laut.de-Biographie
Erasure
Als Vince Clarke zusammen mit seinem Kumpel Andy Bell Mitte der 80er Jahre unter dem Namen Erasure in die Charts stürmt, hat er schon zwei erfolgreiche Musikerkarrieren und ein Mini-Projekt hinter sich. Seine Laufbahn beginnt er 1980 als Gründungsmitglied der Synthie Pop-Band Depeche Mode, bevor er mit Alison Moyet als Yazoo erneut in den Hitparaden zu finden ist. Anschließend veröffentlicht er mit dem Ex-Undertones-Sänger Feargal Sharkey unter dem Projekt The Assembly die Single "Never Never". In allen drei Formationen hält es den ruhigen und introvertierten Briten nicht besonders lange und so ist es schon verwunderlich, dass Clarkes nachfolgendes Projekt Erasure nicht auch ein kurzweiliges Intermezzo wurde.
Seit jeher ist bei seinen Veröffentlichungen eine Abneigung gegenüber jeglichen nichtelektronischen Instrumenten zu beobachten. Und so knallen auch nach Erasures erstem Elektro-Megahit "Oh l'Amour" aus dem Jahre 1985 in schöner Regelmäßigkeit Hit auf Hit der kitschdurchtränkten Synthie-Machart in obere Chartsregionen. Ständig in Gefahr, ins allzu Banale und Belanglose abzugleiten, finden Erasure ihren eigenen Stil irgendwo zwischen Pop und Poesie. Hitsingles wie "Sometimes", "A Little Respect" oder "Stop" finden sich auf jedem der zahllosen Best-Of-80's-Sampler wieder und sichern Erasure ein unübersehbares Kapitel in der Geschichte der Popmusik.
In den vom Grunge-Phänomen befallenen 90ern fällt das hitverwöhnte Duo plötzlich in die Untiefen öffentlichen Desinteresses. Sorgten das Album "Chorus" von 1991 mit der gleichnamigen Single, der Song "Love To Hate You" sowie die '92er Retrospektive "Pop" noch für einiges Aufsehen, beginnt ab dem Album "I Say I Say I Say" auch die kreative Stagnation. Obwohl jeder neue Longplayer von der mittlerweile weltumspannenden Fangemeinde, die eine große homosexuelle Szene beinhaltet, begeistert aufgenommen wird, scheint sich das seicht-luftige Pop-Konzept Erasures abgenutzt zu haben. Erst im Jahr 2000 überraschen Bell und Clarke auf ihrem neunten Studioalbum "Loveboat" mit beattechnischen Neuerungen und der Rückkehr zu alten Kompositionsqualitäten.
Den Bühnenbrettern der Welt bleiben die beiden aber nach wie vor fern, vor allem Clarke äußert öffentlich seine Abneigung gegenüber dem Rock'n'Roll-Zirkus. Drei Jahre später sind solche Bedenken dann vom Tisch. Mit "Other People's Songs" erscheint ein Album, auf dem die Briten Pop-Klassikern der letzten 50 Jahre ihr Synthie Pop-Gewand überstreifen. Die gemeinsame Arbeit an den Interpretationen wirkt sich derart fruchtbar aus, dass sogar wieder eine Tour gebucht wird. Mit der Peter Gabriel-Coverversion "Solsbury Hill" ist Erasure in Deutschland, England und Skandinavien endlich auch wieder Charterfolg beschieden. Selbst aus Amerika, wo das "Loveboat"-Album 2000 erst gar nicht veröffentlicht wurde, erhalten Erasure positives Feedback, so dass die Briten auch dort eine Tournee ansetzen.
Im Oktober 2003 kommt als Single "Oh L'Amour 2003" auf den Markt, das auf die zweite Erasure-Compilation "Hits! The Very Best Of Erasure" sowie eine dazugehörige DVD aufmerksam macht. Die Hitplatte erhält Gold in England. Bereits im Frühjahr 2004 treffen sich Andy und Vince wieder im Studio und beginnen die Arbeiten an ihrem nächsten Studioalbum, das noch Ende desselben Jahres in den Läden steht: "Nightbird". Die erfrischende Leichtigkeit der Single "Breathe" oder Songs wie "Here I Go Impossible Again" nimmt nicht nur die nach vierjähriger Studiopause dürstenden Fans im Handumdrehen für das Werk ein. Pop, Eleganz, Opulenz und die richtige Prise Pathos reichen sich auf "Nightbird" die Hand.
