laut.de-Kritik
Das Re-Release enthält endlich auch die Elvis Costello-Demos.
Review von Giuliano Benassi1987 erhält Elvis Costellos Manager einen Anruf von Paul McCartneys Manager. Ob Costello nicht Interesse an einer mehrtägigen Songwriting-Session habe? Wenig später sitzen sich die Musiker auf Sesseln gegenüber, Notizbücher vor sich und Klampfen in der Hand.
Beide gehören zu den besten Songschreibern der jeweiligen Generation, beide haben einen geerdeten Zugang zur Musik: Ein Lied ist für sie keine göttliche Eingebung, sondern das Ergebnis handwerklicher Tätigkeit. Drei Stunden am Tag genügen, um einen Song zu schreiben und ein Demo aufzunehmen. Um keine Zeit zu verschwenden, finden die Sessions in einem ehemaligen Bauernhaus südlich von London statt, das der Ex-Beatle umgebaut hat: oben Büro, unten Studio.
Die Zusammenarbeit ist fruchtbar. Costello hatte sich seit seinem Debüt 1977 zu einem der erfolgreichsten britischen Musiker empor gearbeitet und dabei künstlerischen Anspruch und Chartplatzierungen miteinander vereint. McCartney setzte seine Karriere nach dem Ende der Beatles 1970 mit den Wings erfolgreich fort. In den 1980er Jahren sinkt sein Stern altersbedingt, auch wenn ihm mit Michael Jackson ("Say, Say, Say", 1983) und Stevie Wonder ("Ebony And Ivory", 1982) zwei seichte Hits gelingen.
Ende des Jahrzehnts will er wieder durchstarten. Costello ist auch aus anderen Gründen eine gute Wahl: Er stammt aus Liverpool, hat ein tiefe Stimme, einen schnoddrigen Sinn für Humor - und ist Rechtshänder. Da McCartney mit links spielt, spiegeln sich ihre Instrumente, wenn sie sich gegenüber sitzen. Es ist also schon fast wie mit John Lennon.
Ein Umstand, dem sich McCartney natürlich bewusst ist und mit dem er hadert. Nach dem Ende der Beatles spielte er live nur wenige ihrer Stücke. Dazu kommt, dass Costello ein großer Fan der Band ist, was auf die Session abfärbt. Und ihre Produktion. Als sie 1988 wieder zusammen kommen, um die Demos mit der Band einzuspielen, die McCartney in der Zwischenzeit zusammengestellt hat, finden sie keinen gemeinsamen Nenner.
Auf "Flowers In The Dirt" (1989) spielt Costello nur noch eine untergeordnete Rolle. Zwar schaffen es mit "My Brave Face", "You Want Her Too", "Don't Be Careless Love" und "That Day Is Done" vier der gemeinsamen Stücke aufs Album, das seinen Titel aus einer Zeile aus "That Day Is Done" verdankt. Doch McCartney ließ sie noch mal von Mitchell Froome überarbeiten, der für den stark poppigen Anstrich verantwortlich ist.
Am ehesten erkennt man Costello im Sprechgesang von "You Want Her Too". Ansonsten klingt das Album mit seinem Schlagzeughall und den Keyboards stark nach den 1980er Jahren. Trevor Horn, Produzent von Grace Jones und Frankie Goes To Hollywood, kümmerte sich um "Rough Ride", "Figure Of Eight", "How Many People" und "Où Est Le Soleil". Beatles-Produzent George Martin schaute vorbei, um eine Orchesterbegleitung zu "Put It There" zu schreiben, David Gilmour steuerte ein Solo zu "We Got Married" bei. Stücke, die beweisen, dass McCartney auch alleine noch durchaus brauchbare Lieder schreiben konnte.
Das Album erreicht Platz 21 in den USA und Platz 1 in Großbritannien. Vor allem ist es aber die Abschussrampe für McCartneys groß angelegte Welttour, bei der er zum ersten Mal viele Beatles-Hits spielte. Die Bandmitglieder machten sich während der Proben darüber lustig, dass sie die Stücke besser drauf hatten als der Chef, doch auf der Bühne zeigt sich Paul in bester Verfassung. Der Livemitschnitt "Trippin' The Live Fantastic" (1990) ist nach "Wings Over America" (1976) der beste seiner Karriere post Beatles.
Costello ist enttäuscht, profitiert aber ebenfalls von der Session, da er vier Stücke ("Veronica", "Pads, Paws And Claws", "So Like Candy" und "Playboy To A Man") auf den eigenen Alben "Spike" (1989) und "Mighty Like A Rose" (1991) unterbringt. McCartney selbst greift auch noch mal ins Archiv und holt für "Off The Ground" (1993) "Mistress And Maid" und "The Lovers That Never Were" hervor.
Die Demobänder selbst genießen lange einen geruhsamen Schlaf. Im neuen Jahrtausend fragt McCartney bei Costello an, ob sie sich nicht noch mal zusammen setzen könnten, um ein paar neue Lieder zu schreiben und die alten für ein gemeinsames Album zu verwenden, doch daraus wurde offenbar nichts, auch wenn sie immer wieder zusammen musizieren. So singen sie 1999 gemeinsam "All My Loving" beim Benefizkonzert, das McCartney zu Ehren seiner verstorbenen Frau Linda organisiert.
In diesem Sinne ist es erfreulich, dass die Demos 2017 endlich offiziell erscheinen, auch wenn nur als Anhängsel der Remastered-Ausgabe von "Flowers In The Dirt". Es ist eine Freude, dem Duo zu lauschen. Unterhaltungen sind nicht dokumentiert, aber man spürt förmlich, wie sie sich gegenseitig anstacheln. Sie harmonieren erstaunlich gut, zwei Profis, die offenbar Spaß an der Arbeit haben und dank der professionellen Umgebung gut klingen.
Wie mittlerweile Usus erscheint das Album neben der Standard- auch in einer opulenten Deluxe-Ausgabe. Die ihr Geld wert ist, allein wegen des reich bebilderten Begleitbuchs, in dem neben McCartney und Costello auch viele weitere Beteiligte zu Wort kommen. Zusätzlich gibt es eine CD mit den Aufnahmesessions von 1988, eine mit Single-Auskopplungen und Remixes sowie eine DVD mit allen Videos. Die Fotos von Linda McCartney, aus denen das Cover ausgewählt wurde, sind ebenfalls sehenswert wie etwa die Bilddokumentation zum Video von "This One" und eine Promo-Foto-Session.
Besonders liebevoll ist das Faksimile von McCartneys Notizbuch geraten, das Songtexte, Zeichnungen, Anmerkungen und lose Zettel enthält. Einer davon ist ein undatierter Brief Costellos, der kurz nach der Zusammenarbeit entstanden sein muss. "Falls du Lust auf eine weitere Schreibsession hast, brauchst Du mich nur anzurufen", bettelt Costello darin. Zwar hat er 2015 in seiner Autobiographie erklärt, keine weiteren Alben aufnehmen zu wollen, aber vielleicht würde er in diesem Fall eine Ausnahme machen?
6 Kommentare
Ungehoert 1/5, weil Beatles.
Ungehoert 5/5, weil Beatles.
gehört 3/5, weil er nach dem weltklassetrack "live and let die" erst wieder als the fireman mit "electric arguments" so richtig gut wurde.
Ungehört 5/5, weil Paul McCartney.
Beatles sind eindeutig 6/5.
Gehört - insbesondere die Castello-Demos sind top 4/5
Ich persönlich finde Paul ja leicht überbewertet! Er macht netten Pop London Town mochte ich ganz gern, aber als Musiker schätze ich Elvis Costello höher ein.