laut.de-Kritik

Abseitig, liebestrunken, wunderbar.

Review von

Eine der ungeschriebenen Regeln auf Social Media lautet ja, dass es auf Instagram allen besser geht als dir selbst, auf Twitter sind alle dagegen noch miserabler drauf. Da wird nicht unbedingt gesoftlaunched, Trennungen müssen nicht entschlüsselt werden durch Checks, wer wem nicht mehr folgt. Twitter-User*innen schreiben aufgeregt über Crushes, berichten von schlecht gelaufenen ersten Dates und lassen ihre Follower*innen (und potenziell das gesamte Internet) an Trennungen teilweise in Echtzeit teilhaben. Genau so fühlt sich "Subjektiv Betrachtet" an, das Debütalbum des Wieners Salò. Ironischerweise findet man Andreas Binder, wie der Wiener im Bürgeramt heißt, gar nicht auf Twitter. Trotzdem macht er Musik, die so hyperaktiv, idiosynkratisch und zutiefst ehrlich ist, wie es nur die besten Twitter-User*innen sein können.

Schon der Opener "Offne Gruben Offne Fenster" spielt mit diesem Gegensatz aus depressiven Gedanken und dem inneren Zwang, trotzdem noch alles konsumfreundlich-witzig zu verpacken, wenn Salò als erste Zeilen des Albums: "Wenn das Leben eine Scheibe ist / Dann wär ich gern ein Boot / Dann fahr ich bis ans Ende der Welt / Und schmeiß mich selbst über die Reling" singt. Wobei Singen auf "Subjektiv Betrachtet" häufig nicht das richtige Verb ist. Vielmehr keucht, schnauft und stößt Salò seine Zeilen aus sich heraus. Sein Gesang ist, ganz im Kontrast zu seinen Texten, meistens schwerfällig und von einer gewissen Antriebslosigkeit getrieben.

Der große Kunstgriff auf "Subjektiv Betrachtet" ist nun, wie viel Spaß diese Platte trotzdem (oder vielleicht auch deswegen) macht. Denn Salò verortet sich musikalisch eigentlich da, wo aktuell all die Cool Kids abhängen: In der Neuen Deutschen Welle. Das Schlagzeug ist durchgängig trocken und stoisch, die Instrumentals meistens minimalistisch arrangiert, sodass jeder noch so seltsame Einfall den Raum bekommt, den er verdient.

In seiner Spielfreude erinnert Salò dabei entfernt an Extrabreit und Geier Sturzflug, vor Schlager hat "Subjektiv Betrachtet" zu keiner Sekunde Angst. Die liebestrunkene Lotterlebenhymne "AMS (Heiter Bis Wolkig)" beginnt mit einer wunderbar tagträumerischen Schunkelgitarre, während Salò so wunderbare Bilder entwirft wie "Weil am Arbeitsmarkt ist heute Schlussverkauf / Und dafür da macht man sich schick." Das Sakko ist von H&M geliehen, der Trip nach Venedig muss auf Pump finanziert werden, aber eigentlich träumt Binder nur von "Arbeitslos plus", fernab der Sanktionen des Neoliberalismus. Denn am Ende geht es doch nur um die Liebe, oder, wie "AMS (Heiter Bis Wolkig)" es zusammenfasst: "Vom Küssen da kommen die Kinder / Vom Arbeitsamt da kommt das Geld."

Nach Liebe sucht "Subjektiv Betrachtet" in eigentlich jedem Song. Das knarzende "Schwiegersohn" ist zwar an der Oberfläche eine Parodie glattpolierter Social Media-Präsenzen mit "Hyaluron am Sack / Auf der Brust Calvin Klein" aber der ärztliche "Schrei Nach Liebe" bleibt derselbe: "Ich bin dein Schwiegersohn / Nimm mich in den Arm / Bitte / Bitte hab mich lieb". Dazu klingt Binder wunderbar aggressiv, aufgekratzt, vor lauter unerwiderter Sehnsucht scheint er beinahe wahnsinnig geworden.

Noch expliziter wird er im darauffolgenden "Wo Willst Du Hin", in dem vor allem der Refrain mit seinen minimalistischen Hardcore-Gitarren heraussticht. Ohne übertriebene Sentimentalität fragt er sich selbst: "Wo willst du hin?" und scheint wenig Mitleid mit dem eigenen Spiegelbild zu haben. Dieses ist schließlich "ständig verliebt" und kriegt nix auf die Kette.

