13. Januar 2022
"Die natürlichen Feinde sterben aus"
Interview geführt von Rinko HeidrichKurz vor der Berlin-Premiere der Dokumentation "FCK 2020" ergab sich die Möglichkeit für ein Interview mit H.P. Baxxter und Regisseurin Cordula Kablitz-Post. Ein Gespräch über Westbam, der spät noch zum Scooter-Fan wurde, Unterschiede zwischen der deutschen und britischen Kultur und ein ernstes Thema zum Schluss.
Plötzlich aufflackerndes Blitzlichtgewitter im luxuriösen Hotel Zoo. Eine Sekunde lang denke ich, dass Deutschland doch noch mein Genie anerkennt, und grinse mit feinstem Zahnpasta-Lächeln. Die unverhoffte Aufmerksamkeit entpuppt sich leider nur als nettes Licht-Gimmick in der Aufzugkabine. Ein paar Etagen weiter oben stehen H.P. Baxxter und Cordula Kablitz-Post zum Interview bereit. Der blonde Große und die große Blonde harmonieren gut miteinander und geben gut gelaunt Auskunft über den Film "FCK 2020".
Ihr hattet bereits eine Premiere in Hamburg. Wie fielen die Reaktionen aus? Gab es eine bestimmte Szene, auf die der Saal besonders reagiert hat?
Cordula: Ach, da gab es viele Szenen, nicht nur eine. Die Stimmung in Hamburg war richtig gut und ich war auch ziemlich aufgeregt, weil das die erste Vorführung des Films war. Da weißt du ja nie, wie das Publikum nun den Film annimmt. Gerade in Hamburg, wo H.P. wohnt, gilt ja der eigene Prophet im Land nicht so viel, gerade dort sind die Leute besonders kritisch.
H.P.: Fand ich auch. Die Stimmung war gut und die Leute haben viel gelacht. Was ich aber bemerkenswert fand: Wir hatten ja auch eine Vorführung beim Tallinn Black Nights Film Festival, und da wurde dann an ganz anderen Stellen gelacht. Das ist schon verrückt, wie unterschiedlich das aufgenommen wird. Da gab es Szenen, wo ich dachte: Na, jetzt lachen sie gleich bestimmt alle, und da war einfach nur Stille. Und dann kam plötzlich Gelächter bei Stellen, wo ich das nicht so erwartet habe.
Cordula: Interessant, ich habe das eher gegensätzlich aufgefasst, also, dass die an den gleichen Stellen wie hier lachen. Die Gags sind ja international verständlich.
H.P.: Nee, also die haben wirklich an komplett anderen Stellen gelacht. Aber ist ja dann auch egal. Meine größte Sorge war eher, dass die Leute den Film doch nicht so toll oder langweilig finden, vor allem für Leute, die keine Scooter-Fans sind.
Ich muss, nachdem ich den Film schon im Screener sah, nun doch eine nicht ganz ernstgemeinte Frage stellen. Cordula, würdest du H.P. als einen Spaßdiktator bezeichnen?
H.P.: (lacht laut)
Cordula: Nö, auf keinen Fall! Wenn er sauer wird, dann hat das ja den Grund, dass ihn etwas nervt. Das war beim Konzert in Tallinn zu beobachten, dass H.P. da besonders unter Druck stand. Er stand ja so lange nicht mehr auf der Bühne, und dann dieser Druck und die Nervosität. Diese ganzen Sorgen: "Was passiert, wenn ich die einfachsten Textstellen vergesse?" Ein Außensteher kann sich gar nicht so gut vorstellen, wie das ist, wie schnell so eine selbstverständliche Routine plötzlich aus dem Kopf ist.
H.P.: Die Sache ist ja auch, dass ich letztendlich gar keinen Text vergessen habe, aber du GLAUBST es eben vorher. Auf der Bühne war dann alles direkt da, aber die Sorge vorher eben auch. Mit "Spaßdiktator" meinst du aber auch bestimmt diese Kommandos. Wie ich da Anweisungen an das Publikum gebe. "Put your hands in the air!" Das ist alles noch aus der Anfangsphase, wo ich noch verstärkt Ansagen gegeben habe.
