13. Oktober 2015

"5000 Facebook-Freunde sind nur Ballast"

Interview geführt von

Seit der Veröffentlichung ihres Albums "Fun" im vergangenen Jahr haben Szene-Kenner Die Nerven aus Stuttgart auf dem Zettel. Nun legen die Schwaben mit dem Noise Rock-Brocken "Out" nach.

Drummer gelten ja gemeinhin als exzentrisch gepolte Leute. Ähnlich wie die Torhüter beim Fußball kochen Schlagzeuger ihr eigenes Süppchen. Während die Kollegen an vorderster Front eine Einheit bilden, beschäftigen sich die Einzelkämpfer im Hintergrund primär mit sich selbst. Die Folge: Die, die den Laden hinten dicht halten, entwickeln sich zu Menschen mit narzisstischen, überehrgeizigen und eigenbrötlerischen Zügen – so zumindest der allgemeine Tenor. Es gibt aber auch Rhythmusakteure, die so gar nicht in dieses vorgefertigte Schema passen. Einer davon heißt Kevin Kuhn, seines Zeichens Trommler der Band Die Nerven und die Entspannung in Person. Glaubt ihr nicht? Ist aber so. Hier der Beweis:

Hi Kevin. Schön, dass du ...

(unterbricht mich)

Kevin Kuhn: Hi. Ey, es tut mir echt total leid, dass du hier mit dem Drummer vorlieb nehmen musst. Ist das überhaupt ok für dich?

Alles wunderbar. Wo ist das Problem?

Ach, keine Ahnung. Eigentlich wollen die Leute ja immer mit dem Sänger oder dem Gitarristen quatschen. Ich halte mich da immer ein bisschen zurück. Ich bin nicht so der Typ fürs Rampenlicht.

Ihr seid aber doch eine Band. Und ohne dein Dazutun läuft doch nix. Also bist du mindestens genauso wichtig wie die beiden anderen. Oder empfindest du das anders?

Och, da denke ich nicht drüber nach. Ich will einfach nur meine Musik machen. Der Rest interessiert mich eigentlich gar nicht.

Was genau interessiert dich nicht?

Naja, dieser ganze Hype um unsere Band. Dieses ganze Gehabe geht total an mir vorbei. Mag sein, dass ich da jemand bin, der komplett anders tickt als andere Musiker. Aber ich brauch diesen Rummel nicht. Ich wäre schon happy wenn sich unser neues Album 100 Mal verkauft.

Demnach bist du dieser Tage ganz entspannt?

Ja, absolut. Sicher, es kribbelt schon ein bisschen. Aber nicht, weil ich hoffe, dass sich das Album in die Charts beamt, sondern eher, weil ich einfach nur wissen will, was die Leute zum Album zu sagen haben.

Bist du selbst denn zufrieden?

Ja, schon. Ich denke, dass es das erste Album ist, das wirklich von vorne bis hinten alles auffährt, was uns als Band momentan ausmacht. "Fluidum" war sicherlich für den damaligen Moment die richtige Platte. "Fun" war eher ein Schritt in eine andere Richtung. Da haben wir viel experimentiert. "Out" ist jetzt die erste Scheibe, die keine Schlupfwinkel hat.

War das eine bewusste Entscheidung, die ihr bereits im Vorfeld der Produktion getroffen habt? Oder hat sich das eher so ergeben?

Das lief einfach so. Da steckte jetzt kein Plan dahinter.

"Der Glitterhouse-Deal war fast too much für mich"

Ich war ja etwas überrascht, als mir zu Ohren kam, dass bereits ein neues Album in den Startlöchern steht. Die Veröffentlichung von "Fun" liegt ja gerade mal anderthalb Jahre zurück.

"Fun" haben wir im Sommer 2013 fertigstellt. Und die neuen Songs sind wir ziemlich genau ein Jahr später angegangen. Dazwischen waren wir ja fast durchgehend auf Tour. Irgendwann ist man dann halt wieder hungrig.

Ich dachte ja eher, dass ihr im Zuge eures Labelwechsels ein bisschen Feuer unterm Hintern bekommen habt.

Nö, das lief alles ganz entspannt mit Glitterhouse. Wir hatten das Album ja auch schon Monate vor dem Wechsel im Kasten. Der Kontakt zu Glitterhouse kam erst nach unserem Groningen-Showcase zustande.

Was war das für ein Gefühl, als der Deal abgeschlossen wurde? Ich meine, Glitterhouse hat ja eine beeindruckende Geschichte. Da fallen mir Bands wie Helmet, Mudhoney, Monster Magnet und noch viele andere ein.

Für mich als alten Grunger kam das natürlich einem Ritterschlag gleich. Das war schon krass, als uns der Rembert (Rembert Stiewe, Glitterhouse-Mitbegründer) nach dem Gig in Groningen zur Seite genommen hat und uns erzählte, dass er sich durch uns endlich mal wieder jung fühlte. Dieses Kompliment war schon ein Segen. Dass wir dann auch noch gesignt wurden, war dann fast schon wieder too much für mich (lacht).

