laut.de-Kritik
Keine Filler: Post Hardcore wie aus der Wundertüte.
Review von Jan HassenpflugWer schon ein paar Plattencover von Dance Gavin Dance zu Gesicht bekommen hat, weiß, wie sehr sie Wimmelbildern gleichen, so bilderreich, bunt und fantasievoll sind sie gestaltet. Es ist, als würde man den abgedrehten Stil der Band von der akustischen auf die visuelle Ebene übersetzen. Wild, aber nicht willkürlich setzt sich auch das musikalische Geschehen wie eine bunte Wundertüte aus völlig unterschiedlichen Genre-Farbtupfern zusammen. Das macht auch den zehnten Streich des Ensembles zu einer überaus unterhaltsamen, aber zuweilen anstrengenden Angelegenheit.
Nicht viele Post Hardcore-Bands schaffen es bis zum zweistelligen Jubiläum. Doch trotz des einst inkonsistenten Starts in Sachen Besetzung liefern Dance Gavin Dance inzwischen zuverlässig Qualität ab. Zurecht lassen sie es sich nicht nehmen, ihre prall gefüllte Diskografie mit einer prall gefüllten Tracklist abzufeiern. Keine Filler, keine einminütigen Strohfeuer: Tatsächlich bekommen wir, den Opener "Untitled 2" wohlwollend ausgeklammert, 17 komplex arrangierte Songs auf die Ohren.
Dabei muss der Vorwurf erlaubt sein, dass sich die Stücke nur marginal in Stimmung oder Härtegrad unterscheiden. Sie alle eint ein Wirrwarr aus abenteuerlichen Tempo- bzw. Rhythmuswechseln und verspielten Bubble Gum-Melodien. Gerahmt von verträumten Gitarrenklängen erweckt Tillian Pearsons androgyne Stimme diese unverschämt treffsicher zum Leben. Immer dann, wenn die Chose droht, ins Kitschige abzudriften, sichern versierte Gitarren-Tappings oder die typischen staccatoartigen Shouts den rockigen Punch inmitten der Reizüberflutung.
Letztere hallen auf Dauer ebenso redundant nach, wie die soften Gesangspassagen, sind aber für die Dynamik unverzichtbar. Kurzum die Band ist nicht Everybody's Darling. Wer Dance Gavin Dance ins Herz schließen will, muss sich mit den beiden Extremen anfreunden können. Daran ändert auch "Jackpot Juicer" nichts. Wenn das klappt, können die Amerikaner dann viel Freude machen.
"Cream Of The Crop" kommt sofort zum Punkt, verbreitet Leichtigkeit und gute Laune. Dieses Gefühl transportiert Pearsons Stimme und sein unfassbares Gespür für Harmonien automatisch. Wie für fast jeden Track ist auch hier der stetige Zweikampf soft vs. hart ein Garant für viel Leben in der Bude. Beim sehr homogenen Gesamteindruck des Albums fällt es gar nicht leicht, einzelne Tracks hervorzuheben. Das hat sein Gutes, denn ein Fehlgriff lässt sich trotz der umfangreichen Spielzeit nicht ausmachen.
Stattdessen tun sich schüchtern besonders melancholische Stimmungen ("One Man's Cringe", "Die Another Day"), bluesige Momente ("Holy Ghost Spirit") oder freigeistiger Funk ("Two Secret Weapons") hervor. "Pop Off!" schickt sich vielleicht am ehesten an, der Hit unter vielen spannenden Perlen zu sein. Apropos Pop, äußerst ansprechend übernehmen cleane Vocals in "Back On Deck" komplett das Kommando. Dafür räumt "Current Events" den härteren Facetten mehr Platz ein. Zumindest eröffnen Blast-Beats und garstige Shouts den Song auffallend ungemütlich.
Aufhorchen lässt eine zweite Gesangsstimme, die sich über die gesamte Spieldauer und im Hintergrund immer wieder einmischt. Sie gehört Gitarrist Andrew Wells. Seine beruhigende Stimme verleiht Dance Gavin Dance noch mehr Farbe und harmoniert ausgezeichnet mit den beiden anderen Protagonisten. Zum großen Finale drängt sich "Have A Great Life" als einer der stärksten Songs der Scheibe auf.
Schade, dass dieses so würdige Jubiläumswerk von einigen unschönen Missbrauchsvorwürfen gegenüber Pearson überschattet wird. Nun ist die Zukunft der Band ungewiss. Aus musikalischer Sicht bleibt zu hoffen, dass die Formation noch mal die Kurve kriegt. So viel steckt da drin.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Top Platte. Warum zur Hölle werden die hier erst nach 17 Jahren besprochen?
Leider sehr nervig und hängengeblieben. Bunt und abwechslungsreich ist ja gut. Nur sehr schade, wenn ein nach Axe müffelnder Part für frühe Teenager den nächsten jagt. Leute, schon im Jahr 2000 hat das Eltern nicht mehr verstört als die viel zu lauten Titelmelodien aus dem Cartoon-Programm ihrer Kleinwüchsigen.
Vielleicht können die alten Platten ja was. Der Ruf einer cringigen Band, der sich bei Reddit zeigt, wird beim aktuellen Material erst mal bestätigt.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Axe? Eltern verstören? Was?!
Cringe lass ich vielleicht noch gelten.
Ich glaube das Genre ist einfachnix für dich.
Ne, isses auch nicht. Ich denk da immer an so cringige Emo-Kids. Gaaaaaanz eklige Harmonieführungen aus den besser vergessenen Plastik-College-Rock-Zeiten der 90er mit peinlichem Kreischi-Kreisch. Würde Material anderer Art aber ne Chance geben.
Das ist dann halt genau so cringe wie Billy Talent oder Coheed and Cambria. Aber handwerklich sehr gut gemacht. Der Rest ist Geschmackssache