Dirty Soul-Legende, Motown-Ghostwriter, König des Exzesses: Andre Williams ist mit 82 Jahren gestorben.
Chicago (mis) - Der Musiker Andre Williams ist tot. Der weithin unbekannte Dirty Soul-Sänger starb gestern Nachmittag im Alter von 82 Jahren in seiner Wahlheimat Chicago. Laut Manager Kenn Goodman wurde bei Williams vor zwei Wochen Darmkrebs diagnostiziert. Er starb in einem Hospiz im Beisein seiner Familie.
Williams war als Produzent und Interpret Vorreiter des Detroit Souls der 50er und 60er Jahre, dem allerdings selbst nie der Schritt in die erste Reihe gelang. Er leistete Pionierarbeit für Künstler auf Chess Records in Chicago, schrieb später auch für Berry Gordys Motown-Label, kooperierte mit Ike Turner und Stevie Wonder, und produzierte die Urversion des späteren Welthits "Mustang Sally" von Sir Mack Rice. Aus jener Zeit stammt die Bezeichnung "Mr. Rhythm".
Aufgrund seiner eingesprochenen Doo Wop- und R'n'B-Singles Mitte der 1950er Jahre gilt Williams bei Szenekennern zudem als Miterfinder des Rap, nachzuhören auf seinen Songs "Bacon Fat" und "Jail Bait", letzterer einer der erklärten Lieblingssongs von Keith Richards. Sie brachten ihm einen weiteren Titel ein: "The Black Godfather". Aufgrund der für die damalige Zeit extrem anzüglichen Texte erweiterte sich die Zahl seiner Beinamen rasant: Andre war auch als "Bad Motherfucker", "The Duke Of Dirty-Ass" oder "The Baron Of Badass R'n'B" bekannt.
Seine Exzesse sind legendär: Williams überlebte eine durch Bacardi-Überdosis verursachte Alkoholvergiftung, eine Lungenentzündung und Herzprobleme. In den 70er Jahren feierte er mit Ike Turner eine 18 Monate währende Kokainparty in dessen kalifornischem Anwesen, woraufhin er sein Gewicht von 90 Kilo auf 45 halbierte und mit dem letzten Funken Lebenswillen ein Flugticket nach Chicago löste. In den 70er und 80er Jahren lebte Andre lange Zeit verarmt auf der Straße, war zeitweise drogenabhängig und erhielt kleinere Tantiemeneinnahmen aus Filmen wie "The Blues Brothers" (1980) und "Hairspray" (1988).
Erst in den 90er Jahren feierte er ein riffgewaltiges Elder Statesman-Comeback mit dem Album "Silky", das Rock'n'Roll-Hardliner Jon Spencer initiierte. Andre war nun ein Garage-Rocker, Songtitel wie "Pussy Stank" und "I Wanna Be Your Favorite Pair Of Pajamas" knüpfen textlich klar an seine früheren Standout-Tracks an.
Ohne den Luxus einer Krankenversicherung sah sich Williams seither gezwungen, bis ins hohe Alter auf Tournee zu gehen, wo er seine Straßenpoesie im Stile eines Gil Scott-Heron in legere Blues-, Soul- und Funk-Licks kleidete ("I Wanna Go Back To Detroit City", "Hoods And Shades"). Zehn Jahre nach "Silky" versuchte sich Williams 2008 auf "Can You Deal With It?" mit den New Orleans Hellhounds ein letztes Mal an räudigem Garage-Rock'n'Roll. 2010 erschien mit "Agile Mobile Hostile" eine sehenswerte Kino-Doku über sein Leben ("Ich war in keinem Scheiß-Museum, ich bin das Scheiß-Museum!").
Im laut.de-Interview legte der Ex-Hustler im Jahr 2006 nicht nur sein nach wie vor intaktes Verhältnis zu Drogenkonsum offen, sondern reflektierte auch seine Karriere großmütig: "Ja, meine Hits gehören heute anderen. Aber das ist schon okay, ich hätte eh kein Interesse daran, Steuern zu zahlen. Weißt du, Geld interessiert mich nicht. Hauptsache, ich kriege meine Miete zusammen. Hey, ich bin fast 70 Jahre alt, könnte ich glücklicher sein?"
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