Propagiert die Rapperin mit ihrem neuen Song unrealistische Schönheitsideale oder soll das etwa Satire sein? Gegenfrage: Warum sollte es?

Hamburg (dani) - Keine Ahnung, wie sie das macht, aber Shirin David polarisiert noch immer. Auch noch 2024, im mindestens fünften Jahr ihrer Rapperinnen-Karriere, und das mit einem maximal unspannenden Song. "Bauch Beine Po", bitteschön:

Jemand, der sich mit House Music aus den 90er und 2000er Jahren auskennt, könnte vermutlich direkt sagen, auf welchem Hit aus dieser Ära The Cratez da ihren Beat aufbauen. Für mich klingt das jedenfalls wie recht unverändert von einem Best of Ibiza-Sound-Sampler gekratzt.

Ibiza-House im Tele-Gym

Das genauso minimalistisch gehaltene Video greift noch weiter zurück. Es gemahnt, wenn auch in deutlich modernerer und erheblich aufsexualisierter Optik, an die Tele-Gym-Sendungen, die gelangweilte Hausfrauen in den ausgehenden 1980er und beginnenden 90er Jahren dazu motivieren sollten, im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher zu hampeln. Natürlich mit dem unterschwelligen Versprechen, dass, wer sich nur konsequent und hart genug kasteit, irgendwann auch so fit und scharf aussieht wie die Vorturnerinnen auf der Mattscheibe. Bestimmt. Falls nicht: Quäl' dich härter, du Sau.

Nichts an "Bauch Beine Po" ist neu, noch nicht einmal der der aus einem beliebigen Volkshochschul- oder Fitnessstudio-Kursangebot abgeschriebene Titel. Ihre Zuarbeiter löten da bloß zusammen, was es seit Jahrzehnten gibt, und Shirin David präsentiert das Ganze, professionell wie alles, das sie anpackt.

Trotzdem: Ihr Track war noch nicht einmal veröffentlicht, erschienen schon seitenfüllende Artikel darüber. Vorab bei TikTok veröffentlichte Snippets hatten eine Diskussion darüber losgetreten, ob die Rapperin mit Zeilen wie "Geh' ins Gymmi, werde skinny, mach' daraus eine Show" etwa ein problematisches Körperbild vertritt. Oder soll das am Ende eine Satire sein, auf den grassierenden Mager-, Fitness-, Selbstoptimierungswahn, den Clean Girl-Lifestyle, der, prominent vorgelebt, junge Mädchen mit unerreichbaren Körper- und Verhaltensidealen ins Unglück lockt?

Ernsthaft?

Doch warum wundert es überhaupt irgendwen, dass sich Shirin David, eine Frau, die als Beauty-Influencerin angefangen hat, die keinen Hehl daraus macht, dass sie sich, um ihr Erscheinungsbild ihren Vorstellungen anzupassen, bereits mehrfach unters Messer gelegt hat, eine, die schon seit sie vor Kameras steht, extremsten Wert auf ihre Optik legt und für deren Optimierung weder Kosten noch Schmerzen noch Strapazen scheut, über Äußerlichkeiten rappt?

Man darf das oberflächlich finden, gerne auch bescheuert. Man darf sogar ruhig einen, zwei, drei Gedanken daran verschwenden, was solche Vorbilder in den Köpfen der Kinder anrichten, die große Teile ihrer Zielgruppe ausmachen. Aber überraschen kann das doch wirklich niemanden. Genau so wenig, wie irgendjemand denken konnte, Shirin Davids straffer Leib sei ein Geschenk von Mutter Natur. Dass sie sich plagt, um auszusehen, wie sie eben aussieht, ist doch wohl offensichtlich. Warum sollte sie dann nicht drüber rappen? Wer sich darüber echauffiert, tut dies hoffentlich auch unter jedem einzelnen Muckibuden-Pumper-Video ihrer männlichen Kollegen, Treffpunkt: die Kommentarspalte eines beliebigen Kontra K-Clips, okay?

