laut.de-Kritik
Eine gescheiterte Mutter beklagt ihr Dasein.
Review von Andrea TopinkaAls Tonia Reeh noch als Monotekktoni unterwegs war, erschütterte sie mit experimenteller elektronischer Durchschlagskraft so einige Hörer in ihren Grundfesten. Doch bloß weil sie unter ihrem eigenen Namen weniger auf synthetische Klänge und mehr auf Piano-Arrangements setzt, hat sie nichts von ihrer Kraft und verstörenden Wirkung eingebüßt. Das war 2011 bei "Boykiller" nicht anders, als bei ihrer aktuellen Platte "Fight Of The Stupid".
Ein bisschen Hilfe holte sich die Songwriterin an Bord: Gittarenbegleitung von Bosnian Rainbows- und Ex-Mars Volta-Mitglied Omar Rodríguez-López und vor allem die Blechblas-Parts von Die Vögel sorgen für passende Verzierung. Gegen Reehs Präsenz kommen sie zwar nicht an, doch den letzten Schliff, das kleine abwechslungsreiche Detail verleihen sie den Songs auf jeden Fall.
Insgesamt bewegt sich die Berlinerin irgendwo zwischen charakterstarken Solo-Künstlerinnen wie PJ Harvey, Fiona Apple und Amanda Palmer. Letztere Assoziation drängt sich auf, wenn Reeh in einen ihrer hysterisch-manischen Ausbrüche verfällt. Nach dem recht sanften Auftakt ("Small Trees And Huge Birds") konfrontiert sie ihre Zuhörer direkt mit einem derartigen Aufschrei.
"Non Believer" beginnt bereits mit nervösen Tastenanschlägen, die im Zwischenspiel von verzerrten Bläsern übertönt werden, ehe Reeh fast ohne Begleitung loskreischt. Danach raschelt und zischt es gefährlich weiter. Trotz der disharmonischen, vielschichtigen Geräuschkulisse geht die Musikerin nicht unter und dominiert das Stück.
"Fight Of The Stupid" ist vielmehr der Kampf einer gespaltenen Persönlichkeit als der der Dummen. Auf der einen Seite leidet die Protagonisten unter dem Gefühl als Mutter gescheitert zu sein. In "Stolen" erzeugen Moll-Klänge, ganz leise Elektronik und Reehs tiefste Stimmlage eine unheimliche, depressive Stimmung, gepaart mit Lyrics wie: "My child is crying at my breast, but there's no heartbeat in my chest."
Auf der anderen Seite steht ihr kämpferischer, ja zum Teil schon aggressiver Part. In "Blues For The Devil" fackelt sie nicht lange, sondern röhrt bei der ersten Note mit voller Kraft los, ihre Stimme klettert einige Oktaven über ihre gewohnte Tonlage. Die Piano-Begleitung treibt nach vorne, sorgt für Unruhe, nicht für Melancholie.
Beide Gefühlsausprägungen stehen Tonia Reeh bestens. "Fight Of The Stupid" reißt mit. Die Vertonung/der Text ist stellenweise so szenisch, dass unweigerlich ein Film abläuft: Sei es im zurückgenommenen Pianostück "Madame Et Messieurs" der schwarzweiße Zusammenbruch einer verzweifelten Frau oder in "Cancer Dancer" mit seinen pochenden Beats im letzten Drittel ein energischer, durchgeknallter Tanz.
"I hope someone's just kidding and I'm dreaming a very bad dream / Can you please wake me and tell me this mess is not real?", schließt Tonia Reeh nach 40 Minuten voller emotionaler Hoch- und Tiefpunkte. Als Person wünscht man ihr, dass es sich bei der zur Schau getragenen inneren Zerissenheit tatsächlich nur um etwas Irreales handelt. Als Künstlerin verharrt sie jedoch hoffentlich in Zukunft auch in diesem albtraumhaften, fesselnden Zustand.
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