Three Mile Pilot

Three Mile Pilot (abgekürzt 3MP) sind wohl der Prototyp einer Bands' Band: Nie so wirklich erfolgreich, aber unheimlich einflussreich und stilprägend für einen ganzen Blumenstrauß an Nachfolgern. 3MP waren mehr als die Summe ihrer Teile; und was sind das für tolle Teile! Pall Jenkins (Gesang, Gitarre), sein Highschool-Buddy Zach Smith (Bass, Gesang) und Tom Zinser (Drums) finden im Jahr 1991 zusammen. Jenkins' tatsächlicher Name ist Paulo Zappoli, Smith hört auf Armistead Burwell Smith IV - nur Tom heißt eigentlich schlicht Thomas.

Schon das Debüt der drei damals blutjungen Musiker "Nà Vuccà Dò Lupù" ("In das Maul des Wolfs hinein" oder "Im Maul des Wolfs") von 1991 hört sich an wie ein Gedicht, von Aliens in der Kanalisation eines unbekannten Planeten vertont. Besonders ist zum einen der Titel, der sich auf ein sizilianisches Sprichwort bezieht, bei dem das Gegenüber antwortet "Crepi Il Lupu" ("soll der Wolf dran verrecken"). In nur drei Tagen aufgenommen und abgemischt, müssen Songs wie "Sore Loser", "Pinhut" und "Horse Sweat" keinen Zahn der Zeit fürchten. Dabei besteht das Album fast ausschließlich aus Gesang, Bass und Drums. Dass dabei weder Blues noch eine Art Punkrock à la Death From Above noch Kunstmusik herauskommt, zeigt die Ausnahmestellung dieser Band schon früh.

1993 folgt "The Chief Assassin To The Sinister", das erste Album, auf dem Jenkins die Gitarre ergreift. Der keineswegs fröhliche Vorgänger wird locker in die Spaßecke abgeschoben, 3MP werden gleichzeitig zu einer lyrisch hochwertigen, tieftraurigen Band. Qualitativ muss die Band sich in ihrem neuen Stil zwar erst noch zurechtfinden und nicht alles zündet sofort; aber der heute noch unverschämt lockend-bedrohliche Opener "Shang Vs. Hanger" macht schnell klar, wie tief die Stimmung des Albums schürft und wie hoch das Potenzial ist.

Geffen Records sieht das auch so, lässt das Album neu aufnehmen und schickt die drei Typen mit dem (nur temporär bei der Band verbleibenden) Neuzugang Tobias Nathaniel am Piano in die damals höchst angesagten Bear Creek Studios in Seattle, um mit Edelproduzent Steve Fisk aufzunehmen. Das neue Werk heißt "Another Desert, Another Sea" und markiert den Höhepunkt der ersten Bandphase.

3MP haben sich gefunden, ihr Sound ist gleichzeitig poppiger und komplexer. Mit "Longest Day" schreiben sie einen der besten Songs der 90er, daneben ragen das schamanische "Kill The Racehorse" und der Grunge-Pop von "City Of Bones" besonders heraus auf einem Meilenstein voller Juwelen. Absurderweise können sich die Verantwortlichen bei Geffen nicht auf einen Release einigen, entlassen 3MP und geben denen sogar die Master-Bänder mit, die schließlich bei Headhunter/Cargo erscheinen.

Obwohl ihr Signing bei Headhunter nicht von Dauer ist, war es im Nachhinein ebenso wie die Veröffentlichung ihrer selbstbetitelten EP 1998 (eher experimentell, Empfehlung: "On A Ship To Bangladesh") auf dem ebenfalls in ihrer Heimat San Diego angesiedelten Heroin-Label Gravity Records wichtig für die Szene San Diegos, in denen 3MP zunehmend Legendenstatus innehaben. Die späten 90er sind von zahlreichen 7-Inch-Veröffentlichungen geprägt, was in den frühen 20ern kommerziell wohl Sinn gemacht hätte, in den 90ern aber zur kommerziellen Verzwergung der Band beiträgt. Als sie das 1999 mit der Kompilation "Songs From an Old Town We Once Knew" (Tipps: "Cyrus" und "The House Is Loss"), wiederum auf Cargo/Headhunter, korrigieren, scheint der Zug der Band schon abgefahren.

