laut.de-Kritik
Brachialer Weckruf für die Rockszene.
Review von Manuel BergerAls eine Art Rage Against The Machine 2.0 mischt das US-Trio Fever 333 seit gut zwei Jahren die härtere Musikwelt gehörig auf, mit unglaublich intensiven Liveshows und einem wilden Genremix von Screamo bis Hip Hop. Ende 2019 dachte Fronter Jason Aalon Butler (ex-Letlive) das mit der Band verfolgte Konzept 'Community, Charity, Change' in Richtung eines Künstlerkollektivs und Labels weiter. Er gründete 333 Wreckords. Nova Twins sind nun die erste Band abseits Fever 333, die darüber eine Platte veröffentlichen. Man könnte sich kaum einen besseren Einstand wünschen.
Sowohl stilistisch als auch thematisch passt "Who Are The Girls?" hervorragend ins 333-Portfolio. Amy Love (Vocals/Gitarre) und Georgia South (Bass) setzen schon allein durch ihre Präsenz als (schwarze) Frauen in der von (weißer) Maskulinität dominierten Rockszene ein Zeichen, pochen auf Individualität, Confidence und prangern soziale Missstände an. In "Bullet" zum Beispiel verarbeiten sie geschickt Cat-Call-Pfiffe in der Musik und referenzieren in einem Interlude Rap-Klischees, um Sexismus und sexuelle Belästigung zu veranschaulichen. "Bitches and hoes / Diamonds and gold / I talk about my dick, 'cause my brain is fuckin' slow."
Musikalisch zelebrieren Nova Twins einen ähnlich eklektischen Mix wie Fever 333. Die Basis besteht ungefähr zu gleichen Teilen aus Hardcore und Grime, dazu kommen Electropunk à la The Prodigy, Alternative und Pop. Oft wirkt es als hätte man Jason Aalon Butler in all seiner Hyperaktivität in den Groove-liebenden Körper Ecca Vandals verpflanzt und so richtig angepisst.
Love und South agieren dabei noch einen Tick konsequenter und aggressiver als ihr Kollektiv-Chef. Statt die vielen Einflüsse aufzuteilen und von Song zu Song andere Schwerpunkte zu setzen, kondensieren die beiden in der Regel alles in zwei- bis dreiminütige Feuertöpfe. Das führt zwar dazu, dass die zehn Stücke auf "Who Are The Girls?" einander im Kern stark ähneln. Nur das verträumt-lauernde "Ivory Tower" und der brachiale Industrial-Stampfer "Athena" brechen aus. Doch genauso ergibt sich daraus ein extrem homogener Gesamteindruck und irre Durchlagskraft.
Das Londoner Duo rammt "Who Are The Girls?" mit solchem Nachdruck in den Schädel, dass man am Ende der nur 30 Minuten Spielzeit erst mal nach Luft ringt. Souths Bassgrooves dröhnen mörderisch, Love bringt ihre Gitarre zum Kreischen, übersteuert absichtlich die Vocals und spuckt ihre Zeilen mal rasend vor Wut, mal verächtlich schnaubend gen Hörer – ohne jedoch eingängige Hooks aus den Augen zu verlieren. Besonders "Vortex", "Devil's Face" und "Taxi" brennen sich ins Gedächtnis. In letzterem demonstrieren Nova Twins außerdem Sinn für geschmackvolle Details: Unter der fiependen, dreckstarrenden Wand aus Noise liegt ein engmaschiges Geflecht aus melodisch und rhythmisch durchdachten Zahnrädchen, Soundexperimenten und feiner Percussion.
Ende März kommen Nova Twins für einige Clubshows aufs europäische Festland. Etwas anderes als totalen Abriss zu erwarten, wäre angesichts dieses vor Energie fast berstenden Debütalbums ziemlich illusorisch. Auf die Frage "Who Are The Girls?" gibt es 2020 mindestens im Rockbereich nach dieser überwältigenden, zukunftsträchtigen Vorstellung nur eine richtige Antwort.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Musikalisch nicht wirklich neu. Nur in weiblich halt. Ob das jetzt der große Twist weg vom maskulinen weißen Rocktypus ist? Musikalisch eher nicht.
Mich erinnerte das ein bisschen an Babymetal, nur machen die halt was wirklich neues. Zumindest so noch nie vorher gehört.
Wenn mans genau nimmt, wurde Rock von einer schwarzen Frau erfunden.
Die Platte klingt ganz okay.
"setzen schon allein durch ihre Präsenz als (schwarze) Frauen in der von (weißer) Maskulinität dominierten Rockszene ein Zeichen, pochen auf Individualität, Confidence und prangern soziale Missstände an."
Gibt es denn auch schon eine Präsenz weisser Frauen, die die von schwarzer Maskulinität dominierte Gospelszene zeichensetzend aufmischen? Vaginale Interventionen in der Grand Ole Opry?
Nicht, daß der obsessiv-rassistischen Laut-Redaktion irgendwann die pompösen Revolutionalien ausgehen.
Na, rassistisch ist die laut-Redaktion nun nicht. Höchstens selbstverliebt-woke und ein kleines Hindernis auf dem Wege hin zu einer modernen Gesellschaft. Aber das sind ja gar nicht so wenige heutzutage.
Langsam reicht es echt mit diesen fürchterlichen Zuschreibungen, den misogynen Äußerungen, den fremdenfeindlichen Tendenzen, den Verschwörungstheorien, kurzum, langsam reicht es mit Folbaht.