laut.de-Kritik
Wo der Kaffee löslich ist, aber die Probleme nicht.
Review von Toni HennigIn den letzten fünf Jahren nach "Berliner Republik" haben sich bei Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung, die er damals noch zum Orchester der Versöhnung erweiterte, eine Menge Songs angesammelt. Die bündelt er nun zu "Albanien".
Dabei gesellt sich das gleichnamige Titelstück zu "Thüringen", "Brandenburg", "Doreen aus Mecklenburg", "Sachsen" und "Sachsen-Anhalt". Es entwickelte sich aus der Idee heraus, dass in Brandenburg bezüglich des Essens ja schon ein gehobenerer Standard herrscht und die entlegenen toten Landstriche immer weiter weg liegen, wo man sich noch "mit der Kalaschnikow" zuwinkt und wo der "Kaffee" noch "löslich" ist, aber "die Probleme nicht".
Kritik an der Digitalisierung schwingt mit, wenn es heißt: "alle sind erreichbar, noch im letzten Loch, sprechen mit ihrer Wohnung und die antwortet auch noch." Dafür bleibt zumindest in Albanien "alles wie früher und das ist wunderbar".
Der einheimischen Küche setzen Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung dann mit "Die Region" ein Denkmal. Dort steht auf "regionalen Feldern" noch "das faire Fleisch von morgen neben regionalen Bauern mit regionalen Sorgen".
Grebe zeigt sich mit seinem sowohl witzigen als auch melancholischen Verständnis als Texter im weiteren Verlauf als scharfsinniger Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen oder Stillstände, der den ein oder anderen bissigen Kommentar nicht scheut, etwa in "Das Volk". Dort singt er: "Hier ist die Welt noch in Ordnung, hier stimmt die Chemie / Frauen backen Kuchen und Männer essen sie."
Da erhebt sich der Kabarettist und Musiker zur rockenden "Stimme des Volkes", aber das Volk hat ganz andere, nationale Interessen. Die behandelte er übrigens bereits auf der Bühne, bevor die Pegida überhaupt in Erscheinung trat. Eine Verbindung zum Begriff Nation besitzt er trotzdem nicht, aber besorgniserregend findet er es schon, dass in Brandenburg teilweise ein Viertel der Menschen der AfD ihre Stimme geben, sagte er kürzlich in einem Interview für Deutschlandfunk Kultur.
Einige Nummern kennt man von seinem Solo-Live-Album "Das Elfenbeinkonzert" von 2017, nämlich "Junge", "Auf Sicht", "Der Bass Muss Laufen" und "Zusammenhang". Vor allem das letztgenannte Stück zeugt von viel Reflexionsvermögen, wenn er zwischen scheinbar unvereinbaren Dingen wie der "Miss Germany" und dem "Islam" einen "Zusammenhang" versucht herzustellen, denn letzten Endes hängt ja doch irgendwie "alles zusammen".
Darüber hinaus nimmt er das auseinander, was man "Typisch Deutsch" nennt. Von Massentourismus ("Urlaub") und Körperkult ("Fitnessstudio") hält er nicht viel. Und wann "begann" das eigentlich mal mit dem "Anadigiding" ("Anadigi")? "Das Wirtschaftswunder hat ja auch geklappt ohne Whatsappgruppe." Eine Antwort dazu findet auch Grebe nicht, kommt jedoch zu der Erkenntnis: "Wir leben in der besten aller Welten, ach wenn's doch so wär'."
Die Band sorgt zumeist für eine unaufdringlich rockige Begleitung, vereinzelt mit Klavier-Tönen Rainalds und klanglichen Zitaten verfeinert, so dass man sich überwiegend auf seine Betrachtungen konzentriert. Außerdem erweitert sie den Sound um Reggae ("Die Region"), Jazz ("Der Bass Muss Laufen") oder elektronische Klänge ("Fitnessstudio"), das allerdings nicht immer gelungen. Im Grunde genommen haben Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung schon seit eh und je mehr von den Texten gelebt als von melodischem Einfallsreichtum, woran man sich aber schon längst gewöhnt hat.
Die Texte offenbaren immer noch etwas Tragisches, gut nachzuhören in "Im Film". Das handelt davon, "wie im Film" zu leben und aus diesem Zustand ausbrechen zu wollen: "Ich hab's versucht, bitte schreibt mich aus der Rolle raus." So richtig raus aus ihrer Rolle schafft es die besungene Figur aber nicht mal im wahren Leben: "Danke Ma, danke Pa, wie war ich, sag mir, wie ich war." Wie einst in "Massenkompatibel" kommt auch hier eine gewisse emotionale Zerrissenheit zum Vorschein.
Sonst bestimmt größtenteils ein eher sonnig lockerer Ton das Werk, obwohl es Grebe an Biss nach wie vor nicht mangelt. Er weiß es schließlich, die Zeichen der Zeit zu deuten und in einem größeren "Zusammenhang" zu stellen. Und so ein bisschen Unbeschwertheit passt ja ohnehin zur gerade andauernden Hitzewelle ganz gut. Die überträgt sich hoffentlich auch bei den bald anstehenden Deutschland-Terminen aufs Publikum.
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