Bei seinem Konzert am Mittwochabend schreit sich der Sänger den Weltschmerz von der Seele. Neben alten Klassikern hat er neue Songs seines kommenden Albums "A Wonderful Life" im Gepäck.
Berlin (jmb) - Es ist ein lauer Frühsommerabend in Berlin, doch im Heimathafen Neukölln, dem urigen Ballsaal, in dem Tom Odell heute spielt, wird die Luft schon vor Konzertbeginn stickig und unangenehm warm. Die gut gefüllte Halle ist offenbar nicht für diese Art Veranstaltung konzipiert.
Im Vergleich zu seinem letzten Berlin-Besuch in der Uber-Arena wirkt die Show, Teil seiner "Don't Let Me Go"-Tour, an diesem Mittwochabend elektrisierend intim. Das Publikum besteht überwiegend aus Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern, wesentlich ältere Personen oder Kinder sind auffallend abwesend. Die gefühlte Nähe zum Sänger verleitet gleich mehrere Fans zu Zwischenrufen, von "I love you!" und "Play Another Love!" bis "Free Palestine!".
Neben alten Klassikern wie "The Best Day Of My Life" und "Heal" hat Odell neue, bislang unveröffentlichte Songs seines bevorstehenden Albums "A Wonderful Life" mitgebracht. Es stellt der Abschluss einer Trilogie dar, sagt Tom. Zu dieser gehören außerdem die beiden Vorgängeralben "Best Day Of My Life" und "Black Friday".
Auf den ersten Eindruck weichen die neuen Lieder klanglich und inhaltlich nicht von Odells bisherigem Melancholie-Erfolgskonzept ab. Der Titel des neuen Songs "Why Do I Always Want Things I Can't Have" fasst die künstlerische Philosophie des Engländers treffend zusammen. Vielleicht ist er sogar noch ein bisschen melancholischer geworden - wenn das überhaupt möglich ist.
"Die Welt wird immer verrückter"
Die Größe der Konzerthalle tut der Energie des Abends keinen Abbruch. Mit einer umwerfenden Bandbesetzung, darunter Saxofon, Lap-Steel-Gitarre, Trompete und Violine, überzeugt Odell mit der Wucht seiner Arenenshows. Tom genießt das Spiel mit der Dynamik. Bei ruhigeren Stellen erfüllen die zarten Stimmen des Publikums den Saal. In "Numb" kommt die Musik allmählich zu einem schwülen, ominösen Stillstand - nur, um von Odells Schreien geradezu diabolisch aufgerüttelt zu werden.
Der Brite gibt alles. Energiegeladen springt er auf den Flügel, stolziert bei "Parties" inbrünstig auf der Bühne wie Nick Cave und brüllt sich die Seele aus dem Leib – so sehr, dass man sich hin und wieder fragen muss, wer ihm eigentlich wehgetan hat.
Es ist die Welt. "Die Welt wird immer verrückter", sagt Odell zur Einleitung von "A Wonderful Life", dem Titeltrack seiner kommenden Platte. In dem Song reflektiert er die Zerrissenheit und Komplexität der aktuellen Weltlage: "The skinhead in the handcuffs blowing his mother a kiss. The student at the protest wiping the blood off her lips." Empathen haben es bekanntlich am schwersten. Dies ist auch die naheliegendste Erklärung, warum Toms Lieder von kognitiver Dissonanz triefen und warum er sein Stimmorgan bei jedem seiner Konzerte so hart auf die Probe stellt.
Die Widersprüche des Lebens, von denen Odell immer wieder singt, lassen sich immer schwieriger aushalten. Obwohl die Show vor Energie strotzt und dank Bläsern in "Can't Pretend" zu jazz-getränkter Grandiosität anschwillt, scheint der Stimme des Sängers heute eine unerklärliche Schwere zugrunde zu liegen. Tosender Applaus füllt den Saal nach jeder Nummer. Als Zugabe gibt es noch fünf zusätzliche Lieder, darunter das unsanft vom Publikum eingeforderte "Antoher Love". Ob er seinen Gassenhauer selbst überhaupt noch hören kann? Man würde es ihm jedenfalls nicht anmerken. Tom Odell zeigt an diesem Abend, dass große Emotionen auch ohne große Hallen funktionieren, vielleicht sogar noch besser.
Setlist vom 18. Juni:
- Just Another Thing We Don't Talk About
- The Blood We Bleed
- The Best Day of My Life
- Long Way Down
- Grow Old With Me
- I Know
- Magnetised
- Parties
- Heal
- Why Do I Always Want Things I Can't Have
- Numb
- Can't Pretend
- Spinning
- Black Friday
Zugabe:
- Fighting Fire With Fire
- Don't Let Me Go
- The End
- Wonderful Life
- Another Love
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