laut.de-Kritik
Wenn der Allmächtige sonst schon nix auf die Kette bekommt ...
Review von Dani FrommStudioalbum Nummer zwanzig, da kann man leicht unvermittelt in Latein verfallen. "Futurum Est Nostrum", lassen Scooter die ravende Welt und den ganzen traurigen Rest wissen. "Die Zukunft ist unser." Wer würde das bestreiten wollen? Die Vergangenheit haben Baxxter und Sidekicks ja längst im Sack.
Wer wieder, wieder und dann noch siebzehn Mal bewiesen hat, dass das Rezept funktioniert, wäre ein Volldepp, es beim zwanzigsten Durchlauf groß zu variieren. Deswegen bietet "God Save The Rave" genau, was Fans (wie Hater) denken, dass es bietet: Vierviertel-Monster-Bumm-Bumm-Bumm-Bumm aus der dicken "Bassdrum", Synthiegeflackere, eingängig melodische oder sattsam bekannte, auf Linie gepitchte Samples für die Ohrwurmigkeit, und mitten im Kirmestechno-Gewitter steht Zeremonienmeister H. P. Baxxter mit Megaphon im Anschlag, um in seinem unvergleichlichen Teutonen-Englisch Zeilen für die Ewigkeit in den Äther zu plärren.
Nee, über die Musik von Scooter lässt sich im Jahr eins nach dem (möglicherweise voreilig) zum "worst year ever" deklarierten 2020 wirklich nichts Neues mehr erzählen. Es ändert sich ja nichts, noch nicht einmal in der Zusammenstellung der Alben. Auch diesmal darf der Frontmann wieder zwei Tracks lang die schwer strapazierten Stimmbänder schonen. Allerdings haben wir gerade nicht die Zeit für nostalgische Synthiepop-Spaziergänge, wie es sie früher an diesen Stellen gab. Die Techno-Instrumentals "Анастасия", knapp sieben Minuten lang, und "These Days" knüppeln eisern durch.
Eine Atempause gibts, wenn überhaupt, erst ganz zum Schluss, wenn Baxxter den Schunkel-Country-Klassiker "Wand'rin Star" croont, während der Wind über die Synthieprärie fegt. Himmel, hilf, es ist höllisch absurd.
"Yeah, come with me to the other side. Leave reality behind." Wer könnte dazu aktuell nein sagen? Schon lange ist mir keine Platte untergekommen, die sich zugleich so fest an ein bereits lange bestehendes Konzept klammert, und dabei so perfekt maßgeschneidert für die herrschenden Zeiten wirkt. "God Save The Rave" ist wirklich haargenau das Album, das dieses beschissene (wie auch das höchstens unwesentlich beschissenere letzte) Jahr verdient hat. Es birgt einfach genau, was gerade vonnöten ist.
Hirnloses Geballere? Check. Unmissverständliche Anweisungen? "Enjoy the sounds!" "Louder!" "Come on!" "Fuck 2020!" Okay, check. Scooter geben aber auch Versprechen, an denen man sich hochziehen und an die man sich klammern kann, wenn der Frust angesichts der Umstände die Überhand zu gewinnen droht. "When things go wrong" - was sie ja tun - "in rave we trust." Es scheint mir nicht die untauglichste Religion zu sein. "We gonna rave 'til the end of time", schwört Baxxter. "First we save the rave, then we save the world." Ja, bitte! "Remember, we make the ground shake."
Mir doch egal, dass er sich diesmal zweckreimtauglich als "I am the captain, my name is Dave" vorstellt: Baxxter hat seinen Laden und Scooter die Massen im Griff - und sie zeigen ein narrensicheres Händchen dafür, was diese Massen jetzt brauchen: endlich wieder einen amtlichen Vollabriss. Es funktioniert auch diesmal prächtig. I luv it.
Einschub fürs Protokoll: Ich schreib' gerne explizit dazu, dass das alles hier nichts mit "ironischem Abfeiern", "guilty pleasures" oder ähnlichen feigen Konstrukten zu tun hat, hinter denen manche zu verstecken versuchen, was ihnen peinlich ist. Mir ist tatsächlich kein Stück peinlich, mich von "God Save The Rave" ganz exzellent unterhalten zu fühlen. Warum auch? Es ist mein heiliger Ernst: Ich liebe es. No guilt. Just pleasure. Einschub: Ende.
