1. März 2002
"Der ganze Metal-Bereich ist nur ein Image"
Interview geführt von Andrea VetterGibt es ein bestimmtes Konzept, das hinter der neuen Platte steht?
Nein. Wir versuchen die Musik zu machen, die wir gerade machen wollen. Wir setzen uns einfach hin und spielen irgendwelche Musik, wenn es nach Pop klingt, ist es eben Pop, klingt es nach Metal, wird es ein Metal-Song.
Hast du was dagegen, wenn ich das neue Album ein gut produziertes, durchaus anspruchsvolles, aber eben Pop-Album nenne?
Ach, "Pop" ist so ein weitgefasster Begriff, manche sagen Britney Spears sei Pop-Musik, für andere ist Travis Pop. Wir haben sicherlich einen Pop-Einfluss, aber in seiner Gesamtheit ist das neue Album kein Pop-Album. Es haben schon viele Leute versucht, unsere Musik in eine Schublade zu stecken, aber bis jetzt hat es noch keiner geschafft. Das Gute ist, dass die Leute unsere Musik einfach selbst anhören müssen, um herauszufinden, ob sie ihnen gefällt.
Hörst du überhaupt noch Heavy Metal?
Manche Bands, aber nicht mehr so viel wie früher. Zur Zeit höre ich meistens Ambient und Trip Hop, aber das ist in der Band auch sehr verschieden. Wenn ich Musik höre, die mir gefällt, kaufe ich die Scheibe einfach, egal was es ist.
Mögt ihr eigentlich Nu Metal? Manchmal hört es sich so an ...
Ja, mag ich tatsächlich. Linkin Park war für mich das beste Album des letzten Jahres, aber auch "White Pony" von Deftones, Filter und auch Korn. Obwohl das ja nicht mehr so ganz in die Kategorie fällt.
Und wie sieht es mit Garbage aus?
Drei Viertel der Band sind große Garbage-Fans, das hört man vielleicht bei manchen Teilen des Albums. Wir haben viele gleiche Elemente wie Garbage benutzt.
Habt ihr bei "Assembly" absichtlich versucht, Songs zu schreiben, die sich beim ersten Hören ins Gehirn fressen?
Wir haben auch schon sehr komplexe Songs geschrieben, wir schreiben eigentlich immer solche Songs, die wir auch gerne hören würden. Wir haben jetzt zwei sehr Melodie orientierte Alben gemacht, vielleicht wird die nächste Platte wieder ganz anders. Aber wir wollten diesmal schon Stücke machen, die schnell, kurz und auf den Punkt gebracht sind.
Warum habt ihr diesmal gerade Hiili Hiilesmaa (Produzent von Him, Apocalyptica, Moonspell - d. Red.) das Album produzieren lassen? Inwieweit war er beteiligt?
Wir versuchen immer, neue Leute zu finden, die unsere Alben produzieren. Wenn die Songs für ein Album fertig sind, dann denken wir über einen Produzenten nach. Wir mochten den Sound des neuen Moonspell-Albums, und Hiili hat auch für uns einen sehr guten Sound gefunden. Wir können uns in der Band nie einigen, wie ein Song am Besten umgesetzt wird. Hiili hat dann entschieden, welches die beste Variante ist.
Wie wollt ihr eure neuen Songs live präsentieren?
Wir spielen alles live, was irgendwie geht. Aber wir werden natürlich auch viel Programmiertes benutzen. Unsere Konzerte sind sehr hart und sehr laut, da sind manche auch erstaunt, die uns eher als ruhige Band kennen.
Fühlt ihr euch auf Gothic-Festivals immer noch zu Hause?
Wir sind sicherlich nicht mehr so "gothic" wie früher. Aber wir spielen immer noch auf jedem Festival, auf dem wir Gelegenheit dazu haben. Wir werden auch in Leipzig wieder spielen, weil es ein sehr verschiedenartiges Festival ist.
Nervt es euch nicht, dass Liv Christine bei euch öffentlich immer im Vordergrund steht?
Nun, sie ist blond und hat Titten. Wir anderen Jungs in der Band sehen nun mal nicht so gut aus. Außerdem ist sie die Sängerin. Wir versuchen auch, die ganze Band zu zeigen, aber manchmal ist es besser, ein Gesicht statt fünf zu präsentieren. Das prägt sich besser ein.
Habt ihr keine Angst so zu enden wie Him?
Nein, denn Ville Vallo macht auch die ganze Musik selbst, bei uns ist jeder in das Songwriting involviert.
Liv wohnt in Deutschland, ihr in Norwegen. Wie schreibt ihr eure Stücke?
Wir halten alle über Internet Verbindung miteinander. Jeder hat Zuhause sein eigenes Mini-Studio, bastelt an Song-Ideen herum und schickt die Computersounds an die Anderen. Am Schluss schicken wir die eingespielten Sachen zu Liv, die dann eine Melodie einsingt und es uns zurückschickt. Das ist ein sehr netter Weg, weil man nicht jeden Tag die Gesichter der Anderen sehen muss. Manchmal ist es aber auch langweilig. Wir versuchen einfach, das Ganze am Laufen zu halten.
Warum hat sich eure Musik so grundlegend verändert?
Dafür gibt es viele verschiedene Gründe. Zum einen gab es natürlich viele Typen, die in die Band ein- und wieder ausgetreten sind, vor allem Gitarristen. Dann konnten wir uns, nachdem wir viele Platten verkauft hatten, neue Technik leisten und ausprobieren. Ich meine, ich war 15 als wir angefangen haben und jetzt hat jeder sein eigenes Mini-Studio. Wir wollten uns einfach immer selbst ausdrücken. Wir reizen dabei unsere Möglichkeiten immer so weit aus, wie es geht.
Habt ihr auf eure Veränderungen viele Negativ-Reaktionen von Fans bekommen?
Wahnsinnig viele, aber wir haben auch damit gerechnet. Es ist Schwachsinn, uns Kommerz vorzuwerfen. Wenn wir den kommerziellen Weg gegangen wären, hätten wir weiterhin Gothic Metal gemacht, da liegt nämlich das Geld. Aber man muss einfach sein Ding durchziehen, wenn man darüber nachdenkt, was die Fans mögen, dann ist man verloren.
Habt ihr nicht das Gefühl, euren Fans etwas schuldig zu sein?
Wir müssen das machen, was uns Spaß macht. Wir spielen ja auch immer noch unsere alten Sachen und wenn sich Leute von den neuen Sachen betrogen fühlen, dann haben sie ja immer noch die alten Alben. Viele Leute haben mir ihren Mittelfinger gezeigt, aber die können ja ihre eigene Band aufmachen, wenn sie wollen. Der ganze Metal-Bereich ist doch nur Image. Wenn jemand, der zur Szene gehört, etwas anderes macht, dann ist das etwas Abartiges, das in ihrem eigenen Territorium geschieht. Das ist so engstirnig wie ein '9 to 5'-Job. Das ist aber bei elektronischer Musik nicht anders, alle ziehen sich entsprechend an und so weiter. Es gibt auch Leute, die sind etwas offener und erkennen, dass man in beiden Genres stehen kann.
Wo seht ihr euch in zehn Jahren?
Verheiratet und mit Kindern. Nein, darüber denke ich nicht nach. Vielleicht werden wir ja dann alle am Postschalter arbeiten.
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