laut.de-Kritik

Erfrischter Zeitenmix zwischen Punk-Anfängen und Pop-Feinschliff.

Review von

Thees Uhlmann hat in seinen 50 Lebensjahren jede Menge unternommen: Kurz vor der Jahrtausendwende hat er Tocotronic als Roadie begleitet. Kurz danach mit Musikern von Kettcar das Label Grand Hotel van Cleef gegründet. Mit Jürgen Vogel und Heike Makatsch hat er einen Film gedreht. Hat Bruce Springsteens Biographie eingelesen. Selbst einen Roman geschrieben und gleich noch ein Buch über Die Toten Hosen. Und als vor drei Jahren der Bundespräsident gewählt wurde, da hat der gebürtige Niedersachse entschlossen seine Stimme abgegeben.

Doch vor allen Dingen hat sich Thees Uhlmann in all diesen Jahren seiner eigenen Musik gewidmet. Nachzuhören ist die Quintessenz dessen auf einer Best-of-Kompilation mit dem ausführlichen Titel "Sincerely, Thees Uhlmann. Das Beste von Tomte bis heute". Ganze 29 Songs repräsentieren hier die beiden Schaffensphasen des Musikers. 15 Lieder stammen aus den fünf Alben, die Uhlmann mit seiner Rockband Tomte zwischen 1998 und 2008 aufgenommen hat. Gleichberechtigt daneben stehen 14 Stücke aus seiner 2011 eingeläuteten Zeit als Solokünstler, die zuvor auf drei LPs und einem Soundtrack erschienen sind.

"Sincerely, Thees Uhlmann" liefert eine spendable Werkschau – von Tomtes punkigen Anfängen bis zu Uhlmanns Pop-Feinschliff. Obwohl es sich um zwei unabhängige Projekte handelt, werden die Songs zum Glück nicht separat präsentiert und auch nicht chronologisch hintereinander gereiht. Stattdessen entsteht ein erfrischter Zeitenmix, wenn etwa die schroffe Tomte-Miniatur "In Köln Und Dann In Meinem Zimmer" von 1998 zwischen einem opulenten Uhlmann-Song von 2013 ("Im Sommer Nach Dem Krieg") und der noch extravaganteren Charakterstudie von 2019 steht ("Ich Bin Der Fahrer, Der Die Frauen Nach Hiphop Videodrehs Nach Hause Fährt").

Das passt zusammen, weil Uhlmann seinen Schlüsselmotiven über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben ist. Mit geradliniger Indierock-Instrumentierung wird viel philosophiert, geklagt und gehofft, beobachtet und zwischen Großstädten und Landschaften herumgefahren. In der Best-of-Auswahl stechen die Motivspiegelungen besonders hervor. Nebeneinander schreiben sich die Stücke gegenseitig weiter. Auch im Dunstkreis zahlreicher anderer Lieder- und Liedermacher: Zitiert werden Evergreens wie der australische Folksong "Waltzing Matilda" ("Die Toten Auf Dem Rücksitz") genauso wie die großen Idole Bruce Springsteen ("Römer am Ende Roms") und Elliott Smith ("Wie Sieht’s Aus In Hamburg"). Selbst Verweise auf artfremde Genres wie Hip Hop ("& Jay-Z Singt Uns Ein Lied") und EDM ("Avicii") ergänzen das Bezugsfeld.

Die Essenz des Tomte-Jahrzehnts kommt gut zum Ausdruck. All die Hits, die von Punk bis Pathos reichen, dokumentieren die Geschichte einer der wichtigsten deutschen Bands der 2000er Jahre. Intensiv rotieren die Indie-Hymnen der Hamburger-Schule-Nachkommen zwischen einem seelsorgerisch aufgeriebenen Erzähler und seinen Weltbegegnungen, zwischen coolen Kalendersprüchen und eher ungelenken, zwischen Sehnsucht und jeder Menge Mut.

Im Best-of-Rückspiegel klingt die stilistische Unerbittlichkeit mitunter beschwerlich und etwas aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig glänzt die Band, die nach einem Kinderbuch von Astrid Lindgren benannt wurde, in zahlreichen Momenten. Sei es in den ausladenden Refrains von "New York“ und "Der Letzte Große Wal" oder den Donner-Riffs von "Pflügen" und "Korn & Sprite". Manchmal brauchen die Songs etwas Anlaufzeit, um ihr Potential auszuschöpfen. Doch dann gipfelt "Die Schönheit der Chance" in ihrer letzten Sing-Along-Minute, und es türmen sich sämtliche Gitarrenwände im großartig ekstatischen Finale von "Nichts Ist So Schön Auf Der Welt, Wie Betrunken Traurige Musik Zu Hören".

Im direkten Vergleich mit den Tomte-Klassikern wird Thees Uhlmanns Weiterentwicklung als Solokünstler deutlicher. In seinem melodisch kompakten Songwriting transportiert der Musiker mehr Leichtigkeit und Raffinesse. "Bei Tomte habe ich nur über meine eigene Befindlichkeit gesungen. Aber jetzt bin ich Vater und nicht mehr 27 und total in Angst aufgelöst. Da brauchte ich andere Themen", erklärte der Musiker 2013 in einem Interview mit der Rheinischen Post bevor sein zweites Album "#2" erschien.

