Porträt

laut.de-Biographie

Pan Sonic

David Toop schreibt in seinem Buch "Haunted Weather: Music, Silence and Memory", die Veröffentlichungen des finnischen Elektronik-Projekts Pan Sonic seien "ein Manifest für die Poesie der Elektrizität". Das formuliert über mehr als eineinhalb Jahrzehnte eine eigenständige und extrem reduzierte, rhythmische, von Industrial, Techno, jamaikanichen Rhythmen und Musique-concrète beeinflusste Soundästhetik mit Schlenkern in Richtung Ambient und Power Noise aus. Dabei besitzen die Skandinavier von Beginn an eine starke Affinität zur Kunstwelt. Auf die elektronische Musik üben sie damit großen Einfluss aus.

Panasonic - Kulma Aktuelles Album
Panasonic Kulma
Karge Klänge, die elektronische Musik prägten.

Die beiden Gründungsmitglieder Mika Vainio und Ilpo Väisänen lernen sich 1989 in der Kunst- und Techno-Szene Turkus kennen. Der Erstgenannte spielt in dieser Zeit in verschiedenen Industrial- und Noise-Bands Synthesizer und Drums. Das Projekt rufen die zwei im Sommer 1993 unter dem Namen Panasonic ins Leben. Zuvor hat Vainio unter dem Pseudonym Ø seine ersten beiden EPs auf Sähkö Recordings veröffentlicht. Der Gründer der Plattenfirma, Tommi Grönlund, stellt Kontakt zu Sami Salo her, der Panasonic zum Trio komplettiert. Alle drei Musiker studieren Architektur.

Für ihre Musik lassen die Skandinavier von Jari Lehtinen ein Gerät aus modular ineinandergreifenden analogen Klanggeneratoren entwickeln, das sie unter dem Markennamen Panasonic kommerziell vermarkten. Nach kurzer Zeit gilt es schon als Standard in der elektronischen Musikszene. Ab 1994 nutzt das Projekt zusätzlich professionelles Equipment mit Mikrofonen, Verstärkern und Lautsprechern. Auf digitale Gerätschaften greift es so gut wie gar nicht zurück, wodurch die Musik etwas Reines und Körperliches ausstrahlt. Oftmals vereinfachen die Finnen sie zu stetem Rauschen und feingliedrigem Knacken. So steigen sie zu den Pionieren des Clicks & Cuts auf.

Auf Sähkö Recordings erscheint 1994 das erste Lebenszeichen Panasonics, nämlich eine selbstbetitelte EP. Im Herbst desselben Jahres bestreitet das Projekt seinen ersten Auslandsgig in London. Davon zeigt sich das Mute-Sublabel Blast First so begeistert, dass es die Finnen unter Vetrag nimmt. Das dort veröffentlichte Debüt "Vakio" macht Panasonic 1995 international bekannt. Mit seinen repetitiven, äußerst sparsamen technoiden Rhythmen ebnet es zudem Minimal Techno den Weg.

Mitte 1996 wirft Salo nach den Aufnahmen der EP "Osasto" das Handtuch, da er unter anderem noch seinen Militärdienst absolvieren muss. Das hat Einfluss auf das zweite Album "Kulma", das Anfang 1997 auf den Markt kommt. Auf rhythmische Momente muss man zwar nicht verzichten, doch halten vermehrt atmosphärische Komponenten Einzug in die Musik Panasonics. Zu dieser Zeit starten die Skandinavier mehrere unterschiedliche Kollaborationsprojekte mit Musikern, die zu ihren Einflüssen zählen, so mit FM Einheit (Einstürzende Neubauten) als VVE, mit Bruce Gilbert (Wire) als IBM und mit Alan Vega von Suicide.

Danach flattert eine millionenschwere Klagedrohung des Elektronikkonzerns Panasonic ins Haus, so dass sie sich in Pan Sonic umbenennen müssen. Der Name des dritten Albums "A" stellt allerdings eine Anspielung auf den fehlenden Buchstaben dar. Es erscheint im Februar 1999 und schlägt eine Brücke zwischen Panasonic und dem Power Noise sowie den elektroakustischen und ambienten Komponenten der Folgewerke. Der Scheibe schließt sich noch im gleichen Jahr die EP "B" an.

Über die Jahre hat Mika Vainio sein Soloprojekt Ø nicht vernachlässigt, das er in den Folgejahren weiterbetreibt. Von 1994 bis 1999 veröffentlicht er darüber hinaus Soloveröffentlichungen unter den Pseudonymen Tekonivel, Kentolevi und Philus. Väisänen wiederum gründet zusammen mit Dirk Dresselhaus alias Schneider TM 1999 das Projekt Angel, das in der Folge mehrere Alben auf den Markt bringt. Ende der 90er-Jahre verschlägt es Pan Sonic zudem ins sonnige Barcelona. Ab den Nuller-Jahren kooperiert das Duo mit befreundeten Musikern wie Charlemagne Palestine, Merzbow oder Keiji Haino für Live-Aufnahmen.

2000 erscheint mit "Aaltopiiri" die minimalistischste Platte der Finnen. 2001 kommen zwei Livedokumente aus ihrer Frühzeit auf den Markt, darunter auch eine Aufzeichnung des 1995er-Gigs aus London. Zudem veröffentlicht Väisänen im gleichen Jahr mit "Asuma" sein erstes Soloalbum. Nach diesem Veröffentlichungsmarathon legt das Projekt erstmal eine Pause ein. Vainio zieht in dieser Zeit nach Berlin, Väisänen findet in den finnischen Wäldern eine neue Heimat.