Das klingt schon wieder so schön bescheiden.

Ja, wie gesagt, ich will echt einfach nur Musik machen. Das ist mein Ding. Weißt du, ich hab bis zu meinem 23. Lebensjahr nicht mal ein Handy besessen. Ich musste mir jetzt wegen der Band zwangsläufig ein Smartphone besorgen. Und ich kann dir sagen: Die ersten Monate mit dem Ding waren echt die Hölle. Dieses permanente Gesimse und Gebimmel ging mir tierisch auf den Sack. Das brauche ich alles nicht. Ich brauche keinen Dauerkontakt nach draußen, keine 5000 Facebook-Freunde und keine ausgerollten roten Teppiche. Alles nur Ballast.

Und jetzt hast du auch noch an einem Album mitgearbeitet, auf dessen Cover ein ...

(unterbricht mich)

Ja, ich weiß, was jetzt kommt. Aber das ist kein Handy. Das schwarze Ding zwischen den Händen soll eher ein Monolith darstellen. Ist aber natürlich alles auch eine Sache der Interpretation. Ich find's schön, gerade weil es viel Spielraum zum Interpretieren lässt. Es hat was religiöses, gleichzeitig aber auch was futuristisches.

"Vor drei Jahren konnte ich kaum Schlagzeug spielen"

Wie sieht's inhaltlich aus? Lässt "Out" auch musikalisch und textlich viel Interpretationsspielraum?

Auf jeden Fall. Ich denke zwar schon, dass wir musikalisch diesmal etwas kompakter und homogener am Start sind. Aber ich finde, es gibt auch viele Momente auf dem Album, die erst mit einem gewissen Gespür für Fantasie Sinn ergeben. Textlich genauso. Ich hab zwar mit den Lyrics nichts am Hut, aber ich weiß, dass die anderen beiden da sehr viel Wert drauf legen, dass man alles mit verschiedenen Sichtweisen angehen kann.

Wird das auch in Zukunft so bleiben?

Ich glaube schon. Aber wir sind ja auch noch jung (lacht). Wer weiß, wie wir in zwei Jahren darüber denken? Vor drei Jahren konnte ich kaum Schlagzeug spielen. Und Julian hatte vorher auch noch nie einen Bass in der Hand. Wir stecken also eigentlich noch total in der Entwicklung. Da ist noch viel Luft nach oben.

Das hört man gerne. Es gibt ja viele Bands da draußen, da scheint die Luft schon lange raus zu sein. Mir kam zu Ohren, du seist ein Kiss-Fan. Paradebeispiel?

(lacht) Auf jeden Fall. Mit den Jungs begleitet mich so eine Art Hassliebe.

Ich habe ein Video gefunden ...

Oh, das "Unmasked"-Video, richtig?

Genau. Du machst dich da stark für das wahrscheinlich mit Abstand meistgehasste Kiss-Album von 1980.

Ja, das war mir auch mal ein Bedürfnis, auch wenn ich die Kritikpunkte der Fans natürlich nachvollziehen kann. Für mich ist es einfach eines der besten Pop-Alben überhaupt.

Wir reden hier über eine Band, die sich wahrscheinlich mehr als jede andere Band dieser Welt über den kommerziellen Erfolg definiert. So eine Combo müsste bei dir doch eher einen Würgreflex erzeugen.

Dieses ganze Gepose, all die Millionen verkauften Platten, die tausend Frauen und das ganze Drumherum haben mich bei Kiss eigentlich nie interessiert. Das blende ich immer aus. Ich finde die Musik einfach gut. Nicht alles, aber doch einiges. Ich meine, die ersten drei Alben sind der Hammer. Die Live-Sachen spielen auch in einer eigenen Liga. Und dann gibt es auch noch Alben wie "Unmasked" oder auch "The Elder" (von 1981, Anm. d. Red.): Scheiben, die einfach nur für ein falsches Publikum geschrieben wurden, und die ihrer Zeit voraus waren.

"The Elder"?

Ja. Für mich eines der verkanntesten Alben überhaupt. Am liebsten höre ich das Ding wenn ich bekifft bin. Das ist der Sound, der mich woanders hinbeamt. Und genau das ist es, was mich an Musik so fasziniert. Sie macht dir den Kopf frei, trägt dich woanders hin und setzt die Schrauben neu an. Kiss-Songs haben das bei mir immer super hinbekommen (lacht).

Wow!

Da staunst du, was? (lacht)

Und wie! Ich bin überrascht, dass es neben mir scheinbar doch noch Leute gibt, die Kiss nicht nur als eine Zirkustruppe abstempeln.

Ja, davon gibt's wahrlich nicht viele. Ich kann mich sonst nur mit sehr wenigen Leuten halbwegs normal über Kiss unterhalten. Aber wie gesagt, es ist eine Art Hassliebe. Es gibt auch Kiss-Alben, die kein Mensch braucht. Und über die Inszenierung brauchen wir gar nicht erst reden.

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