Weiterhin das Herz auf der Zunge, teilweise noch geschwätziger und übers Ziel hinausschießend, liefert Uhlmann in erster Linie starke Popsongs. "Zum Laichen Und Sterben Ziehen Die Lachse Den Fluss Hinauf" pointiert die Biografie des Sängers hymnisch als Lebenskreislauf. "Die Toten Auf Dem Rücksitz" perfektioniert mit Arcade Fire-Chor, Journey-Keyboard und Maffay-Gitarre die alles durchwirkende Road-Trip-Romantik des Uhlmann-Universums. Schwungvolle Pop-Poesie zelebrieren auch die Stephen King-Hommage "Danke Für Die Angst", die prophetische Friedenshymne "Im Sommer Nach Dem Krieg" und der DJ-Nachruf "Avicii".

"Eine Liebe zur Musik / Eine Liebe zu den Tönen" lautet eine Zeile aus Tomtes "Wilhelm, Das War Nichts". Die leidenschaftliche Musikkarriere von Thees Uhlmann hat mit dieser Kompilation ihren würdigen Rückblick erhalten. Nur leider bleibt ohne einen einzigen neuen Song ein konkreter Ausblick verwehrt.

Trackliste

  1. 1. Für Immer Die Menschen
  2. 2. Zugvögel
  3. 3. Der Letzte Große Wal
  4. 4. Korn & Sprite
  5. 5. Danke Für Die Angst
  6. 6. Ich Sang Die Ganze Zeit Von Dir
  7. 7. Im Sommer Nach Dem Krieg
  8. 8. In Köln Und Dann In Meinem Zimmer
  9. 9. Ich Bin Der Fahrer, Der Die Frauen Nach Hiphop Videodrehs Nach Hause Fährt
  10. 10. Die Schönheit Der Chance
  11. 11. Die Toten Auf Dem Rücksitz
  12. 12. Pflügen
  13. 13. Geigen Bei Wonderful World
  14. 14. Zum Laichen Und Sterben Ziehen Die Lachse Den Fluss Hinauf
  15. 15. Kaffee & Wein
  16. 16. Römer Am Ende Roms
  17. 17. Fünf Jahre Nicht Gesungen
  18. 18. Egal Was Ich Tun Werde, Ich Habe Immer An Dich Gedacht
  19. 19. Das Hier Ist Fußball
  20. 20. New York
  21. 21. Schreit Den Namen Meiner Mutter
  22. 22. Es Brennt
  23. 23. Wie Sieht's Aus In Hamburg
  24. 24. Was Den Himmel Erhellt
  25. 25. Avicii
  26. 26. Wilhelm, Das War Nichts
  27. 27. & Jay-Z Singt Uns Ein Lied
  28. 28. Von Gott verbrüht
  29. 29. Nichts Ist So Schön Auf Der Welt, Wie Betrunken Traurige Musik Zu Hören

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LAUT.DE-PORTRÄT Thees Uhlmann

Musiker, Tomte-Sänger, Autor, Labelchef – Thees Uhlmann gilt als prägende Persönlichkeit der deutschen Musiklandschaft. Am 16. April 1974 geboren …

1 Kommentar mit 4 Antworten

  • Vor 20 Stunden

    Menschen, die in Uhlmann und seinem Werk irgendetwas Anderes als durchschnittlichste Kartoffeligkeit sehen, würden unter meiner Regierung kompromisslos abgeschoben. Dafür stehe ich mit meinem Namen.

    #RagFD2025

    • Vor 17 Stunden

      Och, sein Buch Sophie der Tod und ich ist schon ziemlich unterhaltsam und in Interviews kommt er auch sympathisch rüber.
      Seine Musik ist jetzt nix dolles, eher weniger als das. Aber nach unten hin ist da in unserer Musiklandschaft auch noch sehr viel Luft.
      Eine Kartoffel für die Kartoffeln. Viel mehr verdienen wir offensichtlich nicht.

    • Vor 3 Stunden

      In dem Podcast Reflektor (Jan Müller, Tocotronic) war in einer der ersten Folgen Thees Uhlmann zu Gast und sagte in meiner Erinnerung ungefähr hundertdrölfzigmal wenn es um etwas Bedeutsames in seinem Leben ging, den bescheuerten Satz: "Das macht ja nicht nichts mit dir." Als ob die Schallplatte in seiner Birne nen temporären Sprung hätte. Hoffentlich ist die hier besprochene Platte heile. Wobei ich im Übrigen den Eindruck habe, dass er ein durchaus unterhaltsamer, sehr engagierter Typ ist.

    • Vor 3 Stunden

      Ich finde bei Tomte etc immer interessant, wie sehr sich die Wahrnehmung in den Kommentaren bzw dem damaligen Forum verändert hat. Vor 20 Jahren gehörten sie hier auf laut.de noch zu den absoluten Lieblingen der User:innen.

      20 Jahre? Hüpfe ich wirklich schon so lange hier rum? Zu hülf!

    • Vor 3 Stunden

      "20 Jahre? Hüpfe ich wirklich schon so lange hier rum?"

      Ist echt schlimm. :-(