laut.de-Biographie
Front Line Assembly
Die kanadische Formation Front Line Assembly gilt als eine der umtriebigsten Bands in dunklen Kreisen. Kaum verlässt Bill Leeb 1986 Skinny Puppy, wo er unter dem Pseudonym Wilhelm Schroeder im Line-Up auftaucht, gründet er Front Line Assembly. Kurze Zeit später stoßen Rhys Fulber und Michael Balch dazu.
Mit Singles wie "Iceolate" gehören Front Line Assembly am Beginn der 90er Jahre zu jenen Bands, die das EBM-Erbe aufgreifen, mächtige Gitarren dazu mischen, diesen apokalyptischen Mix in den Clubs hochgradig salonfähig machen und sich eine treue Fangemeinde rund um den Globus erspielen.
Bei Skinny Puppy fristet der Austro-Kanadier Leeb noch ein Schattendasein. Er ist zwar Mitglied, hat aber unterm Strich wenig Mitspracherechte. 1986 verlässt er Key und Ogre, um mit Front Line Assembly ein eigenes Projekt zu verwirklichen. Kurz danach veröffentlicht er mit "Nerve War" ein streng limitiertes Demo in Eigenregie. Auf dem zweiten Demo "Total Terror" hilft dann Rhys Fulber auf einigen Tracks aus. 1987 veröffentlicht die Band, inzwischen mit dem Zugang von Michael Balch kurzzeitig zum Trio angewachsen, mit "The Initial Command" ihren ersten offiziellen Longplayer.
Im folgenden Jahr holen Front Line Assembly zum großen Schlag aus. Neben dem zweiten Album "State Of Mind" kommen die Minialben "Corrosion" und "Disorder" in den Handel, die noch im selben Jahr unter dem Titel "Convergence" auf einem Longplayer landen.
Front Line Assembly stehen hier noch deutlich in der Tradition europäischer EBM- und Industrial-Acts wie Nitzer Ebb, Front 242 und Cabaret Voltaire. Rhythmische Synthesizersequenzen, dunkle Flächen und heftig verzerrte Gesangsparts zeichnen den apokalyptischen Soundmix aus und bescheren ihnen eine treue Anhängerschaft, vor allem unter den Gestalten der Nacht.
Die stürzen sich auch begierig auf die zahlreichen Releases, mit denen Leeb und Co. ihre Kreativität ausleben. Delerium, Intermix oder Noise Unit, anfangs mit Marc Verhaegen von Klinik, zählen zu den bekannten Projekten, die sich teilweise stark von typischen Front Line Assembly-Sound unterscheiden und keine Scheu vor aktuellen Trends wie Techno, House oder Breakbeat zeigen. Gleichzeitig kollaborieren Fulber und Leeb mit dessen Ex-Bandkollegen von Skinny Puppy unter dem Namen Cyberaktif.
1989 steigt Rhys Fulber zum vollwertigen Bandmitglied auf, während Balch ein Jahr später die Formation verlässt. Mit dem 90er-Album "Caustic Grip", das Leeb und Fulber zusammen geschrieben haben, blasen Front Line Assembly unverhohlen zum Angriff auf den Dancefloor. Die Singles "Provision" und "Iceolate" verbinden komplexe Melodie- und Samplestrukturen mit einem extrem groovigen Unterbau. Der Nachfolger "Tactical Neural Implant" behält die Tanzfläche mit technoiden Beats fest im Griff und gilt als eines der besten Front Line Assembly-Releases. "Mindphaser" gehört ins Plattenköfferchen eines jeden schwarzen DJs.
Danach wendet sich die Band 1994 verstärkt härteren Sounds zu, schwört auf massive Gitarrensamples und entspricht damit dem Trend der Zeit. Ministry oder Nine Inch Nails machen es vor, Front Line Assembly springen halbherzig auf den fahrenden Zug auf und vergraulen damit die Die-Hard-Fans.