Cordula: Da fällt mir aber noch eine Szene ein, als du unbedingt deine Soundanlage in deinem Raum haben möchtest. Die ist aber dann in einem anderen Raum, der allerdings ganz genauso aussieht. Du möchtest aber in diesem Raum bleiben: "Nee, die Aura ist hier besser!" Aber du lachst ja dann selber nach solchen Sätzen und meinst das nicht todernst.
H.P.: Nee, das ist auch eine Mischung aus Entertainment, auch für einen selber. Ist ja auch etwas lustig, wenn das für einen umgebaut wird, und dann gibt es für mich tatsächlich so Räume, wo ich mich überhaupt nicht wohlfühle. Wichtig ist dann, wo die Anlage steht. Also nicht neben einer Tür, die ständig auf und zugeschlagen wird. Dann sage ich eben: "Nee, die Anlage möchte ich genau da haben."
Cordula: (grinst) Das nennt man dann Feng-Shui! Du benötigst wahrscheinlich demnächst eine Meisterin, die das mal sachkundig auspendelt.
(beide lachen)
Cordula, du hast ja auch bereits mit deiner "Durch Die Nacht..."-Serie auf arte oder mit Christoph Schlingensief viele Erfahrungen mit verschiedenen Persönlichkeiten und Charakteren gesammelt. Wie ordnest du da H.P. ein?
Cordula: Das ist lustig, dass du das ansprichst. Ich frage mich das manchmal selber, aber ich suche auf jeden Fall immer gerne extreme Künstler, die nicht so glattgebügelt oder langweilig sind. Also, die nur ihre Marketing-Absichten über alles stellen und dann so eine perfekte Hülle nach außen tragen.
H.P. ist da natürlich ein idealer Protagonist. Er ist nie langweilig und immer schön widersprüchlich. Diese Wohnung, die aussieht wie bei einem Landlord! Dann feiert er bis morgens um sechs und trinkt alle unter den Tisch. Wir schlafen da schon längst alle. Aber, nee, diese Widersprüche sind wirklich toll für den Film. Ich habe ihn ja nun selber zweieinhalb Jahre persönlich erlebt, und da ist absolut nichts verstellt. Ich durfte alles mitdrehen, auch die Konflikte.
"Für Westbam war unerträglich, wenn andere Erfolg hatten"
Was mir auch während des Films auffiel: Scooter beziehungsweise H.P. nimmt seinen Humor ernst. Er hüpft da ja nicht mit einem Clownskostüm auf der Bühne herum und bringt auch die vielleicht lustigen Textzeilen professionell rüber. Das machen die Amerikaner oder gerade Engländer auch so, dass sie Humor als Kunst verstehen und das würdigen.
H.P.: Das stimmt. Überhaupt sind hier in Deutschland Party oder positive Vibes sehr verpönt und gar nicht angesagt. Ich habe immer das Gefühl, dass hier alles so bedeutungsschwanger sein muss, möglichst mit viel Weltschmerz dabei. Wenn du das alles erfüllst, wirst du hier ernst genommen. Das ist in Großbritannien ganz anders. Wir hatten ja in Irland schon 1995 Auftritte und sind durch das Land getourt. Da merkst du auch bei jeder Kassiererin oder egal, wer das ist, dass die Leute die Musik komplett in ihren Alltag aufnehmen und viel mehr wertschätzen. Das hat da einen komplett anderen Stellenwert. Auch bei Interviews: Die haben nichts vergessen und überhaupt großes Popwissen. Das ist da einfach fester Bestandteil der Kultur. Das ist gewachsen. In Deutschland ist Musik immer eher so Beiwerk.
Cordula: Die Trennung in E und U ist in Deutschland besonders wichtig. Dazu kommt dieses romantische Bild des Künstlers, der für die Kunst leiden muss. Wenn du das nicht erfüllst, bist du kein richtiger Künstler.
Oh ja, Spaß gilt hier sofort als sehr verdächtig. Aber eigentlich hat das Feuilleton dich ja mittlerweile sogar akzeptiert, assimiliert hoffentlich noch nicht. Ich erinnere mich noch an deine Aussage in der "Durch die Nacht..."-Folge mit Heinz Strunk, dass du sofort aufhören möchtest, wenn die dich ernst nehmen.
H.P.: (lacht)
Cordula: Ach, stimmt ja! Das weiß ich schon gar nicht mehr, und ich habe das produziert!
