24. Juni 2024
"Peter Gabriel wollte ein starkes Statement setzen"
Interview geführt von Dennis RiegerSechs Deutschlandkonzerte Steve Hacketts stehen an. Im Gepäck hat der ehemalige Genesis-Gitarrist unter anderem die Highlights des legendären Albums "The Lamb Lies Down On Broadway" – ein guter Grund für eine Zoom-Audienz bei einem der großen Rock-Intellektuellen.
Es gibt Musiker, denen man alles aus der Nase ziehen muss – zumindest wenn es nicht um ihr neues Album geht. Und es gibt Musiker, denen man nur Stichwörter nennen muss, damit diese minutenlang Anekdoten aus ihrer Karriere und ihr Wissen um die Musikgeschichte, das Fliegende Spaghettimonster und die Welt preisgeben. Steve Hackett gehört zur zweitgenannten Kategorie – zum Glück, denn er hat viel Interessantes zu berichten, nicht nur zur Geschichte seiner alten Band.
Via Zoom sprach ich mit dem Ausnahmegitarristen über die Arbeit an "The Lamb Lies Down On Broadway" und seine anstehende Genesis-Revisited-Tour, in deren Fokus die Highlights aus jenem legendären Album stehen werden.
Für mich ist das "Lamb" nicht nur das beste Genesis-Album, sondern eines der besten Alben überhaupt. Warum haben Sie sich dazu entschieden, erst jetzt, nach so vielen anderen Genesis-Revisited-Touren, mit dem Album im Gepäck zu touren? Ist der 50. Geburtstag des Albums der Hauptgrund, warum Sie dieses Jahr mit dem Album auf Tour gehen?
Der 50. Geburtstag ist einer der Gründe. Wir werden allerdings nicht das Album in seiner Gesamtheit spielen. Die meisten Genesis-Bandmitglieder hatten das Gefühl, dass das Album als Einzelalbum [anstelle eines Doppelalbums; Anmerkung der Redaktion] stärker geworden wäre. Es gibt ziemlich viele Wiederholungen und viel atmosphärisches Zeug auf dem Album.
Wenn Sie das vollständige Album lieben, bin ich sehr, sehr zufrieden. Was mich angeht: Selbst die Ideen, die ich selbst einbrachte, waren meiner Meinung nach nicht meine besten. Für mich war klar, dass wir das Beste aus dem Album auf der anstehenden Tour spielen werden.
Dieses Jahr tourten wir bereits durch Amerika mit "Foxtrot" und spielten drei Songs aus meinem aktuellen Album, "The Circus And The Nightwhale". Und wir bekamen positive Rückmeldungen. Zudem war das neue Album kommerziell wesentlich erfolgreicher als die vorangegangenen Alben. Es gibt also keinen Grund, meine neueste Musik auf der anstehenden Tour zu ignorieren.
Wie erklären Sie sich den Erfolg von "The Circus And The Nightwhale"?
Ich denke, er rührt daher, dass es eine Geschichte gibt, die das Album begleitet. Durch die Art, wie das Album eröffnet wird, versuche ich das Jahr 1950, in dem ich geboren wurde, mit musikalischen Mitteln zu beschreiben – ein Jahr der Dampflokomotiven und vieler Dinge, die wir nicht mehr haben.
Im ersten Song des Albums, "People Of The Smoke", kann man erahnen, wie es damals war, man bekommt etwa einen Eindruck davon, wie das Radio damals – wörtlich genommen – klang. Man hört den sehr bevormundenden Ton, der damals in der BBC vorherrschte. Das wollte ich unbedingt zeigen. Es gab eine Radiosendung für Kinder namens "Listen With Mother", in der die Frage "Are you sitting comfortably?" gestellt wurde. Die BBC war damals die Stimme Englands.
Das Sample aus "Listen With Mother" wird von einem Streichorchester abgelöst, das Streichorchester wiederum von einer Rockband.
Die Hörer mögen die Tatsache, dass ich auf dem Album eher mit der Musik aus der damaligen Ära beginne als mit der Musik, die man von mir aus der Vergangenheit kennt.
