laut.de-Kritik
Wiedergeburt mit Härte und Experimentierfreude.
Review von Alexander KrollJack White kann wahrscheinlich alles. Große Banderfolge von The White Stripes über The Raconteurs bis zu The Dead Weather. Modische Möbelrestaurationen vom Triple 78 Chair bis zum Sam Phillips Sofa. Als Schauspieler performen, eine Plattenfirma leiten. Selbst jeden Beatles-Song erkennt der 46-jährige Vollprofi nach nur einer einzigen Sekunde.
Auf seinem vierten Soloalbum "Fear Of the Dawn" treibt White seinen unbändigen Tatendrang auf eine neue Stufe. Nach achtmonatigem Rückzug vom Songwriting während der Pandemie entsteht 2021 in Whites Third Man Studio in Nashville ein ausschweifendes Klangpanorama, das der gebürtige Detroiter in Interviews als Wiedergeburt bezeichnet. Mehr noch als auf dem hyperaktiven Vorgängeralbum "Boarding House Reach" rotiert der jetzt blauhaarige Soundtüftler sein Bluesrock-Repertoire in härtere und experimentellere Gefilde.
Überall herrscht Überdruck. Eingebettet in ein dunkelblaues Gothic-Artwork aus Gespenstern, Fledermäusen und Totenköpfen, spannen die Tracks in grellen Großbuchstaben den mystisch überdrehten Themenrahmen einer Dämmerung. Leise Töne fehlen fast komplett, weil White alle ruhigen Songs im Juli auf einem separaten zweiten Longplayer namens "Entering Heaven Alive" veröffentlicht. Stattdessen tritt White mächtig aufs Fuzz-Pedal. Mit aggressivem Gitarrensound, hitziger Stimmfarbe und jeder Menge disruptiver Elemente entsteht ein handwerklich beeindruckender, künstlerisch sich aber nicht immer fügender, öfter anstrengender Hard- und Progrock-Reigen.
Beim Start gelingt trotz kleiner Widrigkeiten eine scharfe Soundattacke. Drei Titel, die White komplett selbst eingespielt hat, verzahnen sich zu einem übersteuerten Zwielicht-Triptychon. Angefacht von Beziehungswut zerfranst "Taking Me Back" und sein spitzes Telecaster-Riff in wilden Spiegelungen und Schraffuren bis zum Exzess, etwas spröde und einengend, aber doch mit jedem Hören mitreißender. Druckvoll donnert der Titeltrack "Fear Of the Dawn" im originären Drive von Bands wie Motörhead oder Monster Magnet durch Dämmerungsmetaphern, wobei dem Song statt kleiner Störsignale auch eine Minute mehr gut getan hätte. "The White Raven" rattert mit technoidem Overdrive und militärischen Fantasien immer näher an einen Kipppunkt.
Je mehr Effekte auftauchen, umso mehr gerät das Album ins Wanken. "Eosophobia" steigert das Leitmotiv der Tageslichtphobie zu einer chaotischen bis albernen Beschwörung der Sonne, in der gepitchte, verzögerte Parolen ("The sun goes up / The goes down") und Soundfragmente ziellos aneinander vorbeifliegen. "Hi De Ho" schunkelt über ein Sample des Jazz-Sängers Cab Calloway in eine irrwitzige Genre-Spielerei mit einem Gastauftritt des Rappers Q-Tip von A Tribe Called Quest, die bestenfalls als Variation von Lil Nas X's "Old Town Road" durchgeht.
Als eigenwillige meditative Fortführung und Erklärung der Sampling-Technik dient "Into The Twilight". Über fast fünf Minuten umkreist ein knarziger Bluesrock-Jam und eine von White hinzugesungene Zeile einen Disco-Chorus der US-Vokalgruppe The Manhattan Transfer aus dem Jahr 1979. Wie weit die Beck-affine Collage einem Plan folgt, zeigt sich im Reinschneiden eines Zitats des Beat-Poeten William S. Burroughs über Schnitttechnik ("When you cut into the present, the future leaks out"). Viel besser wird der Song dadurch trotzdem nicht.
Immer wieder finden sich inmitten konstruierter Klangkulissen eindrucksvolle, beseelte Impulse. In der zweiten Hälfte gilt das besonders für Songs, die mit voller Bandbesetzung aufgenommen wurden und näher an Whites traditionsbewussten Rock-Kompetenzen liegen. Obwohl "That Was Then (This Is Now)" immer wieder abbremst und abdriftet, beschert das Lied im Kern ein beschwingt jubilierendes Rock'n'Roll-Riff in bester Stones- und Kinks-Tradition.
"Eosophobia (Reprise)" steigert das Thema der hypnotischen Sonnenbeschwörung zu einer ausladenden Prog-Extravaganza aus melancholischen Soli, Wurlitzer-Wucht und hallenden Plant-Ausrufen. Mit ähnlich betörender Rock-Klassiker-Architektur holt "Morning, Noon, And Night" das kosmische Leitprogramm des Albums auf den Boden der Tatsachen: "Don't have time for martyrs / Don't have time for ghosts / No time for manipulations / What I want the most / Is more time for me / And time for you".
Überraschend warten im Finale sogar ein paar stille Töne. Mit sinnlicher Clapton-Gitarre und mildem Piano bietet "Shedding My Velvet" nach all dem Spektakel eine wohltuend emotionale Introspektive: "I'm shedding my velvet / Can't you see? / This is the real me / I'm not as bad as I was / but I'm not as good / As I can be". Gleichzeitig liefert der gefallene Vorhang ein Versprechen für Whites anstehendes Balladen-Album.
9 Kommentare mit 5 Antworten
Super Album, Prog- mit Betonung auf -ROCK beschreibt es meiner Meinung nach sehr gut. Knochentrocken, aber dennoch voller irrwitziger Studio-Spielereien und Abschweifungen. Selten hat mich eine Platte so dazu animiert sowohl abzufeieren als auch genau hinzuhören.
Ich würde jetzt nach 3 Hördurchgängen eine 4/5 vergeben. Klasse Album, kann man sich super am Stück anhören.
Die Stimme von ihm ist einfach nur nervend.
Seeeeeehr gut. Dreckig, weird und wummsig kann er viel besser als die ganze zarte Dad-Blues-Rock-Nummer.
Also Taking Me Back ist ja schrecklich, zumindest beim ersten Hören.
Ich find's cool und ich mag Jack White eigentlich nicht besonders.
Fand das Lied beim 1. hören anstrengend, jetzt feier ich es. Dann noch der Übergang zu Fear of the Dawn…Grossartig. 4/5
Ist eine abgefahrene Platte, noice!