Manchmal wirkt es ganz kurz so, als würde "Subjektiv Betrachtet" in einen bloßen Witz abdriften, wenn Binder seinen eigenen Wortwitz zu sehr an die Oberfläche kehrt, wie im beschwingt-beiläufigen Verschwörungstheoretikersong "Ich Glaube Nicht An Dinosaurier". Dessen erste Hälfte besteht eigentlich nur aus (berechtigten) Witzen über diese verdammt seltsamen Gestalten, gibt sie der Lächerlichtkeit preis. Salò läuft zur Höchstform auf, Zeilen wie "Ich glaube nicht an Dinosaurier / ich glaube nicht an Gina Wild" sind an Garstigkeit kaum zu übertreffen, bis er es dann doch schafft mit "Ich glaube nicht an euren Mond / Ich glaube nicht / Dass dort wirklich wer wohnt" die Lächerlichkeit noch mal zu steigern. Aber dann, als der Song eigentlich wie ein sehr lustiger Witz scheint, gibt er ihm doch noch eine zweite Ebene: das Persönliche. "Bitte verlass mich nicht / Weil ohne dich da bin ich / Mittlerweile ganz schön allein" fleht sein Ich-Erzähler auf einmal und sofort geht es gar nicht mehr um 9/11 und die Mondlandung, sondern die Einsamkeit.

Und wo geht man, hin, wenn man einsam ist? Ins Internet und sucht sich dort seine kleine Gruppe, oder zumindest eine "Internetfreundin". Die findet Binder im gleichnamigen Song in Mia Morgan, die als ehemalige Tumblr-Microberühmtheit, Nine Inch Nails-meets-Bubblegumpop-Musikerin und Internet-Versteherin pár excellence die perfekte Featuregästin darstellt. Während Salòs Figur hoffnungslos verliebt ist in seine Internetfreundin, zeigt Morgan ihm eher die kalte Schulter. "Ich bin die ganze Zeit am Handy / Weil du bist mein Dopamin" singt er liebestrunken, während Claps und eine atemlose Y2K-Pop Punk-Gitarre ihn beinahe über die eigenen Worte stolpern lassen. Seine "Internetfreundin" scheint da deutlich kühler: "Und manchmal lass ich zu / Dass ich aus Langeweile / Auf verliebt sein für ihn tu." Aber auch sie ist in der selben asymmetrischen Konstellation gefangen: "Doch die Frau die ich begehre / Kommt aus einer anderen Sphäre / Und ich wart den ganzen Tag / Dass sie mich anschreibt."

Am Ende erlaubt sich "Subjektiv Betrachtet" sogar noch eine ganz unverstellten, unvermittelten Blick auf die eigene Traurigkeit. Folgt der "Mann Ohne Leidenschaften", der Ketamin nimmt, um was zu fühlen, am Anfang noch der alten Morrissey Formel "Trauriger Text, fröhliche Musik", so geben sich "Alle Meine Katzen" und "Wie Viel Kalorien Hat der Wahn" vollends der Sadness hin. Erstgenanntes mag anfangs leicht abseitig wirken, wenn Binder "Alle meine Katzen / Sind schon seit 20 Jahren tot / Das liegt daran dass meine Mamama / An der Bundesstraße wohnt" singt. Doch je länger der Song andauert, desto trauriger wird er selbst, er will zu den letzten Ruhestätten seiner Freunde fahren, dort picknicken, voller Schwermut singt er "Warum geht alles Schöne kaputt / Warum stirbt ein jedes Tier in meiner Hood". Dazu sind die Drums so schön schwer und mechanisch, es ist zum Heulen schön.

Ganz aus der Reihe (oder zumindest ein bisschen) tanzt dann zum Abschluss "Wie Viel Kalorien Hat Der Wahn". Der Closer ist dichter arrangiert als das bisherige Album, mit dem vertappsten Schlagzeug und dem sphärischen Synthesizer entsteht eine luzide Atmosphäre, in der Salò mit sich selbst und seinem Beziehungsverhalten abrechnet: "Ich fühl mich als wär ich nur ein Kind / Das nicht weiß wie die Liebe geht." Dazwischen fragt sein Opa, wo all die Rockabilys hin sind, Oma fragt nach den Punks und Binder selbst fragt: "Warum will ich eigentlich immer die Frauen / Die mich eigentlich nicht haben wollen?"

Trackliste

  1. 1. Offne Gruben Offne Fenster
  2. 2. Mann Ohne Leidenschaften
  3. 3. AMS (Heiter Bis Wolkig)
  4. 4. Schwiegersohn
  5. 5. Wo Willst Du Hin
  6. 6. Geil Auf Betong
  7. 7. Internetfreundin (feat. Mia Morgan)
  8. 8. Ich Glaube Nicht An Dinosaurier
  9. 9. Alle Meine Katzen
  10. 10. Analog (Remastered)
  11. 11. Wie Viel Kalorien Hat Der Wahn

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