Ich denke, es ist die Rahmung des Albums, die seinen Erfolg erklärt. Musikalische Vielfalt habe ich immer gemocht. Und dafür wurde ich in der Vergangenheit kritisiert. Diesmal habe ich die musikalische Vielfalt zum Bestandteil einer Geschichte gemacht. In gewisser Weise ist es die Geschichte meines eigenen Lebens. Und ich denke, diese Vielfalt ist ein mächtiges Statement. Es gibt Rock'n'Roll auf dem Album, es gibt Einflüsse aus der Klassik und aus dem Folk und auch einen ganz kleinen Blues-Einfluss.
Ich wollte anonym sein, obwohl ich meine eigene Geschichte erzähle, wollte die Musik den Star sein lassen. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass das Album in so vielen Ländern in den Charts landete. Die Amerikaner mögen es auch. Ich bin wirklich glücklich darüber, wie das Album aufgenommen wurde.
Um es zusammenzufassen: Der Erfolg des Albums erklärt sich durch die musikalische Vielfalt, die Tatsache, dass es ein Konzeptalbum ist, und den Nostalgieeffekt. Richtig?
Ja. Es wird von einem Narrativ, einer Geschichte angetrieben. Das ist etwas, das Progressive-Rock-Hörer zu mögen scheinen. Das war auch eine der Visitenkarten von Genesis in den sehr frühen Tagen. Über die Jahre hinweg wurde Genesis stromlinienförmiger – und noch erfolgreicher. Die Songs wurden direkter, hatten weniger Ausschmückungen, wurden vielleicht auch rhythmischer.
Aber die Musik von Genesis, für die ich Blut geschwitzt habe, war eine Art von Musik, die die Aufmerksamkeit von John Lennon auf sich zog. Das müsste im Jahr 1973 gewesen sein. Er sagte sehr nette Dinge über die Band, nachdem wir "Selling England By The Pound" veröffentlicht hatten. Und das Album habe ich – ebenso wie "Foxtrot" – in den vergangenen Jahren in seiner Gesamtheit gespielt. Wenn ich dasselbe mit "The Lamb Lies Down On Broadway" tun würde, bliebe wenig Raum für andere Songs. Ich möchte nicht mein Leben damit verbringen, ausschließlich meiner eigenen Vergangenheit Tribut zu zollen. Zudem gibt es ja bereits eine Menge Tribute-Bands da draußen.
"Die Demokratie musste weichen wegen Peters Wunsches, ein Statement zu setzen."
The Musical Box ist eine dieser Tribute-Bands. Die Band verwandte auf ihrer "The Lamb Lies Down On Broadway"-Tour die Requisiten der Originaltour und spielte – wie immer – jeden Song Note für Note wie auf der ursprünglichen Genesis-Tour, zudem mit exakt denselben Instrumenten. Ich bin überzeugt davon, dass Ihre Herangehensweise zum wiederholten Mal eine andere sein wird. Liege ich da richtig?
Ja. Ich möchte nicht die damalige Ära kopieren. Stattdessen nehme ich mir die besten Songs. Und ich glaube, diese Songs werden ohne den ganzen Rest stark genug sein. Die selben Hosen wie damals zu tragen, ergibt für mich keinen Sinn.
Meine Konzerte sind im Grunde keine Nostalgieshows. Ich bevorzuge eine Show im Hier und Jetzt, die die Vergangenheit und die Gegenwart reflektiert.
Wenn ich über zukünftige musikalische Pläne nachdenke, denke ich an die Beschreibung fließenden Wassers. Von diesem Thema bin ich besessen seit vielen, vielen Jahren – genaugenommen seitdem wir "The Fountain Of Salmacis" mit Genesis aufnahmen. Die Idee, ein Gewässer mit musikalischen Mitteln darzustellen, ganz egal, ob es sich dabei um eine Quelle, einen Strom, einen Fluss oder das Meer handelt, fasziniert mich. Ich glaube, dass man durch Musik Gewässer sehr, sehr gut imitieren kann – vor allem dann, wenn man flüssig ist.
[beide lachen]
Gab es eine Diskussion zwischen Ihnen und Ihren Bandmitgliedern, ob Sie das gesamte "Lamb" auf der anstehenden Tour spielen werden oder nur Auszüge? Oder haben Sie das eigenständig entschieden?
Ich habe es eigenständig entschieden. Es ist möglich, dass die Band sich damit hätte anfreunden können, das gesamte Album zu spielen. Aber es gibt da draußen bekanntlich bereits viele Bands, die das Album in seiner Gesamtheit spielen. Zudem haben die Menschen ja bereits das Original.