Scooter besinnen sich - wie immer - auf ihre Kerntugenden: Sie stellen die wirklich wichtigen Fragen: "Which Light Switch Is Which?" Egal welcher, sie drücken den richtigen und nutzen dafür, was nicht bei vier auf den Bäumen ist: sakrale Gesänge und Engelschöre ("Futurum Est Nostrum"), opulente Klavier- und Streichersounds ("Never Stop The Show"), einlullenden Frauengesang ("Hang The DJ" - leider ohne die erwartbare The Smiths-Referenz) und - für "Devil's Symphony" - fuckin' Schwanensee. Klar ist das alles so plakativ, wie es nur geht. Wer hat aber ernsthaft etwas anderes erwartet?
"The source is the power of the force", wie spätestens nach "Paul Is Dead" jede*r weiß, deswegen: Zurück auf Los. Die ekstatische Menge gleich mit einzubauen, das hat bei Scooter Tradition seit Tag eins. Sie erschien aber kaum jemals angebrachter, willkommener, passender als im zweiten Liveshow-abstinenten Pandemie-Jahr. Wenn heute ein Stadion voller Menschen "We! Love! Hardcore!" brüllt, zerreißt es einen schier zwischen nostalgischem "Ach ja, das hatten wir mal, damals ... und "Ja!! Das wollen wir bitte schleunigst zurück!"
Wenn der Allmächtige sonst schon nix auf die Kette bekommt, gerade, so erhöre er doch bitte wenigstens diesen Stoßseufzer: "God Save The Rave". Amen.
7 Kommentare mit 20 Antworten
Mochte Scooter immer ehrlich gerne, aber seit der Posse um Hütter, dem darauf folgenden 0:4 in Mönchengladbach und dem damit verbundenen viermaligen Döp Döp Döp kann ich die leider nicht mehr neutral hören.
Ich bin ja immer noch sicher, dass der HSV damals abgestiegen ist, weil die Spieler das Lied nicht ertragen und deshalb absichtlich daneben geschossen haben...
Ich hab die Platte noch nicht gehört aber die Rezension klingt für mich: Ist alles beim Alten, seit 20 Jahren. Feier ich! Wie kann das zu einer 4 Sterne Bewertung führen, wenn man anderen Künstlern vorwirft (bspw. neulich Schiller) sich kaum zu verändern und deswegen mit 2 Sternen abkanzelt? Wo ist da die Integrität?
Unterschiedliche Autor:innen? (Wobei ich nicht glaube, dass Dani das Schiller-Album besser gefunden hätte.)
Auch an Dani geht die Isolation nicht spurlos vorbei...
Ja mag sein, dass das Schiller Album ein anderer gehört hat und rezensiert hat aber trotzdem, denke ich, sollten gewisse Rezensionsstandards angewendet werden. Also wenn der Kern lautet: Ist seit 20 jahren das Gleiche, dann muss das dazu führen, dass man annährend eine gleiche Bewertung gibt, wenn die fehlende Weiterentwicklung die Kernkritik ist. In meinem Beispiel hieße das, dass die Musik auf dem Album von Schiller genauso schlecht oder gut ist (je nach Blickwinkel) wie Scooter und umgekehrt.
Seit wann kann Scooter nicht mit 0 Punkten bewertet werden?
seit MIR.
Nein, so was bereitet keinen Spass. Das macht nur mich nur krass aggressiv!
"Einschub fürs Protokoll: Ich schreib' gerne explizit dazu, dass das alles hier nichts mit "ironischem Abfeiern", "guilty pleasures" oder ähnlichen feigen Konstrukten zu tun hat, hinter denen manche zu verstecken versuchen, was ihnen peinlich ist. Mir ist tatsächlich kein Stück peinlich, mich von "God Save The Rave" ganz exzellent unterhalten zu fühlen. Warum auch? Es ist mein heiliger Ernst: Ich liebe es. No guilt. Just pleasure. Einschub: Ende."
*Gääähn*. Dass Scooter eigentlich und ganz unironisch doch ganz cool sind, ist auch schon letztes Jahrzehnt. Wir sind doch längst schon wieder bei "Scooter ist eigentlich doch beschissen, nur HP Baxxter ist voll in Ordnung, weil er niemandem Probleme bereitet und sympathisch spricht" angekommen. Da entschuldigen auch keine Frühlingsgefühle bzw. hormonellen Einschübe (möglicherweise kann man sich zu dieser Musik dann doch ganz effizient paaren) diesen Offenbarungseid.
"möglicherweise kann man sich zu dieser Musik dann doch ganz effizient paaren"
Einziges Unplugged, auf das ich wirklich gespannt wäre. Ansonsten natürlich schlimm, so viele Lagen Ironie und Hintersinn kann man gar nicht stapeln, dass das erträglich werden soll.