Dafür kehren Pan Sonic 2004 gleich mit einer Vierfach-CD-Box zurück, die den Namen "Kesto" trägt. Die bildet einen Querschnitt ihres umfangreichen musikalischen Potpourris zwischen Techno, Power Noise, Ambient und Drone ab. Dabei bietet jede CD einen anderen Stil.

Mittlerweile bewegen sich die Skandinavier zwischen den verschiedensten Einsatzgebieten hin und her, performen an Kunstorten wie dem Pariser Centre Pompidou, setzen sich auch einmal in der finnischen Botschaft in London offiziell für die Hochkultur ihres Landes ein oder unterlegen Comme Des Garçons-Modeschauen in Tokio mit ihren Klängen. Demgegenüber lassen sie es bei ihren Live-Auftritten ziemlich krachen, wenn sie die Körperlichkeit ihrer Musik so auf die Spitze treiben, dass man sich entweder von ihren Frequenzen in Ekstase versetzt fühlt oder instinktiv die Flucht ergreift.

Diese Extremität spiegelt auch Mika Vainio wieder, der sich zeitlebens mit schweren Alkoholproblemen herumschlägt, was in gecancelten Gigs und regelmäßigen Totalabstürzen gipfelt. 2007 kommt das Album "Katodivaihe" auf den Markt, für das Pan Sonic für mehrere Tracks mit der isländischen Komponistin und Cellistin Hildur Guðnadóttir zusammenarbeiten. Auf der Platte konzentrieren sie sich vermehrt auf elektroakustische Komponenten, kommen aber auch gleichzeitig immer mehr im Power Noise an.

Die Chemie des Duos bröckelt zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem. Es lebt sich über die Jahre immer mehr auseinander. Dennoch entsteht mit "Gravitoni" ein weiteres Album. Das erscheint 2010 und stellt das Power Noise-Manifest Pan Sonics dar. Subtilität kommt auf der Platte dennoch nicht zu kurz. Im selben Jahr folgt mit "In the Studio (Synergy Between Mercy and Self-Annihilation Overturned)" ein Kollaborationswerk mit Keiji Haino. 2011 liegen Pan Sonic dann auf Eis.

Zuvor hat sich Vainio unter seinem eigenen Namen mit unter anderem Christian Fennesz zusammengetan, sich mehreren unterschiedlichen Projekten angeschlossen und vier Soloalben veröffentlicht. An seiner Kooperationswilligkeit und seinem Releasehunger ändert sich auch nach Pan Sonic trotz seines Hangs zur Selbstzerstörung nichts. Ein Highlight bildet sein Solowerk "Kilo" von 2013, das an den Power Noise-Sound von "Gravitoni" nahtlos anschließt. Zudem tüftelt er die Musik für die Aufführung von Wagners "Rheingold" bei der Ruhrtriennale 2015 in Bochum aus.

Ein letzter Beweis von den Livequalitäten Pan Sonics erscheint dazwischen auf der Plattenfirma Kvitnu mit "Okstasus", das aus einem Mitschnitt ihres 2009er-Gigs in Kiew besteht. Väisänen veröffentlicht seit 2015 als I-LP-O In Dub mehrere Alben auf der österreichischen Plattenfirma Mego/Editions Mego. 2015 kommen mit dem Filmsoundtrack zu "Atomin Paluu" die finalen Studioaufnahmen Pan Sonics auf den Markt.

Am 12. April 2017 dann der Schock: Mika Vainio verunglückt während eines Frankreich-Aufenthalts tödlich. Ob er nun von einer Klippe gestürzt oder in einem Fluss ertrunken ist: über die Todesursache lässt sich bis heute nur mutmaßen. Kurz zuvor hat sich der Musiker wegen einer neuen Liebe in Oslo niedergelassen. Posthum erscheinen mehrere unveröffentlichte Solo- und Live-Aufnahmen sowie Kollaborationen des Musikers.

Als Reaktion auf den Tod benennt Väisänen Angel in Die Angel um und widmet Vianio das Album "Entropien I". Danach erscheinen weitere Platten des Projekts, die auf die experimentelle Ästhetik Pan Sonics verweisen, ebenso wie die 2018er-Scheibe "Äänet" unter seinem Alias I-LP-ON.

Die hört man auch aus der Rhythmik des Industrial Technos oder aus der Komplexität des Deconstructed Clubs heraus. Darüber hinaus hat der vielseitige Katalog Pan Sonics Musiker aus anderen Bereichen sozialisiert. So nennt der 2018 verstorbene isländische Komponist Jóhann Jóhannsson 2016 in einer Feature-Reihe für The Quietus die Veröffentlichungen der Finnen "absolute Meisterwerke elektronischer Musik, die nur nicht gleich waren".

Alben

Surftipps

  • Vainio im Web

    Gedenkseite für Mika Vainio.

    http://www.mikavainio.com/home
  • Vaihio bei Facebook

    Gedenkseite für Mika Vainio in den sozialen Medien.

    https://www.facebook.com/Mika-Vainio-41778502407
  • Väisänen bei Facebook

    Facebook-Seite von Ilpo Väisänen.

    https://www.facebook.com/IlpoVaeisaenen/

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