laut.de-Kritik
Harte Zeiten, harte Sounds, die Musik sagt Danke.
Review von Yan VogelBiffy Clyros Veröffentlichungspraxis bleibt ungewöhnlich. Entweder erscheinen die Alben im Doppel-Format wie bei "Opposites" oder die Band lässt dem regulären Tonträger eine B-Seiten-Sammlung folgen, die qualitativ auf hohem Niveau angesiedelt ist ("Similarities"). Nach ihrem poppigen Soundmonstrum "Ellipsis" ließen es die Kilmanocker Rocker zuletzt etwas ruhiger angehen. "MTV Unplugged" gibt einen prima Querschnitt durch die Karriere der Schotten ab.
Nun drehen Bandkopf Simon Neil und seine beiden Follower wieder das große Rad. Nicht eine, sondern zwei Veröffentlichungen gibt es in den kommenden Monaten auf die Ohren. Die erste markiert den Soundtrack zu dem Film "Balance, Not Symmetry" und erscheint zunächst in digitaler Form, klammheimlich, still und leise, ohne viel Vorab-Getöse. Der Film als Gesamtkunstwerk steht im Vordergrund. Die Story basiert laut Neil auf Elementen des Shakespearschen Drama "Romeo und Julia", allerdings aus der Perspektive der weiblichen Protagonistin. Das Debüt des Films findet im Rahmen des internationalen Film-Festivals in Edinburgh am 23. Juni statt.
Das Besondere an der Sache ist das Zusammenspiel zwischen Bild und Ton, denn der Soundtrack stand zuerst. Um dessen Musik, Texte und Intention konzipierte der walisiche Regisseur Jamie Adams sein Script. Entsprechend vielgestaltig komponierte das Trio die Tracks. Akustisch geprägte balladeske Nummern, elektronische Spots im Zahlenraum zwischen eins und null, wüstes Hardcore-Geknüppel und massenkompatibler Breitwandrock finden sich in trauter Einheit darauf.
Die Handschrift der zartbesaiteten Briten scheint immer durch. Auch wenn die wahrhaft wütenden Nummern dem kommenden Studio-Release vorbehalten bleiben, haut der Vorgeschmack in Form des Titeltracks ordentlich in die Magengrube, bevor der Refrain Zucker um die Ohren bläst, und vereint das Beste aus der proggigen Frühphase und den aktuell tonangebenden Hook-Monstern. Der Brexit macht halt Bock auf Rock. Harte Zeiten, harte Sounds, die Musik sagt Danke. Film ab für das bunte Treiben der Schottenrocker.
Auf Elektronik und Soundspielereien verzichtet die Band aber nicht. Beim Songwriting beweisen die Multiseller wieder mehr Mut und führen doch den seit "Puzzle" eingeschlagenen Weg konsequent fort. "Fever Dream" plätschert nervös dahin, bevor das Finale mit seinen düsteren Chören und Noise-Sounds den Hörer schier zerreißt. Tief in den Achtzigern mit straighten Beats, Synthie-Käse und The Edge-Gitarren wurzeln "All Singing And All Dancing", "Tunnels And Trees" oder das ruhige "Colour Wheel" mit coolen Satzgesängen. Mit ihren schmissigen C-Parts geraten die Songs immer wieder in die Umlaufbahn der Hooks im Stile von M83 oder The Naked And Famous.
In Form eines folkigen Kleinods tänzelt "Different Kind Of Love" um die Ecke, um dann in eine Ballade zu münden, die sich mit Chris Martin-Chören nicht nur Freunde macht. Ein kurzer, krachiger Solospot versöhnt, was durch die Beliebigkeit davor entzweit wurde. "Sunrise" stellt den Peak der Platte dar. Ein schöner verkräuselter Beginn, sattes Riffing und ein Refrain, der sich wie ein lauer Abend ins Gemüt senkt.
"Plead" bringt schummrige Motown-Atmosphäre in den Rundling ein, bevor doomige Sabbath-Klänge das Licht ausknipsen. Wohlfühlcineasten wie Tiersen, Zimmer und Einaudi grüßen bei den Interludes "Pink" oder "Navy Blue". Manege frei für "Gates Of Heaven" und "Jasabiab", die mit ihrer tragikomischen Art eine Träne im Knopfloch hinterlässt. "The Naturals" und "Touch" schweben im Zustand zwischen Kitsch und Kunst und erklimmen so manchen Hook-Mountain. "Following Master" läutet mit biblischen Orgelklängen das Finale ein, bevor es das Piano und Neils Bariton mit "Adored" ruhig ausklingen lassen.
Dem Trio ist die stilistische Freiheit jederzeit anzumerken. Ob das nun die Fans versöhnt oder spaltet, sei jedem Hörer selbst überlassen. Beschwerden bezüglich eines möglichen Stillstandes pulverisieren Neil und Co. hier eindrucksvoll. Auch wenn der Film sicherlich noch weitere Deutungsebenen hinzufügt, bleibt die hier präsentierte Musik von hoher, vielgestaltiger Qualität mit einprägsamen melodischen Höhepunkten.
3 Kommentare
Also ich höre hier sowohl Teile ihrer Stärken (beginn und riff von sunrise) als auch das was sie mittlerweile so verzichtbar macht (Refrain von sunrise; z.b. Different Kind of love; ohos und ahas)
2-2,5 mehr kommt leider nicht raus
Wann nur, wann endlich frickeln sie wieder?
Wow, was für ein Soundtrack! Bin gerade beim letzten Lied angekommen und liebe es schon jetzt: das haben die Jungs prima hinbekommen! Einfach mal so einen Soundtrack raushauen - genial. Abwechslungsreich, aggressiv und gefühlvoll. Bin jetzt gespannt auf den Film. Unbedingt anhören.