Gestern Abend startete auf VOX eine Abwandlung von "Sing Meinen Song". Das Fremdschäm-Potenzial ist riesig.

Magdeburg (phk) - Bei "Sing Meinen Song - Das Tauschkonzert" covern sich deutsche Künstler:innen gegenseitig. "Sing Meinen Schlager" überträgt das sowieso schon rührselige und Schlager-nahe Konzept jetzt auf die Szene von Semino Rossi und Anna-Maria Zimmermann. Der erste gecoverte Sänger und Songtexter hatte 1991 seinen ewigen Hit "Verdammt, ich lieb' dich". "Wenn du einmal 'Verdammt, ich lieb' dich' gehört hast, dann singst du's den ganzen Tag", diese Erfahrung hat Sarah Engels, geschiedene Lombardi, gemacht.

Matthias Reim fiel mit seiner Rock-Komponente und seinem Klamottenstil immer ein bisschen aus dem Schlager-Rahmen und zieht somit Publikum von "Sing meinen Song" mit. Auch mit dem rockaffinen TV- und Comedy-Star Bülent Ceylan kommt noch eine Komponente jenseits des inneren Schlager-Zirkels hinzu. Auch Eko Fresh setzt der Sender wohl auf diese Zugkraft von extern, Eko war in der "letzten SmS-Staffel" dabei. Einiges unterscheidet die Formate. Zum Beispiel bleibt die Band namenlos und unerwähnt, immerhin gibt's eine.

Augenscheinlich beginnen die Differenzen bereits beim Sendeplatz. Auf dem angestammten Dienstag mimt der ehemalige "Sing meinen Song"-Teilnehmer Mark Forster gerade den konstruktiven Talent-Scout auf Augenhöhe, und Musik steht wirklich im Mittelpunkt von "The Piano". Dafür schickt der Sender "Sing Meinen Schlager" in Konkurrenz zum "Tatort" sonntags ins Rennen, auf dem VOX-Sendeplatz von "Grill den Henssler".

Das Setting: Für den Dreh reiste man nicht bis nach Südafrika, sondern nach Sachsen-Anhalt. Ein frenetisch jubelndes Publikum feiert die Teilnehmenden bei der Aufzeichnung im Sommer. Einen gewissen ZDF-"Fernsehgarten"-Vibe wird man nicht los, wenn man sich das anguckt und versucht, die Stimmung des behäbigen Intros nachzuvollziehen. "Hey, wir hamm' uns so auf dich gefreu-heut / ein ganzes Leben lang", playback-trällern Eko, Sarah und ein paar andere, während sie - hektisch geschnitten - die Show-Treppe zwischen den Publikums-Reihen herunter schlendern, um den berufsjugendlichen Matthias zu knuddeln. "Bin aufgeregt", bekennt er in leicht gebückter Körperhaltung in seinen Vintage-Super-Skinny-Jeans.

Bühne und Publikumsplätze sind von einem Teich umrahmt, neben Reim flackert ein Feuer. Inka Bause begrüßt "Hallo, liebe ..., dann gebricht ihr im Magdeburger Elbauenpark die Stimme. Statt zu gendern, entscheidet sie sich dann doch für "Hallo Magdeburg". Eine solche externe Moderations-Figur hat das Original "Sing Meinen Song" nicht, da muss aus der Mitte der Teilnehmenden einer ran. Auch gibt es erst mal keine Staffel, sondern zwei Pilot-Folgen, mit Marianne Rosenberg und ihren Liedern, und eben mit 'Matze'. In der ersten Reihe tragen blonde Frauen 'Matze'-Merch-Shirts, formen Herzchen und Küsschen mit den Fingern. "Guck ma'", sagt Bülent Ceylan zu Inka Bause, "meine Mama liebt Roland Kaiser."

Im 66-Jährigen steckt der 17-jährige Träumer.

Reim erschrickt manchmal, dass er immer noch aktiv sei. "In mir steckt immer noch dieser 17-jährige Träumer", erinnert er sich an die Jahre, als er wie Peter Illmann in Blond aussah.

