mit dem Wissen um die jüngsten Ausstiege, mal in Freundschaft und dann nicht, vielleicht nicht mehr ganz so komisch, aber trotzdem lacht der Kino-Saal laut.
Westbam lästert
Auch Ferris, Baxxters Cousin und Ur-Mitglied, wollte damals neben dem Frontmann mitglänzen, aber merkte, dass der Fokus nun einmal auf dem charismatischen Shouter liegt. Heute kein Problem mehr für ihn - damals der Grund für Depressionen. Auch, wenn im Titel des Films "Zweieinhalb Jahre durch die Krise" zu lesen ist, gibt es genügend Beweismaterial aus der Zeit vor Scooter zu sehen. Sagenhafte Haircrimes von Baxxter, angelehnt an Martin Gore von Depeche Mode. Gerade der Synthie-Pop tat es dem Abiturienten aus Leer in Niedersachsen an und prägte die Combo Celebrate The Nun, die in Scooter mündete. Immerhin acht Jahre lang versucht H.P., den Durchbruch zu schaffen, erledigt die verhasstne Bürojobs, die ihn allerdings zum Label Edel führen. Hier beginnt auch die bekannte Scooter-Story mit der Erfolgssingle "Hyper, Hyper", die 500.000 Mal über die Ladentheke geht. Damals eine sagenhafte Zahl.
Viel Liebe gibt außerhalb der Käuferschar gibt es aber erst einmal nicht. Westbam lästert über die Kollegen, die Kritik hört Kirmestechno. So viel Gegenwind führt entweder zum Aus oder lässt einen eben noch stärker werden. Heute zahlt sich dieser Trotz aus: Sogar die Feuilletons stehen Scooter wohlwollend gegenüber. Der Anbetungswürdige wundert sich derweil, was da alles in seine Texte hineininterpretiert wird. Egal, nur der wahre Messias leugnet, der Messias zu sein. Wie er einfach auf Zuruf Wörter samplet und diese in den Techno-Beat einflicht, verdient unironisch Bewunderung. Oder, wie H.P. sagt: "Erst eimmal egal, ob gut oder schlecht. Hauptsache es ist eine Idee!" Entwaffnend authentisch.
Der kleine Diktator
Miese Kritiken, falls sie doch auftauchen, stören H.P. kaum noch. Eher verwundert ihn sein im Streit gegangener Keyboarder, der sich dem Zwang zur Bar widersetzt. Aber naja, "das ist eben die Jugend von heute". An der Stelle johlt wieder der komplette Saal. Auch die "Scooter-Gesetze" werden begeistert beklatscht: Eben keine zu haben und die Partyzone als autonome Spaß-Zone zu begreifen.
Keinen Spaß gibt es bei falsch gemischtem Tee oder wenn für die nach Augenmaß eingeschenkte Vodka-Redbull-Mixtur kein Eis zur Verfügung steht. Dinge, die man beim Rapport schnell den Neulingen beibringt, und noch ein "Es gab Vorgänger" als kleine Warnung ins Notizbuch schreibt. Doch selbst gestandene Bandmitglieder kriegen Ärger, wenn sie sich ohne Abmeldung von der Truppe entfernen. H.P.s Mama: "Du warst schon immer so ein kleiner Diktator." Aus dem früheren Ärger über den rebellischen Jungen aus Leer, der nicht den sicheren Weg des Sachbearbeiters gegangen ist, ist aber längst Stolz geworden.
Never Stop The Show
... und den stoppt eh nichts mehr. Egal, ob man sich dabei die Rippen beim Pogo bricht oder nicht. Während England damals wieder öffnet und Estland immerhin temporär Festivals anbietet, bleibt die Situation in Deutschland mit seinen nicht immer überschaubaren, nicht einmal bundesweit einheitlichen Verordnungen frustrierend. Nicht nur die Einnahmen der Band sind in Gefahr, Crews, Stage Hands und Technikern:innen müssen ums ökonomische Überleben kämpfen. Da nimmt man auch Flüge in Kauf, bei denen Turbulenzen ordentlich durchschütteln, und die Flugangst fast noch mehr nervt als das Zimmer, das "zu dunkel" und mindestens "bei minus 10 Grad" liegt.
Viel zu lachen gibt es für Fans, weil H.P. in unbekümmerter Beckenbauer-Marnier großartige Sätze loslässt. In gefühlt 120 BPM liefert er trockenhumorige Ansagen in norddeutscher Ruhe, über die sich der komplette Saal amüsiert. "FCK 2020" wurde gar vom Spiegel zum Song des Jahres gekürt. Der gleichnamige Film zeigt vor allem, wie viel Kraft Menschen in einer Krise aufbringen können. Wir sind hier, wir sind die Überlebenden und wir haben wieder Spaß. Gott schütze Scooter.
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