laut.de-Kritik
Stimuliert Herz und Hirn.
Review von Toni HennigVor vier Jahren ließ Niels Frevert auf "Putzlicht" die Singer/Songwriter-Tugenden zugunsten poppiger und zugänglicherer Töne hinter sich. Nun ist es Zeit für "Pseudopoesie", aber keine Angst: Der Hamburger ist nicht unter die Forsters, Bouranis und Giesingers gegangen. Was er mit dem Begriff meint, verriet er vor Kurzem zum 'Welttag der Poesie' im NDR: "Ich mag Pseudopoesie, der Begriff ist positiv besetzt für mich. Sie ist hier und überall, wo man sie entdecken möchte. Sowohl Poesie als auch Pseudopoesie. Beides hängt miteinander zusammen. Das fängt sicherlich schon bei der Reklame in der U-Bahn an."
Zur Beruhigung trägt in dieser Hinsicht auch der Opener "Weite Landschaft" bei, der mit kreisendem Piano, verspieltem Schlagzeug in Anlehnung an Radiohead, elegischen Streichern und Vocals sowie der Erkenntnis, dass sich Dinge verändern, dort anknüpft, wo Frevert mit dem Vorgänger aufgehört hatte. Danach Standortbestimmung: Zu geerdeten Drum- und Saitentönen und leicht waviger Elektronik positioniert sich der Hamburger in "Fremd In Der Welt" als Außenstehender, abseits von der Masse.
Wave steht auch beim sehnsüchtigen Titeltrack im Fokus. "Sehnsucht" stellt zudem die Triebfeder für "Träume Hören Nicht Auf Bei Tagesanbruch" dar, das eine Menge Melancholie versprüht. Davor bringt Frevert in "Rachmaninow" zu roadtrippigen, akustisch geprägten Klängen seine Liebe für Rachmaninows drittes Klavierkonzert zum Ausdruck. "Mir wird das Herz schwer, beim Dritten von Rachmaninow", heißt es im Text. Auch "Klappern Von Geschirr" schlägt mit sachten Drums und warmer Pianobegleitung ruhige Töne an und bildet eine dieser präzisen und detaillierten Alltagsbeobachtungen, für die man den Hanseaten am besten kennt.
Mehr Mut zum lebensbejahenden Optimismus zeigt der 55-Jährige in den restlichen Songs. "Die Zeit zum Grübeln ist um", lautet das Motto von "Waschbeckenrand", während man wuchtige Indie-Klänge vernimmt. Ein besonderes Händchen für umarmende Pop-Melodien beweist Frevert in "Tamburin", das die kleinen statt die großen Momente im Leben feiert. "Kristallpalast" gerät schließlich mit nach vorne schrammelnden Akkorden zur Liebeserklärung an das Leben selbst: "Es ist so unschlagbar gut, am Leben zu bleiben / In der Weltraumfähre zum Mars."
Am Ende wird es mit "Ende 17" ungewohnt autobiografisch, wenn uns der Hanseat zu schummriger, nächtlicher Elektronik und Saitenarbeit einen Einblick in seine Jugend gibt und seinen Weg zum "ersten Plattenvertrag" zurückverfolgt. Dabei singt er auch über eine Begegnung mit "Blixa Bargeld" und "Johnny Thunders", lässt uns über den Wahrheitsgehalt der Geschichte aber im Unklaren.
Am Ende bleibt ein erstaunlich vielschichtiges Album, das gleichermaßen Herz und Hirn stimuliert und einen gleichzeitig zum Lachen als auch zum Nachdenken bringt. Seine unnachahmlichen poetischen Qualitäten hat sich Niels Frevert dabei bewahrt.
1 Kommentar
Schade, da bleibt nicht viel hängen. "Putzlicht" war deutlich besser, eine Superplatte.