Nach der vermeintlichen Auflösung entwickeln sich alle drei Bandmitglieder in unterschiedliche Richtungen. Jenkins, der schon immer gerne kollaboriert und 1993 auf dem legendär-berüchtigten "Lullaby Land" von Vampire Rodents mitwirkt, gründet mit dem oben genannten Tobias Nathanael 1997 die ungleich erfolgreicheren The Black Heart Procession, die wegen Jenkins charakteristischer Stimme stellenweise an 3MP in angetrunkenerer Stimmung erinnern. Sechs Alben folgen, 2008 geht es auseinander - aber wieder nur scheinbar. 2024 folgt eine Italientour, nachdem es schon 2017 vereinzelte Konzerte gibt.

Jenkins bleibt in den 00er-Jahren ein Tausendsassa: 2006 gründet er Mr. Tube And The Flying Objects mit dem Trompeter Brad Lee. Die Band bleibt obskur, ihr eines Album hat aber ordentlich Groove. Schon 2002 wirkt er mit bei "Sharpen Your Teeth", dem einzigen echten Album von Ugly Casanova, dem Nebenprojekt von Modest Mouse-Frontmann Isaac Brock. Am größtenteils von Brock als Ugly Casanova verantworteten, 2010 erschienenen, hervorragenden OST zur Doku von 180° South wirkt Jenkins aber wohl nicht mit. 2015 leiht er seine Stimme dem Built In Sun-Soloprojekt von Ex-Modest Mouse und Black Heart-Drummer Joe Plummer. Damit sind nicht alle Bandprojekte von Jenkins in den 90er- und 00er-Jahren aufgezählt, aber zumindest die relevanten mit eindeutig entscheidendem Einfluss von ihm. Ab den 10er-Jahren wird es zunehmend ruhig um Jenkins.

Smith tut es Jenkins gleich und gründet eine deutlich erfolgreiche Band - Pinback. Ab 2004 ist er daneben solo als Systems Officer unterwegs, was 2009 in der LP "Underslept" gipfelt, die sich sehr nahe an 3MP anhört und ziemlich großartig ausfällt. Der Wunsch seines Pinback-Partners Rob Crow, sein musikalisches Engagement herunterzufahren, führt wohl zu dem Solo-Engagement. Allerdings startet Crow spätestens ab 2016 mit seiner Band Anal Trump und unglaublichen Albumtiteln wie "If You Wanted To Qualify For Health Insurance, Then Maybe You Shouldn't Have Gotten Raped?" wieder durch, Pinback touren trotzdem ab 2017, nur ohne neuen Output und ohne weitere Projekte von Smith.

Zinsers Geschichte ist eng mit der von Jenkins verwoben; er unterstützt fast alle seine Projekte immer wieder für kurze Zeit. Davon abgesehen verliert sich Zinsers Spur über die Jahre. Googelt man im Jahre 2024 "Tom Zinser Three Mile", wird ein (anderer) Tom Zinser auf Three Mile Island bei Harrisburg vorgeschlagen - so wenig ist bei diesem tollen Drummer los.

2010 veröffentlichen 3MP nach einigen Ankündigungen "The Inevitable Past Is The Future Forgotten", an dem die drei fünf Jahre arbeiten. Ein Meisterwerk sondergleichen, überzeugt es mit perfektem Songwriting, hoher Emotionalität und sehr viel Popappeal voller Kanten und Ecken. Nachdem sie ihr Comeback eigentlich eng mit dem neuen Label Touch And Go Records abstimmen, müssen sie dieses aus kommerziellen Gründen noch vor Veröffentlichung verlassen und finden eine permanente Bleibe bei Temporary Residence (höhö). "The Inevitable Past" wird wohlwollend aufgenommen, wächst aber kommerziell nicht über die Nebenbands von Jenkins und Smith hinaus.

Gleichwohl halten die drei zunächst an 3MP fest. Die EP "Maps" fällt bei der Kritik allerdings durch und wird für medioker befunden. Eine Fehleinschätzung, die erneute Weiterentwicklung der Band in Richtung poppiger Melodien verwirrt wohl, dabei gerät "Long Way Up" schlicht catchy, und das Bass-Riff von "Wires" ist ein Traum. Es ist eine Schande, dass Jenkins und Smith seitdem nur Nachlassverwalter ihrer Folgeprojekte sind. Allerdings: 3MP werden nie formell aufgelöst. Elf Jahre Pause schaffte das Trio ja schon mal.