laut.de-Biographie
Anja Huwe
"Ich bin keine Retro-Person, ich schaue immer nach vorne", sagt Anja Huwe im Jahr 2025. Gleichwohl macht sie nun zur Freude der Fans ihrer alten Band eine Ausnahme. Denn die längst vergriffenen Aufnahmen von Xmal Deutschland erscheinen in neuem Glanz: Zunächst im Mai 2025 die ersten beiden Alben "Fetisch" und "Tocsin" samt der EPs "Incubus Succubus II" und "Qual" in der Neuauflage namens "Gift: The 4AD Years" (2CDs/3LPs). Später folgen Re-Releases der Alben "Viva" (1986) und "Devils" (1989). Zu diesem Zeitpunkt hat sich Huwe mit der Musik wieder versöhnt. 2024 veröffentlicht sie mit "Codes" ihr Solodebüt unter eigenem Namen, 35 Jahre nach ihrem letzten musikalischen Lebenszeichen.
Ins Rampenlicht tritt die am 21. Juni 1958 geborene Hamburgerin als 23-Jährige. Mit ihren vier Freundinnen Caro May, Rita Simon, Manuela Rickers und Fiona Sangster gründet sie die Band Xmal Deutschland, veröffentlicht zwei Singles bei Alfred Hilsbergs Zick Zack-Label und folgt dann der überraschend frühen Einladung nach England. Beim Kultlabel 4AD erscheinen die ersten beiden Xmal-Deutschland-Studioalben, Tourneen mit The Stranglers und Cocteau Twins folgen.
Derweil wollen die Deutschen 1982/83 Spaß mit Markus und lassen mit Nena 99 Luftballons steigen, da ist wenig Platz für den rauhen Xmal-Deutschland-Sound der Marke Siouxsie And The Banshees, Bauhaus oder Joy Division. Im Zentrum steht Huwes beschwörender Gesang und die schneidenden Riffs von Rickers. Die Gruppe tourt mit den Neubauten, Krupps und DAF, die ebenfalls im Ausland reüssieren. Xmal Deutschland finden selbst Fans in Japan und Südamerika, für ihre Heimat ist die Band scheinbar zu anstrengend. 1990 lösen sich Xmal Deutschland nach diversen Umbesetzungen auf.
Huwe hat erstmal genug von der Musik, zumindest als aktive Teilnehmerin. Sie zieht nach London, wo sie Acid House und Rave für sich entdeckt. Ihre Freundin Andrea Junker, die sie für elektronische Musik empfänglich machte, überredet Huwe schließlich, zu ihr nach Köln zu kommen, ins Team der Viva-Sendung "Housefrau". Huwe wechselt also die Seiten, anstatt vor der Kamera, ist sie nun Teil einer Redaktion. Allerdings sitzt sie nicht täglich in der Domstadt hinterm Schreibtisch, sondern reist für die verschiedenen Techno-Features und Interviews um die ganze Welt.
Um die Jahrtausendwende nimmt sie ihr Kunststudium wieder auf, das sie Anfang der 80er Jahre wegen der Band abgebrochen hatte. Sie entdeckt die Lust an der Malerei und die Bezeichnung für eine langjährige Gabe: Huwe ist Synästhetikerin. Diese Verknüpfung der Sinne Augen und Ohren führt dazu, dass sie Melodien in ihrem Kopf auf eine Leinwand übertragen kann. "Listen To The Pictures" heißen ihre Ausstellungen in Hamburg und Leeds folgerichtig. Auch in New York stellt sie aus. Ihre farbigen Punktgemälde verkauft Huwe weltweit.
Über ihre Freundin Mona Mur kommt sie langsam wieder zur Musik. 2019 ist Huwe gemeinsam mit Bettina Köster (Ex-Malaria!) auf Murs Album "Delinquent" vertreten. 2022 fallen ihr die Tagebuchaufzeichnungen von Moshe Shnitzki in die Hände, der 1942 als 17-Jähriger im heutigen Belarus lebte und während der Nazi-Okkupation als Partisan drei bis vier Jahre in die weißrussischen Wälder floh.
Diese Geschichte über menschliche Grenzerfahrung, Angst, Schmerz, Verlust und Einsamkeit setzt in Huwe Kreativität frei, die erstmals seit 1989 in neue Songtexte fließt. Zusammen mit Mur und Xmal-Gitarristin Rickers entsteht ihr Solodebüt "Codes" (2024). Jahrelang lehnte sie Angebote, auf die Bühne zurückzukehren, ab. Nun scheint der Zeitpunkt ideal, zumal 2024 auch die Compilation "Early Singles" erscheint und erstmals wieder Musik von Xmal Deutschland verfügbar macht. Im Februar 2025 steht Huwe schließlich beim Grauzone Festival in Den Haag erstmals wieder auf der Bühne - und singt vor einem ergriffenen Publikum neben ihren neuen Solosongs auch alte Lieder.
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