Einmaliges Live-Experiment: Nick Caves Unplugged-Liederabend mit Radiohead-Bassist Colin Greenwood.

Baden-Baden (mis) - Auf der Bühne des Kurhausgartens spielt eine Jazzband "Don't Cry For Me Argentina", während Menschen mittleren und gehobenen Alters unter zahlreichen Pavillons stehend ihr Getränk genießen und anschließend artig Applaus spenden. Livemusik, die zu Geselligkeit einlädt, ohne zu stören oder gar im Gedächtnis haften zu bleiben. Willkommen in Baden-Baden, der Stadt mit dem Claim "The Good-Good Life", unübersehbar auf dem gesamten Gelände platziert.

Nur wenige Meter entfernt lädt am Abend ein Künstler zur Gegenveranstaltung. Nick Cave ist kein plakativer Prediger des guten Lebens, vielmehr ein weltbekannter Düster-Papst, der seine Band vor über vier Jahrzehnten The Bad Seeds taufte. Dass sich neben der renommierten Hamburger Elbphilharmonie ausgerechnet Baden-Baden über einen Besuch des Australiers freuen darf, dürfte seinen guten Erinnerungen an einen früheren Spoken-Word-Auftritt in der Casinostadt geschuldet sein.

Caves Publikum ist gleichwohl mit ihm gealtert und durchdringt mittlerweile alle gesellschaftlichen Schichten. Im Festspielhaus mischt sich Opernhaus-High-Society mit Rockkonzert-Publikum, hier und da tragen Unerschrockene auch Bandshirts der Bad Seeds, Mantar oder Element Of Crime spazieren. Man muss die wilden Blues-Punk-Eskapaden seiner 80er-Jahre-Platten aber nicht mögen, um diesen Nick-Cave-Liederabend genießen zu können.

Sein Soloprogramm mit Bassist Colin Greenwood ist ebenso weit entfernt von aktuellen Bad-Seeds-Konzerten, auf denen der 68-Jährige seinen Rock'n'Roll-Wurzeln mit beeindruckender Intensität nachspürt. Im Festspielhaus entblättert er seine Songs bis auf das Gerüst und kreiert in der Konstellation Klavier/Bass neue Spannungsbögen. Eine Unplugged-Variante, die sein Werk in ein neues Licht setzt, wie es auch seinem Idol Johnny Cash in späten Jahren ein neues Publikum bescherte.

Die Reduktion der Besetzung verschiebt unweigerlich den Schwerpunkt auf Caves beeindruckende Stimme. Mit "Girl In Amber" steigt er gleich auf hohem Trauerflor-Niveau ein. Das folgende Stück "Higgs Boson Blues" nehme selbst für ihn oft schwer erklärbare, ungestüme Züge an, warnt Cave im Anschluss, daher nehme er es niemandem übel, wer nun "für zehn Minuten auf ein Getränk oder eine Zigarette" im Flur ausharren mag. Sein Vortrag erinnert generell nur schemenhaft an die Studioversionen, Caves Bühnenkunst lebt längst von der freien Improvisation. "The Ship Song" und das finale "Into Your Arms" sind die einzigen Songs, die er weitgehend originalgetreu wiedergibt.

Hierin liegt die Spannung an den Konzerten dieser Zweierbesetzung: Wohl kaum jemand erahnte im Vorfeld, wie pointiert Greenwoods Bass die vom Isolationsalbum "Idiot Prayer" bekannten Pianoetüden bereichern würde. "Leider haben sie beschlossen, wieder Konzerte zu spielen, weshalb ich ihn gehen lassen muss, zumindest für ein paar Wochen", nimmt Cave scherzend Bezug auf die letzte Woche verkündete Europa-Tournee von Radiohead. Cave ist bester Laune, während sein schüchtern wirkender Kompagnon ihm häufig selbst applaudiert, fast als müsse er das fremde Gefühl auskosten, mit einem blendend gelaunten Chef auf der Bühne zu stehen.

Einen "mid-period Nick Cave song" nennt Cave dann "Jesus Of The Moon" von "Dig, Lazarus, Dig!!!" aus dem Jahr 2008, bevor mit "O Children" und "Cinnamon Horses" zwei frühe Höhepunkte folgen. In der Mitte des Sets bricht Cave mit seinem zur Routine gewordenen Balcony-Spiel die letzten Barrieren zum Publikum. Den Zuschauern auf der Empore kredenzt er einen Mitmachsong, in dem jede Erwähnung des Wortes "balcony" mit Jubelstürmen quittiert wird, das Parkett degradiert er zum Fußvolk: "It's not for you on on the floor, you just shut the fuck up." Beleidigt ist jedoch niemand, stattdessen wird die strenge Sitzordnung aufgehoben und das Volk strömt an die Bühne, wo Cave später auch Bücher und Platten signieren wird. Im Oberrang wird man derweil Zeuge von hektischen wie vergeblichen Versuchen des erbosten Konzerthaus-Personals, das angezeigte Fotoverbot durchzusetzen.

Mit "Push The Sky Away" endet der offizielle Teil, eine ergreifende Version, in der Cave das Publikum zum Singen der Refrainzeile "You've got to just keep on pushing / Keep on pushing / Push the sky away" animiert. Die Coverversionen "Cosmic Dancer" (T.Rex) und "Avalanche" (Leonard Cohen) dienen ihm derweil als Grundlage, die Liebe zu diesen Songwritern mit seinem Publikum zu teilen. Es zeichnet den Musikliebhaber Cave aus, dass er in ebenso feuriger Bewunderung die Coverversion "Shivers" ankündigt, die jedoch kein weltberühmter Musiker geschrieben hat, sondern Caves mittlerweile verstorbener Freund Rowland Howard im Alter von 16 Jahren für die Birthday-Party-Vorgängerband Boys Next Door.

Zu den wenigen Setlist-Änderungen der Tour zählt am zweiten Abend in Baden-Baden auch das wundervolle "(Are You) The One That I've Been Waiting For?" von "The Boatman's Call", bevor das bereits jetzt als Klassiker geltende "Into Your Arms" die Zuschauer ein weiteres Mal zur Chorbegleitung animiert. Mit den zwei noch ausstehenden Solokonzerten in Luxembourg endet dieses überragend gelungene Live-Experiment, für nächstes Jahr stehen bereits wieder Termine mit den Bad Seeds auf dem Programm.

Setlist 5.9.25:

  1. Girl In Amber
  2. Higgs Boson Blues
  3. Jesus Of The Moon
  4. O Children
  5. Cinnamon Horses
  6. Galleon Ship
  7. I Need You
  8. Waiting For You
  9. Joy
  10. Papa Won't Leave You, Henry
  11. Balcony Man
  12. The Mercy Seat
  13. The Ship Song
  14. Avalanche
  15. The Weeping Song
  16. Skeleton Tree
  17. Jubilee Street
  18. Push The Sky Away

Zugaben:

  1. Tupelo
  2. Shivers
  3. (Are You) The One That I've Been Waiting For?
  4. Cosmic Dancer
  5. Into My Arms

Fotos

Nick Cave

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