Im Mai 2004 heiratet Clarke in Brooklyn seine Freundin Tracy. Im selben Jahr lässt Bell als Reaktion auf einen Zeitungsbericht verkünden, dass er und sein Lebensgefährte Paul Hickey HIV-positiv getestet seien. Hickey verstirbt im April 2012. Dabei geht es dem Erasure-Frontmann besonders darum, noch immer weit verbreitete Informationsdefizite und Vorurteile über die tödliche Krankheit zu beseitigen. "HIV-positiv zu sein bedeutet nicht, dass man Aids hat. Meine Lebenserwartung ist nicht geringer als die jedes anderen Menschen, daher gibt es keinen Grund zur Panik. Um HIV und Aids herrscht noch immer eine unglaubliche Hysterie und Ignoranz. Lasst uns einfach normal weiter machen."
Nach "Electric Blue", einem Soloausflug des Sängers, nehmen Erasure für "Union Street" einige ihrer älteren Songs mit Gitarren, Streichern und Banjos in sparsamer Akustik-Instrumentierung neu auf. Vor allem Bells Gesang findet inmitten dieser ungewohnten Umgebung zu neuem Glanz.
Noch im selben Jahr steht die Vorbereitung auf ein neues Studioalbum auf der Agenda. Wie gewohnt schicken sich die beiden Musiker zunächst Songideen per Mail zu, bevor man sich auf einen Standort einigen muss. Schließlich wohnen die beiden schon länger nicht mehr auf dem selben Kontinent; Bell lebt in London und Clarke ist mit Ehefrau und Sohn Oscar in Damariscotta, einem Dorf in den Wäldern Maines an der amerikanischen Ostküste, heimisch geworden.
Ob die beiden in dieser Frage Strohhalme ziehen mussten, ist nicht bekannt, jedenfalls reist Bell nach Portland/Maine, wo die ersten Songideen gemeinsam umgesetzt werden. Für den stimmigen Sound ziehen Erasure mit Produzent Gareth Jones (Depeche Mode, Nick Cave) einen alten Bekannten zu Rate. Das Ergebnis hört auf den hoffnungsspendenden Titel "Light At The End Of The World" und erscheint im Mai 2007. Wer darin eine Veränderung im Soundkosmos der Band erwartet, liegt weit daneben. Das Album hätte in seiner Form, ebenso wie sein Nachfolger "Tomorrow's World", problemlos schon in den späten 80ern erscheinen können.
Freunde von Clarkes Arbeit am Depeche Mode-Debüt "Speak & Spell" erleben 2012 ein ungeahntes Legendentreffen: Gemeinsam mit dem lange verschmähten Kollegen Martin Gore konzipiert Clarke ein Techno-Album, das unter dem Projektnamen VCMG das Licht der Welt erblickt.
Vince und Andy überleben das 'Star-Sterben' vieler Ikonen der Achtziger und Neunziger. Ihre treuen Fans binden sie mit einem hohen Wiedererkennungswert und Authentizität an sich. Ihr Markenzeichen bleibt die klassische Stil-Mixtur aus Soul und Elektro-Pop, angereichert mit aktuellen Sounds. 2017 zollt ihnen Robbie Williams mehr als nur 'a little respect' und verpflichtet das Duo als Support für seine Europa-Stadiontour. Pünktlich zur Live-Sause haben Clarke und Bell mit "World Be Gone" ihr sage und schreibe 17. Studioalbum im Kasten, drei Jahre nach "The Violet Flame". Ähnlich wie beim fast zeitgleich veröffentlichten Album "Spirit" der alten Kollegen Depeche Mode reflektiert auch "World Be Gone" die aktuelle, politische Lage der Welt in der begonnenen Ära Trump.
1 Kommentar
Die Helden meiner frühen Kindheit aus den goldenen 90ern. Traurig, dass Andy Bell HIV positiv getestet wurde.