Das Album war Peter Gabriels Schwanengesang über seinen Abschied von der Band. Ich denke, er wollte ein starkes Statement setzen, weil er wusste, dass er die Band verlassen würde. Er benötigte Autonomie, er wollte sein eigener Chef sein, seine eigenen Songs schreiben, seine eigenen Lyrics singen. Also verließ er die Band – aus sehr ähnlichen Gründen wie ich später. Eine parallele Solokarriere war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da die Band eine solche nicht toleriert hätte. Und ich bin mir sicher, dass die Band danach keinen neuen Peter Gabriel erschaffen wollte. Ironischerweise wurde später Phil Collins als Solokünstler noch erfolgreicher als mit der Band, in der er Drummer war.
1975 habe ich ein Soloalbum aufgenommen, "Voyage Of The Acolyte". Zum Glück habe ich positives Feedback erhalten. Durch diese positiven Rückmeldungen habe ich mich bestätigt darin gefühlt, ausreichend gutes Material schreiben zu können, um Menschen mitzureißen. Zu einem späteren Zeitpunkt hätte ich einen großen Teil der Songs, die ich damals geschrieben habe, nicht mehr geschrieben. Das gilt auch für einen großen Teil des Materials, das ich für Genesis geschrieben habe. Man verändert sich. Aber ich bin glücklich darüber, jetzt die Songs zurückzubringen, die meiner Meinung nach enorm stark waren. Ich denke hier speziell an einen Song, der über all die Jahre hinweg übersehen wurde: "The Chamber of 32 Doors".
Es freut mich zu hören, dass Sie den spielen werden. Der ist nämlich einer meiner Lieblingssongs von Genesis.
Ich glaube, er ist wegen des orchestralen Geistes, den er in sich trägt, so stark. Er ist auch country-beeinflusst, hat aber seine ganz eigene Atmosphäre. Und er ist sehr originell, nicht zuletzt durch Peters Lyrics, eine seiner besten zu dieser Zeit. Anhand der Lyrics konnte man erkennen, dass er durch eine schwierige Zeit ging und sich Fragen stellte: "Soll ich gehen oder die Band verlassen? Und was bringt die Zukunft mit sich?" Ich denke, mit diesem Thema haben wir uns alle befasst – auch ich selbst, als ich an "Voyage Of The Acolyte" arbeitete. Thema des Albums waren Tarotkarten, die Vorstellung eines Orakels. Was würden die Karten sagen? Heutzutage will ich lieber nicht wissen, was die Zukunft bereithält.
Sie haben bereits erwähnt, dass Sie die stärksten Songs aus "The Lamb Lies Down On Broadway" auf der Tour spielen wollen. Das "Lamb" ist bekanntlich ein Konzeptalbum mit großteils surrealen Lyrics. Die meisten Songtexte scheinen wichtig für die Geschichte des Protagonisten Rael zu sein, andere nicht ganz so wichtig.
Haben Sie die Entscheidung, welche Songs Sie auf der Tour spielen werden, ausschließlich aufgrund der musikalischen Qualität der Songs getroffen oder hat die Wichtigkeit der Lyrics für die Geschichte Raels die Entscheidung ebenfalls beeinflusst? War es Ihnen wichtig, die Geschichte Raels in einer verkürzten, aber maximal vollständigen Form zu erzählen?
Na ja, ich versuche, nicht zu wörtlich zu sein. Soweit ich informiert bin, kennen die meisten Menschen, die die Konzerte besuchen, die Story bereits – wie ja auch Sie. Also habe ich nicht das Gefühl, dass es meine Aufgabe ist, die Story zu erklären. Stattdessen sehe ich es als meine Aufgabe an, die Highlights auszusuchen, die meiner Meinung nach die größte musikalische Qualität besitzen.
Als wir das Album damals fast im Kasten hatten, hatte es noch keine Lyrics. Die Arbeit am Album wurde also von der Notwendigkeit angetrieben, es in instrumentaler Hinsicht so gut wie möglich klingen zu lassen. Peter hat später über die instrumentalen Parts hinweggesungen.