H.P.: Die Gefahr ist eher: Die natürlichen Feinde sterben aus! Das ist in der Revolution immer gefährlich. In der Doku waren aber eher dieser Frust über die Corona-Regelungen und die damit bedingten unterschiedlichen Auftrittsbedingungen mein neues Hauptziel. Naja, so sucht man sich immer was Neues. Nee, aber ernsthaft: So ganz krass hat sich unsere Rezeption auch nicht geändert. Wir werden ja auch jetzt nicht überall über den grünen Klee gelobt. Wir bekommen immer noch hier und da unser Fett weg, aber auch mit einem Augenzwinkern. Nee, aber das ist jetzt schon wesentlich angenehmer, als wenn du wie früher ständig einen drauf bekommst und du richtig heftig verrissen wirst.
Wenn dich nun auf einmal alle geil finden, ist das ja auch komisch und vielleicht ist diese ganze Speichelleckerei gar nicht gut.
H.P.: Ja, da wundere ich mich auch drüber. Wir machen ja im Prinzip das Gleiche wie gehabt, und plötzlich finden das alle ganz toll, obwohl wir das ja nur mit modernen Mitteln etwas verändern. Der Style ist genau wie vor 30 Jahren.
Cordula: Wenn ich mich gerade erinnere: Als das alles mit euch losging, da war VIVA noch ganz neu und "Hyper, Hyper" lief auf Heavy Rotation, den ganzen Tag. Da habe ich euch das erste Mal wahrgenommen und sofort gedacht: Das ist was ganz Eigenes und nicht der übliche Techno aus den Clubs. Das gab es da einfach noch nicht, diese Art Sprechgesang-Parolen auf Techno-Beats. Du hast da schon ein eigenes Genre kreiert. Du hattest ja diese Einflüsse aus England und von den Raves und den MCs mitgebracht. Das war jedenfalls in Deutschland noch nicht üblich, und Westbam hat direkt gesagt, dass ihr die schlechteste Platte der Welt veröffentlicht habt. Jens Thele (Gründungsmitglied von Scooter, Labelchef von Kontor) sagt das ja auch in der Doku: Wenn es Westbam scheiße findet, dann wird die Scheibe ein Hit. Seine Plattenfirma Low Spirit hatte ja damals die Coolness gepachtet, die waren Marktführer im Techno-Bereich. Für die war es unerträglich, wenn andere auch Erfolg hatten.
H.P.: Aber wie schön ist es doch, wenn sich der Kreis schließt. Ich habe mal nach einer Show in Dresden gefragt: "Wo kann man hier noch feiern gehen?", und dann kam die Antwort: "Westbam legt heute auf." Ich also dahin gegangen, und dann unterhalten wir uns backstage ausführlich über Thomas Bernhardt. Der hatte immer gedacht, dass ich meine Vorliebe für Bernhardts Bücher nur als PR-Gag nutze. War ein schöner Abend, und dann bekomme ich später von ihm die Nachricht, ob ich ihm vielleicht ein T-Shirt mit "Hyper, Hyper" drauf schenke könne.
"Ich hatte dieses Urvertrauen nicht mehr"
Ich war in den Neunzigern noch ein sehr Punk-sozialisierter Teenager und ich weiß noch, wie wir euch als "Kirmestechno-Kasper" verunglimpft haben. Jetzt, Jahre später, merkt man, dass bei vielen unserer ach so coolen Punk-Bands auch extrem viel aufgesetztes Image dabei war. Da wurde auf der Bühne wer weiß was erzählt, und backstage sah dann doch alles ganz anders aus. Das war schon verlogen. Ich finde euch jedenfalls wesentlich ehrlicher und fühle mich da nicht komplett verscheißert.
H.P.: Ist das echt so, mit den Punk-Bands? Hm, ich bin ja jetzt nicht so in der Szene drin. Aber ich bin seit meiner Jugend ein großer Lemmy Kilmister-Fan. Das ist für mich der Inbegriff von Authentizität. Ich war bei seinem vorletzten Motörhead-Konzert vor seinem Tod, und das war tatsächlich auch mein erstes Motörhead-Konzert überhaupt. Und da steht der komplett unbeeindruckt mit seinem Bass vor den riesigen Boxen und macht keinen Bullshit. Das hat man wirklich mittlerweile sehr selten.