"Ich bin ne starke Frau, die was aushalten kann", wandelt Sarah "Ich hab geträumt von dir" in teils ruhigem, teils schmetterndem Gesang ab. Stark ist auf jeden Fall, dass sie in den Talk-Abschnitten der Sendung stets zusammenhängende äh-freie und grammatikalisch korrekte Sätze sagt. In der deutschen Quassel-TV-Landschaft ist das wirklich selten geworden.

Weitgehend performt sie mit geschlossenen Augen, lässt sich vollends ins Lied fallen, das ihr augenscheinlich gefällt, und ihr Ton sowohl auf dem Sopran-'i' im Refrain-"dir" ist wunderschön, wenngleich schwierig zu singen, wie auch das lang gehaltene 'i' im C-Teil-"dir" des Songs die Arena erschüttert. Reim ist gerührt, Nase und Augen zucken, Sarah steigert sich, gibt alles, hat den übermächtigen Hit von 1990, Matzes zweitgrößten, unter Kontrolle. Eine gewisse optische Ähnlichkeit mit Reims damaliger Background-Sängerin und zeitweiliger Partnerin Mago Scheuermeyer kann man ihr nicht absprechen, und vielleicht spielt das in Reims Rührung mit hinein.

Das Gespräch über "Ich hab geträumt von dir" verläuft teils ernst, teils pointenreich und lebendig, hat mit dem Oerding-Geplänkel aus "Sing meinen Song" nichts zu tun. Wir erfahren, wie die Plattenfirma unwissend den schüchternen Reim mit genau der Frau verkuppelte, auf die er bereits ein Auge geworfen hatte und für die er "Ich hab geträumt von dir" geschrieben und als Demo aufgenommen hatte.


Deutsch-Rap, Southern Rock, Latin-Akustik

Eko Fresh hat schon mal für Reim ein Rap-Feature getextet, seine Frau Sarah hat es an Matzes Seite aufgenommen, jetzt tragen sie und Eko "Karma" im Family-Duett vor. Der Groove ist okay, über Lines wie "Kann es sein, dass ich Alzheimer habe?! So viel ich weiß, war das keine Einbahnstraße" muss man hinweg hören. Max Mutzke bringt ein bisschen Balladen-Southern Rock im Unterton von "Ganz Egal" ein.

Semino Rossi textet als Argentinier "Verdammt ich lieb' dich" auf Spanisch um, schnallt sich dazu eine Akustische um und verbreitet Latin-Vibes. Über die eruptive Gesangstechnik lässt sich streiten, das Publikum klatscht den Song aber sowieso kaputt. Bause übt sich in einem Tanz, der dem Taktmaß zuwider läuft. Hier haben wir einen Fremdschäm-Moment, der ratlos macht. Warum müssen alle klatschen, wenn ein paar damit anfangen? Warum schreien die Leute Zugabe, wenn Semino nur einen Song einstudiert hat? Wieso gibt er dann eine?

Zwischen Kalauer und Tränen

Bülent nudelt "Verdammt ich lieb' dich'" so herunter, dass die Werbepause spannender ist. Als er sich nach dem Auftritt eine Banane vom reich gedeckten Tisch der Talk-Ecke nimmt und einer Zuschauerin in der ersten Reihe auch eine gibt, kreischt Inka Bause "Verteil im Osten keine Bananen, ja! Da sind wir ganz empfindlich!", und findet sich sehr witzig, während die Couch-Promis da nicht so wirklich emotional mitgehen. Später versucht sie's erneut und spricht Matze auf sein besonderes Verhältnis zur Region Dresden an, da weiß er nicht, was sie meint, er steht auf dem Schlauch, sie vergraben sich.

Und manche Kalauer sollte man sich verkneifen. Distanzlos und ohne rot zu werden, leitet Bause von der Banane unvermittelt dazu über, wie Reims Vater 2023 starb. Beim zugehörigen Song "Radio" übers Verhältnis zu seinem Papa muss Sarah Engels zwei Tränen verdrücken, Klavier und Streicher begleiten die Ballade.

