laut.de-Kritik

Der Soundtrack zum Sommer der Liebe 1967.

Review von

Während im Sommer der Liebe 1967 anderswo Luftschlösser gebaut wurden, krempelte man an der Abbey Road schon ein paar Monate vorher entschieden die Ärmel hoch und schwitzte über 400 Stunden für das eigene Opus Magnum.

Für dieses Vorhaben verabschiedeten sich die Beatles nach ihrem zunächst letzten öffentlichen Auftritt am 29. August 1966 in San Francisco vom Konzertleben. Ihre Hörerschaft, die den Beifallslärm über die Darstellungen der Lads aus Liverpool stülpte, hatte das Zusammenspiel gänzlich unhörbar und für die Bühnenprotagonisten schier unbrauchbar gemacht – die Wahrscheinlichkeit eines Attentats im Rampenlicht schien ebenfalls wirklichkeitsnah.

In Folge und Konsequenz dessen begann das Hier und Jetzt für John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr mehr zu zählen denn je. Zwischen "Revolver" und dem "White Album" wurde "Sgt. Pepper's" eine zweifellose Spiegelung der Gegenwart. Das ideenreiche Kunststück erwies sich als surreales Sommermärchen, das so spontan und zeitgebunden anmutet wie keine zweite Veröffentlichung der Fab Four.

Auf dem Cover prangen allerhand Charakterköpfe, deren Handlungen und Aussprüche in den einstigen Pilzköpfen herumschwirrten. Peter Plake gestaltete für die Einmalzahlung von 200 britischen Pfund jene Fotolandschaft, die Michael Cooper ablichtete. Auch wurden auf der Insel die Ohren gut gespitzt, schließlich fand ein gesunder Konkurrenzkampf höchster Klasse statt.

Die Beach Boys beeindruckten Lennon und Co. mit "Pet Sounds" so sehr, dass diese mit "Sgt. Pepper's" antworteten - eine Rücksendung, die es in sich hatte. Beach Boys-Chef Brian Wilson wiederum ließ sich mit der Gegenantwort "Smile" bis 2004 Zeit – wenngleich diese eigentlich dem Vorgängeralbum "Revolver" galt. Vergnügt warnte McCartney ihn bei einem Besuch in L.A. während der Aufnahmen zu "Smile": "Ihr solltet euch besser beeilen!"

Was Wilson zunächst am Klavier zu hören bekam, war "She's Leaving Home", ein später von Mike Leander fast kammermusikalisch ausgearbeitetes Arrangement mit Harfe, das das Ausreißen der 17-jährigen Melanie Coe kommentiert. Während McCartney in den Versen mit großem Stimmumfang stets nach oben strebt, holt Lennon ihn im Refrain auf den Boden der Tatsachen zurück. Er nimmt die näselnde Erzählposition der klagenden Eltern ein.

George Harrisons "Within You Without You" kämpft in wiederholendem Gleichmaß gegen Triebsucht und für ein bisschen mehr Empathie. Stoisch verlässt es während der gesamten fünf Minuten nicht einmal den Ausgangsakkord, sondern verändert ihn hier und dort mit kleinen Zugaben. Geprägt von Ravi Shankars Sitar-Stunden weicht die indisch-meditative Flucht auch in der Rückschau am deutlichsten von der allgemeinen Bandbreite des fast zweihundert Werke umfassenden Bandkataloges ab.

John und Paul begeisterten sich über die Jahre immer mehr für das Feilen am Lied als für das gepresste Ergebnis. Dennoch forderten die beiden Hauptakteure von den Mitwirkenden stets Rasanz mit sofortiger Perfektion. Besonders McCartney legte einen bisweilen umtriebigen Beherrschungs- und Geltungsdrang an den Tag. Er entledigte Harrison von Teilen seiner Arbeit und übernahm die Solo-Gitarrenparts in "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" und "Good Morning, Good Morning".

Über die Hälfte der Songs auf "Sgt. Pepper's" stammten hauptanteilsmäßig aus seiner Feder, worauf Paul sichtlich stolz war: "Dieses Album war größtenteils von mir beeinflusst. Ich hatte die Idee des Konzepts, so zu tun, als seien wir eine andere Band. Ich habe versucht, jeden in der Band bis an seine Grenzen zu treiben, um mit der Platte wirklich Grenzen zu überschreiten." Spätestens mit dem Tod ihres Impresarios Brian Epstein Ende August 1967 war es ein offenes Geheimnis, dass er Johns Führungsrolle aus den Gründertagen fast vollständig übernahm.

Im Laufe der der letzten US-Tournee sehnte sich McCartney nach einer neuen Identität für die Band. Ihm gefielen die assoziativ-wirren Namen der dort ansässigen Westküstengruppen. Die Einleitung und Reprise "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" vermengt die Jimi Hendrix Experience und das Varieté-Orchester des frühen 20. Jahrhunderts. Zuerst ausführlich, dann in einer verkürzten Form mit erhöhtem Tempo.