Der zweite Punkt, den ich, falls das überhaupt geht, noch verwunderlicher finde: Wieso denkt irgendjemand, das könne Satire sein? Seit wann steht Shirin David für ein anderes als das herrschende, strikt dem Male Gaze unterworfene, hypersexualisierte Erscheinungsbild, Maße 90 - 60 - 111? Seit wann ist gesellschaftskritischer Conscious-Rap ihre Domäne? Die Frau ist ein Marketinggenie, eine Selbstvermarktungskanone, sie hat schon immer gemacht, was sich gut verkaufen ließ, und dafür jeden Trend bedient.

Bereit für die Bitch-Transformation?

Von Shirin David erwarte ich doch keine tiefschürfende Auseinandersetzung mit den eventuell verheerenden Auswirkungen von Schöheitsidealen. Von ihr erwarte ich ein Fitnessprogramm, "Die Bitch-Transformation" oder ähnlich (wahrscheinlich eher ähnlich, anzunehmen, dass Kollegah da markenrechtliche Einsprüche hätte, oder Katja Krasavice), eine Kollektion Trainingsklamotten, Retro-Stulpen, Stirn- und Schweißbänder inklusive, und außerdem ein Sortiment isotonischer Sportdrinks und Proteinshakes.

Unerwartet amüsant

Nicht erwartet habe ich dagegen, dass mir "Bauch Beine Po" doch noch einen amtlichen Lacher beschert hat: Lars Hammerstein, Bojan Ivetic und Guiseppe Di Agosta stehen da in den Songwriting-Credits. Die Vorstellung, wie Laas Unltd, Bozza und Timeless die Köpfe zusammenstecken und über Zeilen wie "Das ist Clean-Girl-Aesthetic, Beauty-Programm, Charlottenburger Ladys, jung, hot und shady" oder "Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po" brüten, trägt mich dann doch ausgesprochen heiter durch den Freitag.

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4 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 3 Stunden

    Feminismus war sowohl für sie als auch Katja Krasavice (und vielen anderen Künstler*innen) immer nur ein semantisch vage gehaltenes Label, um nach Belieben der eigenen Musik eine moralische Komponente anzuheften.

    Aber da läuft in den sozialen Medien grundsätzlich viel falsch in der Hinsicht, was schon bei den komischen Body Positivity-Influencern anfängt, die gar nicht mal so weit von dem aktuellen Schönheitsideal weg sind, teilweise über 100.000 Follower haben, mit ihrem Aussehen Geld verdienen und mir dann erzählen wollen, das sie ja sooo verunsichert sind und die Welt so gemein zu ihnen ist. Und gleichzeitig suchen sie sich aus den 500 bestätigenden Kommentaren ausgerechnet den einen von irgendeinem Rolf-Uwe aus, der ihr Äußeres beleidigt.

    Aber es ist sowieso ein paradoxes Thema: In dieser Diskussion könnte man theoretisch auch der Gegenseite vorwerfen, abseits der Textkritik mit den Male-Gaze-Anschuldigungen Shirin auf ihr Äußeres zu reduzieren. Wo hört da die berechtigte Kritik auf und wo fängt das Slutshaming an? Ist eine ernstgemeinte Frage, die gerne auch schnippisch beantwortet werden kann, wenn sie dumm ist.

  • Vor 2 Stunden

    Und für wen mit Gehirn ist das jetzt alles überraschend?

  • Vor 2 Stunden

    "Auf und ab, wir laufen im Takt,
    mit den Waffen einer Frau, brra-pa-pa-pap"

    Shirin... wenn die Waffen einer Frau für dich der Look und nicht der Verstand ist, dann bist du nicht tödlich sondern dämlich.

  • Vor einer Stunde

    "Oder soll das am Ende eine Satire sein, auf den grassierenden Mager-, Fitness-, Selbstoptimierungswahn, den Clean Girl-Lifestyle, der, prominent vorgelebt, junge Mädchen mit unerreichbaren Körper- und Verhaltensidealen ins Unglück lockt?"

    Wenn Du das darin sehen wollen würdest, dann wäre es eben genau das für dich. Jede*r darf und soll darin möglichst sofort alles erkennen können, was sie selbst damit verbinden und/oder hinein projizieren. Das ist der eine alles entscheidende Grund, warum das einerseits in 2024 noch immer erfolgreich polarisiert und sich andererseits noch erfolgreicher verkaufen lässt.