laut.de-Kritik

Keine Bühne für den Terror: Pornobrille auf, und los gehts!

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"Let's take a moment to remember – then we get back to the fun." Abgesehen von den so eingeläuteten Schweigesekunden während "I Only Want You" und einer dreizeiligen Anmerkung auf der DVD-Hülle schweigen Eagles Of Death Metal auf "I Love You All The Time" zum Grund, warum sie ihre Show am 16. Februar 2016 im Pariser Olympia für einen Film mitschneiden. Keine Bonus-Interviews, kein Statement im Booklet, keine weitere Publikumsansprache.

Wozu auch? Die Ereignisse beim Bataclan-Auftritt vier Monate zuvor beschäftigen Konzertveranstalter und -besucher, Angehörige und Musiker bis heute und die öffentliche Diskussion (bei der sich Jesse Hughes selbst nicht gerade als Musterbeispiel hervortat) wurde flächendeckend geführt. Bei der EODM-Rückkehr nach Frankreich soll es weder um die Vergangenheit gehen noch um Politik, sondern um die Zukunft und um Rock'n'Roll. Also Pornobrille auf, und los gehts.

Jesse Hughes stapft in Königsmantel auf die Bühne und reißt sofort alle Aufmerksamkeit an sich. Es spielt überhaupt keine Rolle, auf wen die Kamera gerade zeigt: Diese Band gehört ihm und weder ein steif am Schlagzeug sitzender Josh Homme noch Dave Catchings Rauschebart machen ihm das streitig. Hughes ist ständig in Bewegung, wogt (nicht nur) während "Complexity" im Cockwalk über die Bühne. Seine Performance geht Musterbeispiel eines Rockstars durch, der mit narzisstischen Posen das Publikum davon überzeugt, einer von ihnen zu sein. Wie er das macht – keine Ahnung. Aber es funktioniert.

Sollte irgendjemand Zweifel daran haben, dass zumindest anderthalb Stunden lang Jesse Hughes, der hugheste Mensch auf Erden ist, erinnert er gerne daran, indem er am laufenden Band Rockstar-Klischees bedient – immer genau mit der richtigen Dosis Augenzwinkern, um nicht tatsächlich narzisstisch rüberzukommen. Da landet die Gitarre eben einmal Hendrix-like im Nacken, nur statt Solo erklingt schlampiges Geschrammel. Zu "I Got A Feelin (Just Nineteen)" küsst das arme Instrument wiederholt den Boden ... Grund: Eine Saite ist gerissen. Jesse: "It can't do that!"

Am Ende der Show ("Speaking In Tongues") verabschiedet sich der Hosenträger-Macker plötzlich von der Bühne, rennt durchs Backstage und taucht wenig später inmitten des Publikums auf einem Balkon wieder auf. Dort beginnt er einen ausufernden Jam. Zum Finale steht er wieder vorne und lässt sich feiern.

Dort stehen hinter Hughes übrigens zwei Drumkits. Josh Homme ist für diese besondere Show natürlich mit von der Partie, spielt seine 4/4-Beats allerdings nur während der ersten paar Songs allein – dann stößt Julian Dorio hinzu. Nicht dass EODM-Nummern zwei Drummer nötig hätten, aber ein wenig Größenwahn schadet ja nie. Außerdem ermöglicht das, zwischenzeitlich Dorio als magazinlesenden Blickfang zu platzieren ("Miss Alissa").

Für Schauwerte ist also gesorgt, der innere Schnauzer befriedigt. In 19 Teilen präsentiert die Band eine ausgewogene Setlist mit Songs jedes Albums. So mancher Track kommt live gespielt gleich viel druckvoller (beispielsweise der Titeltrack) im Wohnzimmer an: ein Argument, sich "I Love You All The Time" nicht nur für den Fernseher, sondern auch für die Stereoanlage anzuschaffen. Denn auch in der Post-Produktion haben die beiden JHs nicht geschlampt.

Perfekt abgemischt erdreisten sich "Whorehoppin' (Shit, Goddamn)" und Co. ihren Weg durch die Boxen. Das stört nur dann ein bisschen, wenn die Kamera während eines Songs durchs ekstatische Publikum streift, dieses aber nur in den Verschnaufpausen zu hören ist. Beim Schnitt kommt Basser Matt McJunkins etwas zu kurz. Er ist gefühlt immer nur zu sehen, wenn er gerade Backing-Vocals trällert. Aber was soll man in der Regie auch anderes machen, wenn daneben zwei Kits, ein Rauschebart und Jesse Hughes stehen?

Üppiges Bonusmaterial sucht man, wie bereits erwähnt, vergeblich. Ein paar Backstage-Clips wären zwar nett gewesen. Dabei hätte man aber eben zwangsläufig den Bataclan-Vorfall thematisieren müssen. Statt dem Terror eine weitere Bühne zu geben, recken EODM auf "I Love You All The Time: Live At The Olympia In Paris" lieber ihren musikalischen Mittelfinger in die Luft – ranzig und gelöst wie eh und je. So gibts eben als Bonus noch drei weitere Songs ("Anything 'Cept The Truth", "Bad Dream Mama", "Shasta Beast") vom Gig in L.A.. Auch nicht schlecht. Zumal zur Ergänzung die HBO-Doku "Eagles of Death Metal: Nos Amis (Our Friends)" existiert, die sich des Anschlags ausführlich annimmt.

Trackliste

  1. 1. Il Est Cinq Heures, Paris S'Éveille (Intro)
  2. 2. I Only Want You
  3. 3. Don't Speak (I Came To Make A Bang!)
  4. 4. So Easy
  5. 5. Complexity
  6. 6. Whorehoppin' (Shit, Goddamn)
  7. 7. I Love You All The Time
  8. 8. Cherry Cola
  9. 9. The Reverend
  10. 10. Got A Woman
  11. 11. I Got A Feelin (Just Nineteen)
  12. 12. Stuck In The Metal
  13. 13. Miss Alissa
  14. 14. I Like To Move In The Night
  15. 15. Secret Plans
  16. 16. Wannabe In L.A.
  17. 17. Bag O' Miracles
  18. 18. Save A Prayer
  19. 19. I Want You So Hard (Boy's Bad News)
  20. 20. Speaking In Tongues

Bonus Tracks – Teragram Ballroom L.A.

  1. 1. Anything 'Cept The Truth
  2. 2. Bad Dream Mama
  3. 3. Shasta Beast

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