Die Idee, sich gegen Ende einem wiederkehrenden Hauptthema anzunehmen, kam dem persönlichen Assistenten der Band, Neil Aspinall. Die Rückkopplung ist auch hier wieder beachtlich: Waren John und Paul noch zwei Tage vor dem offiziellen Aufnahmebeginn bei einem Konzert von Jimi Hendrix im Saville Theatre, spielte dieser wiederum zwei Tage nach Veröffentlichung des Albums den Titeltrack auf offener Bühne. Alles ganz im Abseits von Verwertungsgesellschaften und Lizenzgebühren, geschuldet nur der Kameradschaft und gegenseitiger Bewunderung.

Das ehrfurchtsvolle Finale "A Day In The Life" ist eine Auslese Lennon'scher Beobachtungsgabe. Es behandelt den Verkehrstod des Freundes Tara Brown und die nie enden wollenden Sensationsgelüste der Zeitungen. Die nebulösen Verse und der trunkene Schwebezustand nach McCartneys gewitzter Beigabe im Mittelteil fügen sich trotz atmosphärischer Unterschiede bedacht zusammen. Um die Aneinanderreihung nahtloser zu gestalten, spielten die Mitglieder des London Philharmonic Orchestra unter dem Dirigat von George Martin während einer künstlichen Pause vom tiefsten bis zum höchsten Ton, den das entsprechende Instrument hergab – bis mit dem läutenden Wecker Pauls Einsatz folgt.

Ein Song, der sich im Laufe seiner Geschichte mit allerlei Mythen herumschlagen musste, ist das fragmentarische "Lucy In The Sky With Diamonds". In nur drei Tagen stellte man dieses Lennon-Phantasma, was sich später als LSD-Mär herumsprach, fertig. Zwar ergaben Stimulanzien einige Töne und Textpassagen auf "Sgt. Pepper's", dennoch ist dieses Stück einer Zeichnung von Lennons Sohn Julian aus dem Kindergarten geschuldet. Er nannte sie schlicht so, wie sein Vater später das Lied.

Nach und nach bildeten sich aus einer Begabung mit naivem Tonverständnis die hellsten Leuchten einer ernstzunehmenden und in gleicher Weise unterhaltenden Musik. Neben Produzent George Martins gewiefter Schläue und Toningenieur Geoff Emericks unumstößlichen Schneid waren es Zufälle, Mut und vor allem Geduld, die "Sgt. Pepper's" zur audiophilen Upper Class erwachsen ließ.

George Martin brachte es auf den Punkt: "Das Album drückt auf perfekte Art und Weise ein Gefühl aus, das 1967 gerade sehr nachhaltig in der Luft schwebte – dass alles und jedes für jedermann zu haben war." Kurz: Es war ein genialisches Schaffen, was sich zwischen November '66 und April '67 an der Abbey Road zutrug. Was als Idee für eine fiktive Band begann, die sich ihr 'Second Life' bewusst oder notgedrungen zusammenstellte, endete als popmusikalischer Meilenstein.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band
  2. 2. With A Little Help From My Friends
  3. 3. Lucy In The Sky With Diamonds
  4. 4. Getting Better
  5. 5. Fixing A Hole
  6. 6. She's Leaving Home
  7. 7. Being For The Benefit Of Mr. Kite
  8. 8. Within You Without You
  9. 9. When I'm Sixty-Four
  10. 10. Lovely Rita
  11. 11. Good Morning, Good Morning
  12. 12. Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band (Reprise)
  13. 13. A Day In The Life

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28 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Ich kann übrigens allen Beatles Fans (und die die es werden wollen) Accross the Universe empfehlen. Der Film wartet abseits seines grandiosen Scores auch mit einer sehr guten Story und tollen Darstellern auf.

  • Vor 13 Jahren

    Was mich an den Beatles am meisten fasziniert, ist ihre wahnsinnig komplexe Entwicklung innerhalb vergleichsweise wenige Jahre. Angefangen als Rock'n'Roll-Klappertruppe über die Boyband-Prototyp-Phase zu ausgereiften Künstlern mit echten Experimenten. Das Songwriting hat sich gemeinsam bei John, Paul und George so stark entwickelt wie bei keiner zweiten Band. Was sich zum Schluss an Output der Band zusammengesammelt hat schlägt in Sachen musikalischer Vielfalt, Qualität, Populatität, Tiefgang, Avantgarde und Blödsinn (im positiven Sinne) alles, was bis heute dagewesen ist.

  • Vor 9 Jahren

    Das Album ist der Wahnsinn. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Legendär!