Das Publikum sieht als Standbild auf einem großen Bildschirm ein Erinnerungsfoto von Vater (Schuldirektor) und Sohn (Schüler im selben Haus). Anna-Maria Zimmermann wendet sich ab, stützt ihr Kinn aufs Handgelenk, knubbelt an einem sehr klein gefalteten Taschentuch, und die Kamera verfolgt ihr Gesicht erbarmungslos und reißerisch. Von der Musik lenkt dieses Spiel mit den Emotionen ab.

An ihrem Taschentuch klebt sie den Rest des Abends. Auch die Tatsache, dass sie "Du bist mein Glück" auswählt, fordert das weich gerotzte, durchgeknetete Teil heraus. Bei ihrem lebensgefährlichen Unfall mit einem Helikopter im Herbst 2010 war Reims Comeback-Song gerade frisch erschienen, sie verbindet ihn mit dem traumatischen Erlebnis. Von außen bleibt das schwer nachvollziehbar, zumal die Party-Sängerin das Lied nicht im engeren musikalisch-handwerklichen Sinne schön interpretiert. Der Auftritt klingt akzeptabel und wird schnell übergangen, Sekunden nach der Show-Einlage schwenkt die Regie auf eine Fotostrecke über Reims Frisuren.

Tochter Marie, die wir fast zum ESC 2024 geschickt hätten, tritt gegen Ende noch vor der Runde an, auch Julian Reim macht mit, und so leiert der Abend zum Familientreffen aus.


nächste Folge

Ein zweiter Abend widmet sich am 27. Oktober ab 20:15 Uhr dem Liedgut Marianne Rosenbergs.

Fotos

Sarah Engels

Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Sarah Engels,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

Weiterlesen

laut.de-Porträt Matthias Reim

Matthias Reim erblickt am 26.11.1957 in Korbach das Licht der Welt. Seine musikalische Karriere startet er im Alter von zehn Jahren als er eine Schülerband …

laut.de-Porträt Eko Fresh

"Du denkst, du flowst jetzt wie Mos Def, dein Homes scratcht wie Tony Touch / Wieso gründet ihr nicht eine Crew mit Namen 'Toys R Us'? / Ich bin verhasst.

laut.de-Porträt Sarah Engels

"Du bist ein musikalisches Funkenmariechen. Da sprühen die Funken." So urteilt Dieter Bohlen in der ersten Live-Show 2011 bei "Deutschland sucht den …

laut.de-Porträt Bülent Ceylan

Bei ProSieben preisen sie ihn als den "Rocker unter den Spaßmachern". Wer es angesichts seiner unentwegt demonstrativ geschüttelten schwarzen Haarpracht …

3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor einem Monat

    Warum so‘n langer Artikel über den Schmutz.
    Interessiert hier doch sicher niemanden.
    Wir sind doch die Guten.

    • Vor einem Monat

      Wurde hier schon mehrmals der streamingdienst RTL+, als Artikel verkleidet, beworben? Ja. Gehört das hier beschriebene Format zu Vox, was wiederum zur RTL Group gehört? Ja. Kann man Musikjournalismus ausschließlich mit nischigen Artikeln über Liebhaberprojekte finanzieren? Ich denke nicht. Wir sind doch die Guten aber müssen auch mal einen Artikel anklicken, welcher mit exakter Angabe von Datum, Uhrzeit und Thema eines Unterhaltungsproduktes endet.

  • Vor einem Monat

    Ich schau seit gefühlt 10 Jahren kein Fernsehen mehr, und es laufen immer noch die genau gleichen Sendungen? WTF Deutschland?

  • Vor einem Monat

    "Diese Erfahrung hat Sarah Engels, geschiedene Lombardi, gemacht."

    Die Frau heißt Sarah Engels, ohne geschiedene XYZ.

    Das ist schon ein wenig sexistisch.

    Sofern der Hinweis auf den alten Namen überhaupt relevant ist, dann wäre die Prince-like Formulierung Sarah Engels fka Sarah Lombardi fka Sarah Engels wohl korrekt.