Wir werden Songs aus dieser Zeit, den Jahren davor und auch danach spielen. Ich habe nicht das Bedürfnis, zu wörtlich zu sein, weil das in meinen Augen eine Einschränkung der Show wäre. Und ich mag die Vorstellung, eine Show ohne Einschränkungen abzuliefern. Ich finde, dass "The Lamb Lies Down On Broadway" ein schönes Album ist. Für mich ist es aber auch wichtig, anderen Zeiten mit der Band und meiner Solokarriere Tribut zu zollen.
Haben Sie damals viel mit Peter Gabriel über die Lyrics des Albums gesprochen? Und waren Sie überrascht, als er mit diesen surrealen und ungewöhnlich düsteren Lyrics aufwartete?
Er wollte ein letztes Album mit der Band aufnehmen, touren und die Band dann verlassen. Bestandteil seiner Bedingungen, weiterhin Bandmitglied zu sein, war es, die Lyrics eigenständig zu schreiben. Es war für uns wichtig, als Band so lang wie möglich zusammenzubleiben, also haben wir diese Bedingung akzeptiert.
Hinsichtlich der Lyrics wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt. Die meisten von uns hörten die Texte zum ersten Mal, als Peter sie bereits einsang. Peter bevorzugte es, die einzige Person im Studio zu sein, wenn er seine Vocals aufnahm. Höchstens Phil war noch erwünscht, der den Backgroundgesang übernahm.
Bereits im Jahr 1971, nachdem ich zur Band gestoßen war, wollte Peter niemanden um sich haben, wenn er seine Vocals aufnahm. Das war die Arbeitsweise, die für ihn am besten funktionierte. Er wollte keine kreative Einmischung. Das verstehe ich voll und ganz. Genesis war eine sehr konkurrenzgetriebene Band.
Man muss verstehen, was Musiker und Sänger wie Peter motiviert. Autonomie, das Bedürfnis, die Kontrolle zu haben, was sehr wichtig für ihn. Das respektiere ich voll und ganz, weil ich heute diese Autonomie selbst benötige. Ich frage nicht jeden nach seiner Meinung über diese oder jene Gitarrennote. Das ist der Unterschied zwischen einer Solokarriere und einer Karriere innerhalb einer Band.
Es war für die meisten von uns überraschend, dass auch Passagen, die als rein instrumental geplant gewesen waren, durch Peters Vocals übertönt wurden. Es war ziemlich schwierig für ihn in der Band. Man hegt ja gerne die Vorstellung einer Band als Gebilde, in dem es demokratisch zugeht. Die Demokratie musste in diesem Fall weichen wegen Peters Wunsches, ein Statement zu setzen.
"Musik ist der beste Botschafter, den wir haben."
Nachdem Sie Genesis nach "Wind & Wuthering" verließen, entwickelte sich die Band zu einer enorm erfolgreichen Popband – mit einem in musikalischer Hinsicht nicht so guten Ruf. Wenn Durchschnittshörer heute den Bandnamen hören, denken sie an Songs wie "Invisible Touch" oder "Land Of Confusion" – keine schlechten Popsongs, aber in meinen Augen eben auch keine herausragenden. Die vorherigen Prog-Rock-Meisterwerke kennen die Durchschnittshörer nicht. Schmerzt Sie das ein bisschen?
Na ja, ich glaube, in jüngster Zeit wurden mehr und mehr Menschen darauf aufmerksam, dass John Lennon 1973 nette Dinge über uns gesagt hatte: dass er Genesis für "wahre Söhne der Beatles" halte. Also ging er davon aus, dass unsere Musik auch in kommerzieller Hinsicht Potential hatte. Damals hat es sich nicht falsch angefühlt, ein langes Popmusikstück zu veröffentlichen. Auch "Supper's Ready", ein Song, der damals eine gesamte Vinylseite einnahm, war auf seine eigene Art Popmusik.
In den letzten beiden Jahren, bevor ich die Band verließ, spielten wir in Arenen in der ganzen Welt. In London haben wir drei Abende hintereinander vor 18.000 Menschen gespielt. Wir schränkten unsere Songs nicht ein, um sie radiofreundlich zu gestalten, waren viel einfallsreicher. Bei den frühen Genesis mit ihren langen, epischen Songs habe ich mich sehr wohlgefühlt. Dabei war mir egal, ob die Songs lang oder kurz waren. Aber mir hat die Vorstellung einer musikalischen Entwicklung innerhalb eines Songs ebenso gefallen wie die Vorstellung, Passagen einzubauen, die man eher in einer Sinfonie erwarten würde.