In Deutschland setzen in jener Zeit Jürgen Englers Die Krupps auf heftige Synthies und fette Gitarren. 1997 treffen sich Front Line Assembly und Die Krupps zu einem Remixprojekt, das unter dem Titel "Remix Wars" erscheint. Leeb und Fulber gehen getrennte Wege, als ihre Delerium-Single "Karma", von DJ Tiesto in ein tranciges Gewand gehüllt, sich zum weltweiten Clubhit entwickelt. Chris Peterson tritt an die Stelle von Fulber und lässt gleich mit dem ersten Longplayer "Flavour Of The Weak" mächtig aufhorchen. Auf dem 1998er Remixalbum "Re-Wind" adeln die EBM-Götter Front 242 die Kanadier mit einem Remix von "Comatose".
Mit der wachsenden Bedeutung des Projektes Delerium sehen die Fans die Hoffnung auf ein neues Front Line Assembly-Release schwinden. "Epitaph" aus dem Jahr 2001 ist das letzte Album mit Chris Peterson und setzt ein Schlusspunkt unter fünfzehn Jahre Bandgeschichte. Rhys Fulber begeistert 2002 als Conjure One mit einem Soloalbum und setzt sich im Jahr darauf zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Bill Leeb ins Studio, wo neue Delirium und FLA-Tracks entstehen. 2004 schließlich erscheint das von den Fans lange erwartete neue Front Line Assembly Album "Civilization", auf dem das Duo zu alten Stärken zurück findet.
Auch beim 2006 erscheinenden "Artificial Soldier" ziehen Fulber, Peterson und Leeb an einem Strang. Gitarrist/Keyboarder Jeremy Inkel komplettiert das Line-Up. Auf dem Album mit dabei sind außerdem Jean-Luc De Meyer von Front 242 und Eskil Simonsson von Covenant.
Nach 2007 erscheinen "Fallout" mit Remixen von "Artificial Soldier" und nur drei neuen Titeln, "Improvised Electronic Device" (2010, bereits ohne Fulber, der unter anderem wieder mit seinen alten Kumpels bei Fear Factory sowie Rob Zombie arbeitet) sowie "AirMech", dem Soundtrack zum gleichnamigen Computerspiel. Auf "Echogenetic" (2013) präsentieren sich erstmals die neuen Bandmitglieder Craig Johnson und Sasha Keevill.
2017 steigt Rhys Fulber erneut bei FLA ein. Ein gemeinsames neues Album soll folgen. Vorher jedoch absolvieren sie 2018 eine Tour als Doppelspitze mit Die Krupps. Im Sommer desselben Jahres erscheint das meisterhafte "Warmech". Die rein instrumentale Fortsetzung des "Airmech"-Konzepts erweist sich als musikalisch großer Wurf.
Dennoch überschattet der überraschende Tod Jeremy Inkels den künstlerischen Höhenflug beträchtlich. Inkel erliegt bereits im Januar einem lebenslang währenden Asthma-Leiden. "Warmech" zeigt seine letzte Arbeit für FLA und unterstreicht, wie wichtig er im Bandgefüge war.
Leeb und Fulber machen anschließend zu zweit weiter und veröffentlichen 2019 mit "Wake Up The Coma" ein Album, auf dem sie viele neue Elemente in ihre Musik integrieren. Für die Platte haben sich die Kanadier so unterschiedliche Gastsänger wie Robert Görl (DAF), Nick Holmes (Paradise Lost) oder Jimmy Urine (Mindless Self Indulgence) mit ins Boot geholt. Zudem sind zwei Tracks noch mit Jeremy Inkel entstanden. Das Jahr darauf gibt es mit "Hijacker" zudem ein posthumes Soloalbum von Inkel.
Auf dem Nachfolger "Mechanical Soul" von 2021 konzentrieren sich die Kanadier wieder vermehrt auf ihre EBM- und Industrial-Tugenden. Ein Jahr später folgen dann Re-Releases und Remasters ihrer Veröffentlichungen aus den 80ern, darunter auch "Nerve War", das zum ersten Mal einen regulären Release erfährt. 2023 erscheint mit "Excursions 1992-1998" eine umfassende, wenn auch nicht ganz komplette Rückschau der Nebenprojekte Bill Leebs in den 90ern.
Noch keine Kommentare