laut.de-Kritik
Auch alte Herzen können brennen.
Review von Artur SchulzDas Wilson-Photo im Booklet wirkt harmlos. Dort steht ein in Ehren ergrauter Herr. Würdevoll und von einer seriösen Aura umgeben. Ein vertrauensvoller Bank- oder Versicherungsberater vielleicht. Doch man schaue sich dasselbe Bild nach dem Hören seines Albums an. Wie konnte man ihm zu Beginn entgehen, diesem nun plötzlich auftauchenden Schalk in den Augen? Brian Wilson 2008 hat's faustdick hinter den Ohren.
"That Lucky Old Sun" ist als Konzeptalbum in Sachen Liebe zu Kalifornien und L.A. angelegt. Sämtliche Titel gehen ineinander über. Dazwischen webt Wilson schnurrige, musikalisch unterlegte Spoken Word-Passagen aus der Feder von Van Dyke Parks ein. Eingestreute Reprisen des Titelsongs runden das Gesamtwerk ab. Konzept-Arbeiten besitzen ja oft den Ruch von übertriebener Verkopftheit, doch nicht in diesem Fall. Die Lust am Leben - gepaart mit kompositorischer Leichtigkeit - ist zentrales Stilelement.
Bereits mit den ersten Klängen des Openers ist klar, wer hier zu Werke geht: Unverwechselbare Beach Boys-Chöre münden in den eigentlichen Song, der zwischendurch gar poppige Gospel-Anleihen bemüht. Atemberaubend, mit welch Leichtigkeit der Altmeister auf "Good Kind Of Love" vorführt, wie ein echter und authentischer neuzeitlicher Titel im Gewand der Sixties zu klingen hat.
Schon nach drei Songs hat Brian Wilson das Hörer-Herz im Sturm genommen, da setzt er noch einen drauf. Als einer der ganz großen, klassischen Beach Boys-Hits fungiert von jeher die herzstreichelnde Ballade "Surfer Girl". Mit "Forever She'll Be My Surfer Girl" serviert Brian keinen schnöden Aufguss, nein, dieser Mann beweist Grandezza. Sein Rückblick auf jene goldenen Tage steht in enger Korrespondenz zum Heute und bindet so eine rührende, Jahrzehnte umspannende Zeitschleife. Das angebetete Girl besitzt noch immer ihr damaliges Antlitz– denn sie verschwand bereits in der Zeit, als die Wellen noch neu und aufregend tanzten. Doch wirklich fort war sie nie.
Klar, Wilsons Stimme besitzt ihre Brüche und Sprünge an mancher Stelle, doch dafür braucht keine überzogene Studio-Technik zum Glätten eingesetzt werden. Seine neuen Kompositionen atmen oft genug einen leicht spinnerten und verschrobenen Geist ("Oxygen To The Brain"), doch immer hat Brian einen klaren Plan. In den Aufnahmen steckt die Liebe zum Detail. Da punktgenaue Chöre, hier eine schwellende Orgel, dort ein hüpfendes Tamburin. Die Streicher lassen sowieso niemanden allein in der Nacht stehen.
"Mexican Girl" erinnert zu Beginn fast an eine Art überkandidelte Parodie auf gängige Latin-Klischees aus weißer Sicht – doch Wilson zwinkert hier nur einmal mit dem Auge, und setzt im Hook-Part seinem Song-Pferd einen prächtig geschmückten Sattel auf. "Live Let Live" holt den Doo Woop zurück aus der Vergangenheit. "Going Home" verfügt zu Beginn über einen nicht unbedingt geglückten, gepressten Gesang, schwingt sich mit zunehmender Spieldauer aber mit seinen Beats und dem Klasse-Arrangement in ungeahnte Höhen.
Mit dem Schlussakkord "Southern California" läuft Wilson noch einmal zu Höchstform auf. Die dezent melancholische Dämmerungs-Elegie umgarnt mit warmen Harmonien und meisterhaftem Spannungsaufbau. Wilson weiß, was die Stunde geschlagen hat, und genießt: "Oh, it's magical / I'm glad, it happenend to me / Fell asleep in the band room / Woke up in history". So winkt denn das geliebte Surfer Girl für immer von ganz fern: "Summer, '61 / A goddess became my song / I fell in her ocean eyes / As endless as the sky". Auch alte Herzen können brennen.
1 Kommentar
wundervolle rezension, aber fikk dich heute nacht trotzdem in unserem hotelzimmer