Wir waren nicht die ersten, die das taten. Die Beatles haben all das mit "Sgt. Pepper" ins Rollen gebracht. Sie waren natürlich Prototypen kreativer Menschen und haben uns eine ganz eigene Version von England aufgetischt in einer Art von musikalischem Kontinuum. Ein Song floss in den anderen über. Die Fesseln wurden damals gesprengt. Jimi Hendrix und Cream improvisierten auf der Bühne gerne mal 20 Minuten lang.
Ich möchte nicht mein Leben damit verbringen, drei- bis vierminütige Popsongs aufzunehmen. Für mich ist Musik viel zu wertvoll, um das zu tun. Musik kann ein Friedensbote sein, sie kann Menschen vitalisieren, sie kann Menschen zusammenbringen. In einer Liveshow besitzt man die Gelegenheit, so viel mehr zu tun, als radiofreundliche Songs zu spielen. Und ich bin glücklich, diese Dinge zu tun. Gewisse zeitliche Einschränkungen gibt es, aber bei den meisten Konzerten habe ich die Möglichkeit, den Leuten in meiner Band die Möglichkeit zu geben, zu zeigen, was sie an ihren Instrumenten können.
Also: Mit der progressiven Musik, die in den mittleren 1960er-Jahren entstand, fühle ich mich sehr wohl. Ich möchte frei sein, um genau die Dinge zu tun, die ich tun will. Je freier ich in den letzten Jahren war, desto mehr Leute habe ich mit meiner Musik angesprochen. Ironischerweise führte diese Freiheit zu kommerziellem Erfolg. Also glaube ich nicht, dass es falsch war, meinen Prinzipien oder, wenn man so will, Träumen treu zu bleiben.
Definitiv nicht, die späten 1960er- und die 1970er-Jahre waren schließlich die goldene Ära des Rock.
Das glaube ich auch. Gewisse Dinge änderten die Musik: dreistimmige Harmonien, die Verwendung exotischer Instrumente, Dinge, die die vorherigen Einschränkungen des Rock'n'Roll überwanden und ihn zu etwas kultiviertem machten.
Durch die Einbindung von regionaler Musik, also der Musik, die gerne als "Weltmusik" bezeichnet wird, entstanden großartige Songs. In anderen Kontexten hätte jene regionale Musik als nationalistisch gegolten. Heute ist das Gegenteil der Fall: In dieser politisch herausfordernden Zeit ist Musik der beste Botschafter, den wir haben. Die andere Hälfte der Welt scheint momentan damit beschäftigt zu sein, sich selbst in die Luft zu sprengen.
Glauben Sie, dass man Menschen politisch erreichen kann, wenn man als Musiker in Staaten wie Russland oder China auftritt? Kann man die politischen Einstellungen der Menschen durch Musik ändern? Ich erinnere mich daran, dass Bob Dylan 2011 Konzerte in Peking und Shanghai spielte und dafür zu Hause ziemlich negative Rückmeldungen erhielt – vor allem weil er keine Fragen zu jenen Konzerten und seinen Beweggründen, dort aufzutreten, beantwortete.
In Moskau und in St. Petersburg habe ich mit meiner Band selbst schon gespielt. Das war vor dem Krieg in der Ukraine.
In Israel habe ich auch bereits gespielt. Nach dem Auftritt habe ich die Möglichkeit genutzt und den Menschen gesagt: "Frieden muss kein unerreichbarer Traum sein." Damals gab es eine sehr positive Rückmeldung der Zuhörer. Unglücklicherweise hat sich seitdem viel verändert. Es scheint ein großes Misstrauen gegenüber den Menschen jenseits der eigenen Staatsgrenze zu geben. Auch Europa rückt nach rechts und wird xenophober. Die Welt scheint auf eine Art Katastrophe hinzusteuern.
Zum Glück muss man als Musiker durch die Welt reisen. Und überall erhalte ich eine so starke Resonanz, dass ich mich nie als Ausländer fühle. Stattdessen fühlt es sich so an, alte und neue Freunde zu begrüßen. Und es ist ein Privileg, in der Lage zu sein, das zu tun. Ich glaube in der Tat, dass Musik Dinge erreichen kann, die Politiker nicht erreichen können.
Mr. Hackett, vielen Dank für das interessante Gespräch!
Gerne!
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