laut.de-Kritik
Absage an Verdruss und Trübsal.
Review von Sven KabelitzWenn man sich bei Erasure in den letzten Jahren auf eines verlassen konnte, dann auf das geschmacklose Design ihrer Alben. Auch "The Violet Flame" bewirbt sich um den Preis in der Kategorie "Hässlichstes Cover-Artwork des Jahres", geht aber diesmal leer aus. Den Titel haben sich Mando Diao mit "Aelita" bereits im Mai vorzeitig gesichert.
Ebenso sicher konnte man sich zuletzt sein, dass Erasure nur noch als geringwertige Kopie ihrer selbst existieren. Vieles, was sich zuletzt auf "Light At The End Of The World" und "Tomorrow's World" versammelte, ließ einen vor Fremdscham erschaudern. Doch irgendetwas an "The Violet Flame" ist anders, und alles, das anders ist, ist gut.
"Es geht um nichts anderes als Hoffnung, Vergebung, eine neue Chance zu erhalten – und um die Welt, die einem zu Füßen liegt", beschreibt Andy Bell den neuen Longplayer und könnte damit nicht richtiger liegen. Die Totgesagten kehren voll frischem Elan und prickelnder Freude zurück. Erasure atmen wieder und funktionieren so gut wie seit langer, langer Zeit nicht mehr.
Wie auf "Tomorrow's World" polieren Clarke und Bell ihren angetagten Charme mit behutsamen Neuerungen auf. Doch was damals nicht funktionieren wollte, glückt hier ab den ersten Tönen von "Dead Of Night" bis zum finalen "Stayed A Little Late Tonight". Ihnen gelingt eine euphorische Frischzellenkur, bei der sie zu ihrer alten Stärke im Songwriting zurück finden.
Halbgare und seltsam anmutende Experimente, die zuletzt für hochgezogene Augenbrauen und Skepsis gesorgt haben, bleiben diesmal komplett aus. Unrunder als das stotternde "D-d-d-d-day and night" im Opener wird es nicht. Nur "Be The One" und das sphärische "Smoke And Mirrors" bremsen das Tempo kurzzeitig ab. Schon etwas zu fein und geschniegelt, fehlt den zehn Stücken am Ende ausgerechnet die Abwechslung, um vollkommen an die vergangenen Großtaten anzuschließen.
Nach schlimmen Jahren und dem Tod seines langjährigen Partners Paul Hickey fand Andy Bell mit seinem neuen Gefährten Steve Moss zu alter Energie zurück. Seine zuletzt arg angegriffene Stimme, die mehr und mehr nachließ und sich auf "Tomorrow's World" hinter Autotune versteckte, blüht voller Passion und Dynamik auf. Fast klingt er wieder wie in seinen besten Tagen. "You are the reason I live", singt er in dem ergreifenden und an Moss gerichteten "Reason". "Ich weiß nicht, was ich ohne Steve gemacht hätte. 'The Violet Flame' ist auch ein Dankeschön. Ich bin ungemein glücklich und fühle mich gesegnet mit dieser zweiten Chance!"
Mit ähnlicher Entschlossenheit wie zuletzt "Electric" von den Pet Shop Boys ausgestattet, jedoch nicht ganz dessen Eleganz erreichend, durchdringt "The Violet Flame" der mitreißende Glaube an die Zukunft, der Wille, niemals aufzugeben, um doch noch Glück und Hoffnung zu finden. Erasure schicken ein kraftstrotzendes Ja in Richtung des Lebens und ein Nein in Richtung Verdruss und Trübsal. So schaffen Andy Bell und Vince Clarke doch noch etwas, mit dem wohl kaum noch jemand gerechnet hätte: eine einnehmende Pop-Platte, die einfach nur jede Menge Spaß macht.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Na, das ist aber mal eine Ansage. Ich gehöre auch zu denen, die nach dem zu Unrecht verkannten "Erasure" nur noch enttäuscht waren. Werde definitiv reinhören!
Mach mal. "Erasure" war ein Klasse Album. In die Richtung hätte ruhig mehr kommen können. Danach ging es aber wirklich steil bergab.
Sind locker mal 5 potenzielle Singles drauf!! Bestes Album seit Chorus!!!
Hey Vince, Du hier? Aber Eigenwerbung hast Du doch nicht nötig, oder?
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich bin Fan der ersten Stunde, das mal vorweg.
Fremdschämen Modus ist diesmal oft deaktiviert (seit vielen Jahren eigentlich immer ON). Frische Sounds, knackige Beats und leckere Hooks. aber teils immer noch etwas to much Spielkram. Beispiel: Die Main-Hook in Elevation gebe für sich einen super atmosphärischen coolen Dance Track, jedoch die vielen Lalas und lieblichen Abkenker mach den potentiellen Hit kaputt.
REASON ist belanglos, PROMISES ist nett, nicht mehr, BE THE ONE erinnert an Frühwerke, doch zuviel langgezogene Vocals, SACRED Hallo!? pumpt kräftig los, macht Laune; UNDER THE WAVE klingt nach Kindergarten, Äh!; SMOKE bin eingeschlafen; PARADISE reißt's wieder, guter Drive aber wenig Abwechslung; PARADISE kann ich irgendwie nicht sagen; STAYED .... überflüssiges Trallala;
Ansonsten, alle Achtung vor den Electro-Grandpas, aber mehr als die 3 (gutgemeinten) Sterne Sunds wirklich nicht.