laut.de-Biographie
Stereo Total
"Es ist schön, Mädschen zu sein", sagt Francoise Cactus und ist wie immer sehr stark um ihren französischen Akzent bemüht. Das Markenzeichen von Stereo Total. Es geht um Pop-Trash aus deutschen Landen – richtig guter noch dazu. "Witzisch", wie Francoise Cactus zu sagen pflegt.
1991 beginnt Brezel Göring, seines Zeichens "From Bohemia, A Part Of Chechoslowakia", an Gitarre und Orgel, während Francoise Cactus singt. Beide leben in Berlin und sind froh darum. So einengende Dinge wie beispielsweise die Musikbezeichnungen "Hamburger Schule" mögen die beiden gar nicht. Klingt zu stark nach Disziplin und zu wenig nach Spaß. Und Spaß ist Stereo Total wichtig. Darum fühlen sie sich in der Freiheit versprechenden Hauptstadt pudelwohl.
Ihre verquasten punkigen Synthiepop-Stücke, immer mit viel Drive und der über allem stehenden erotisierenden Stimme von Francoise verwehren sich in erster Regel gegen eines – Ernsthaftigkeit. Nicht zuletzt das Stilmittel deutsch zu singen und diesen Hardcore-Französisch-Akzent zu mimen, drückt dies schon recht deutlich aus. Systematisch verweigert man sich damit auch einer Haltung von Political Correctness, die für ihr Umfeld nicht ganz unbedeutend ist.
Unverkrampftheit prägt so auch die Haltung von Weiblichkeit, die Cactus mit ihrer gesamten Performance prägt. "Isch finde Bands, die nur Jungs haben, langweilisch", sagt Francoise, "isch find' besser Bands mit Mädschen drin". Womit eigentlich alles gesagt wäre, was es zu diesem Thema zu sagen gibt. Als Song hört sich das auf dem 1999 erschienenen Album "My Melodie" im Titel "Alexander" dann so an: "Isch liebe disch Alexander, du bringst misch durscheinander".
Ein Jahr davor stoßen beim dritten Album "Juke-Box Alarm" noch zwei weitere Freaks zur Band: Angie Reed schrubbt den Bass und San Reimo fummelt zusätzlich an der Orgel. Die Vierer-Band geht aber nur noch ein weiteres Album lang gut. Nach "My Melodie" verabschieden sich die beiden Kurzzeit-Neuen in Richtung unbestimmt (Angie Reed) und zum Nebenprojekt Jeans Team (San Reimo), das sich 2001 zum neuen Chartbreaker der Indie-Discos entwickelt. Nach Ersatz sucht man gar nicht mehr. Francoise und Brezel sind auch ohne Begleiter gut genug, ein tolles Album aufzunehmen und veröffentlichen im Oktober 2001 "Musique Automatique". Immer noch schrill, durchgeknallt und obertrashig und supercool.
Danach beenden die zwei die langjährige Zusammenarbeit mit Bungalow Records, "Do The Bambi" (2005) erscheint bereits bei Disko B. Nachdem "Musique Automatique" Stereo Total über den gesamten Globus bekannt macht, erscheint es sogar in drei Versionen - deutsch, englisch und französisch. Aber auch auf der deutschen Version finden sich reichlich französische Texte. Neben dem Spaß scheint ein neuer, ernster Aspekt im Schaffen des Duos hinzugekommen zu sein. So behandelt der Song "Babystrich" das Thema der Kinderprostitution am Bahnhof Zoo.
Die erste Best Of "Party Anticonformiste" (2007) bietet einen gelungenen Rückblick auf die erfolgreichen Jahre bei Bungalow. Doch nur bereits Bekanntes aufzuwärmen, liegt Stereo Total nicht. Schon bald gesellt sich zum Best Of- auch ein neues Album: "Paris - Berlin" gibt sich sozialkritisch kontrovers ("Ich Bin Der Stricherjunge") und steckt selbstverständlich voller semi-ironischem Spaß. Zwischendrin touren Stereo Total mal eben durch die gesamte Welt und spielen in Paris neben den Beastie Boys.
Internationale Kultiviertheit und die Erweiterung des eigenen kültürellen Pop-Kosmos spielt beim frankophilen Duett eine immer größere Rolle. Neben diversen Veröffentlichungen im Ausland geben sie sich auch der Vertonung von Filmen mit ihrer ganzen Leidenschaft hin. "Nekromantik" heißt zum Beispiel eine Live-Kreation zu einem Film von Regisseur Jörg Buttgereit.
Die Talentschmiede der beiden Hauptprotagonisten umfasst ein weites Feld der künstlerischen Tätigkeiten. Neben Stereo Total schreibt, liest, malt und häkelt Madame Cactus auch dadaistische Wollitas, und man trifft das Häkellieschen auf einigen Ausstellungen. Ihr männliche Hälfte Brezel tobt sich derweil in anderen Musikprojekten aus und hütet sein eigenes Plattenlabel Verboten In Deutschland.
Im Februar 2021 erreicht die Öffentlichkeit die traurige Nachricht, dass Sängerin Francoise gestorben ist. Sie wurde nur 57 Jahre alt.
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