Jedenfalls gibt es ja nun zwei vakante Stellen bei Scooter. Falls jemand Bock hat: Was muss in die Stellenausschreibung rein?
H.P.: (lacht) Also, Spaß an der Musik wäre jedenfalls schon mal nicht schlecht. Spaß am Feiern natürlich auch Voraussetzung. Und man sollte auch im Studio vielleicht ganz gut rumschrauben können.
Cordula: Also, ich bewerbe mich da einfach jetzt!
Management: Okay, wir sind dann jetzt auch am Schuss. Perfektes Timing. Hast du noch eine allerletzte Frage?
Puh, aber die ist dann doch etwas ernst, und eigentlich war das gerade ein schöner Abschluss. Aber tatsächlich haben wir noch die Gemeinsamkeit, dass unsere Väter beide an der Dialyse waren. Das hat mir als Kind viel von dem Sicherheitsgefühl genommen. War das bei dir auch so?
H.P.: Ich hatte dieses Urvertrauen nicht mehr. Das hatte auf mich jedenfalls einen Einfluss, dass ich so denke: Ja, leb' hier und jetzt und nimm alles mit. Es war auch bei uns so, dass wir mit einer Unsicherheit aufwuchsen und Vater häufig im Krankenhaus war. Ja stimmt, das ist auch ein wichtiger Grund, warum ich das hier alles so mache.
Später kommt H.P. ehrlich interessiert noch zu mir rüber, und wir unterhalten uns über dieses ernste und sehr private Thema Dialyse weiter. Ich nutze diese Stelle und möchte euch alle darum bitten, einen Spenderausweis auszufüllen und euch über Organspende zu informieren. Es hat zumindest mir noch viele Jahre mit meinem Vater, der eine Spenderniere bekam, möglich gemacht. Und schaut den Scooter-Film im Kino, denn gerade dort bekommt ihr das Maximum an fettem Sound.
3 Kommentare mit 6 Antworten
… Überhaupt sind hier in Deutschland Party oder positive Vibes sehr verpönt und gar nicht angesagt.…
… Oh ja, Spaß gilt hier sofort als sehr verdächtig.…
Ach komm, hört doch auf
Der leidet halt an Wahrnehmungsstörungen, sieht man ja auch der Stelle über die Lacher bei der Erstaufführung.
„Ich nutze diese Stelle und möchte euch alle darum bitten, einen Spenderausweis auszufüllen und euch über Organspende zu informieren.“
Sollte keine Pflicht sein, aber Egoist, wer es nicht von sich aus macht.
Findest du? MMn könnte das ruhig festgeschrieben sein, bzw. sollte zumindest der Einspruch dagegen anzeigepflichtig werden, nicht wie bisher umgekehrt.
Bin kein großer Freund von Verpflichtungen. Problem: mit dem gesunden Menschenverstand ist es bei vielen leider nicht weit her. Die denken dann direkt wieder, man wolle ihre Zirbeldrüse ernten.
Für mich gibt es jedenfalls keinen rationalen Grund, seine Organe nicht zu spenden.
Ich kenne einen Grund, der zumindest nicht totaler Quatsch ist: Die Angehörigen bekommen nicht das gleiche, abschließende Erlebnis. Anstatt das der Stecker gezogen wird und die Angehörigen den Körper dabei begleiten können, wie ihm die letzten Lebenszeichen entfleuchen, müssen sie sich vom noch atmenden Körper verabschieden, was, denke ich, schon nochmal traumatischer ist, als die andere Alternative.
Andererseits können die Angehörigen evtl auch noch darauf "stolz" sein, dass der verstorbende Mensch noch etwas gutes tun konnte, bzw sich freuen, dass der Wunsch des verstorbenen zu etwas Gutem führte.
für die angehörigen halt auch ziemlich traumatisierend, wenn sie dann für die*den verstorbene*n eine entscheidung treffen müssen. wüsste also nicht, was dagegen spricht, die bereitschaft zur organspende (oder eben die nicht-bereitschaft) beispielsweise bei der ausstellung eines personalausweises oder so verpflichtend mit abzufragen.
Also ich bin noch putzmunter. Keine Ahnung, was H.P. da labert.
Ich bin auch noch nicht ausgestorben.