laut.de-Kritik

Die Bonamassa-Produktion erweitert die Grenzen des Blues.

Review von

Joanne Shaw Taylor hat ihre Freundschaft mit Joe Bonamassa intensiviert. Entsprechend passt sie sich jetzt seinem Veröffentlichungsrhythmus an und hat mal eben elf neue Blues-Stomper eingespielt, dieses Mal an den äußersten Rändern des Genres. Schneller Release mit Masse heißt hier Klasse: Das Album "Nobody's Fool" zeigt Joanne wieder von ihrer besten Seite und mit etlichen neuen Variationen.

Während es also nur Spurenelemente für die radikalen Electric Bluesrock-Fans gibt, die seit jeher Joannes Karriere verfolgen, verfolgt immerhin das cheesy-gefällige "Just No Getting Over You (Dream Cruise)" noch ein bisschen Joannes Anfänge aus Tagen bei ihrem deutschen Label fort. Textlich sagt die von Detroit nach Nashville gezogene Britin aber ihrer langjährigen Wahlheimat 'adieu', die "Dream Cruise" ist ein Tuning- und Oldtimer-Auto-Festival in der ehemaligen Industriestadt.

Taylors neues musikalisches Sammelsurium erweist sich als hörenswert, teils brillant, bisweilen genial und ziemlich querbeet. Definitiv nicht ganz das, was man von einer Initiative namens Keeping The Blues Alive Records erwartet. Andererseits hält man Blues auch nicht mit Mumifizierung alive - da tun Impulse von außen durchaus gut. Im Titelsong führt Joanne hellwachen Southern Rock mit Gniedelkunst auf. "Bad Blood" setzt ihr angefangenes Training in Soul-Vocals fort und wendet ihr Talent nach einigen Coverversionen auf einen selbst komponierten exzellenten, warmen Soul-Song mit Ohrwurm-Potenzial an, der ein bisschen an den Stil der James Hunter Six und Leonard Cohens fachfremde Soul-Ausflüge erinnert. Heraus kommt überhaupt ein spitze komponiertes, traumhaft schön arrangiertes und perfekt performtes Stück ehrlichen Musikschaffens ohne Firlefanz, ohne Fake.

"Then There's You" hat ein bisschen Detroit-Touch und '70er-Glam in der Gitarre, so wie ja auch Suzi Quatro aktuell auf ihren Alben beides zusammen führt. Das warme und romantische "Fade Away ft. Tina Guo" mit Gast-Cellistin mischt Americana-Flair mit der klassischen Klavier-Ballade. In dem Lied nimmt die Sängerin von ihrer Mutter Abschied, deren Todestag sich bald zum zehnten Mal jährt. "New Love" trumpft in den Vocals Parts als Motown-Reinkarnation auf. Durch die Blues Guitar in den langen Instrumental-Strecken entwickelt sich der Track zu Soul-Rock-Blues von Blues Brothers-Prägung.

"Won't Be Fooled Again ft. Joe Bonamassa" überrascht zum einen wegen der schmeichelnden und zarten Stimmlage Joannes. Zum anderen übernehmen atmosphärische Orgeltöne. Sie wagen eine stilistisch radikalere Abkehr: Denn dieses Lied könnte von der jungen Edie Brickell aus den '80ern stammen. Umso klarer leuchtet im Pop-Songwriter-Outfit des Tracks Bonamassas E-Gitarre auf. Diese sanfte Seite findet im anmutigen "The Leaving Kind" dann ganz ausgeprägt ihren Niederschlag. Der Gesang ruft hier durchaus Gänsehaut hervor. Joannes Pop-Kompetenz verblüfft ein bisschen, weil man Blues Ladies eben eher als rau und scharfkantig abgespeichert hat und "Nobody's Fool" auch signalisieren soll: 'Ich lass mich nicht verarschen, ich bin tough'.

Wie cool Joanne sich im Pop-Umfeld bewegt, wurzelt tief, sagte sie uns doch, die Backstreet Boys in concert, CDs von N'Sync und ein Eurythmic persönlich hätten ihren Weg gekreuzt. Deren Dave Stewart hatte die Sängerin vor 20 Jahren als Teenager entdeckt, und jetzt trägt er zu einem ihrer fulminantesten Songs bei: "Missionary Man ft. Dave Stewart".

Dieses Highlight handelt zwar lyrisch absolut von Blues-Paradigmen ("I was born a original sinner... / My mother told me strong. / She said 'Be true to yourself / And you can't go wrong.'"), ist aber ein Eurythmics-Classic, auf demselben Album wie "Thorn In My Side". Der Song verdient ein Remake, und die Neuauflage braucht den Vergleich mit dem Original nicht im Mindesten scheuen. Im Gegenteil, musikalisch gewinnt der ursprünglich schon geniale Tune sogar massiv. "Es war immer mein Eurythmics-Lieblingslied, obwohl es bei dem tollen Gesamtkatalog schwer ist eins auszuwählen", so Joanne. Speziell das Video des Originals aus ihrem Geburtsjahr 1986 bleibt ein zeitloser Superklassiker. Dave hantiert in einem Chemielabor mit Schlangen und Annie als wachsartiger Grafikanimation, die aber nicht schmilzt, sondern sich aufbläht - das Video galt als wegweisend.

Das Eighties-Original zielt auf die Dancefloors, Synthie-Rock par excellence. Die neue Fassung bläst diese Vorlage mit Wucht zur Seite. Die Mundharmonika fungiert als Querverweis auf den Blues. Joanne nahm erst ein Unplugged-Blues-Demo auf, hatte an dem Tag dann andere Termine und überließ ihren Produzenten Bonamassa und Josh Smith die Verfeinerung. Als sie zurück kam, hatte der Track einen "grungy, fast White Stripes-artigen Vibe", wie sie sagt. Danach sagte ihr alter Mentor Dave Stewart zu, steuerte ein Gitarrensolo und einen Abschnitt Rhythmus-Begleitung bei. In der Neuaufnahme zwingt erst mal der Bass in die Knie. Der federt extrem, dringt in ungeahnte Tiefen vor, brummt ungewöhnlich laut und dominant und bleibt dem Song fast non-stop erhalten.

Es sind allenfalls ein paar unscheinbare Kleinigkeiten, die zum großen Meilenstein fehlen: Es gibt keinen monumental einschneidend wirkenden Moment. Die Platte ist einfach sehr, sehr gut, als Selbstverwirklichung der Künstlerin ein super schönes Werk. Fraglich ist, wie viel Strahlkraft die Scheibe nach außen hat. "Figure It Out ft. Carmen Vandenberg" steht laut Künstlerin für Female Empowerment, mutet in frühe-70er-Glampop-Aufmachung aber vor allem lieblich an. Das plätschernde "Runaway" bremst mit Softness und hat etwas Unentschlossenes, würde sicher gut zu einem Hippie-Folk-Open Air passen, überzeugt aber nicht restlos. Lange Fade-Outs wie im mitreißenden "New Love" und im beschwingten "Won't Be Fooled Again" passieren völlig grundlos und legen dramaturgische Schwäche offen. Joanne und Produzent John brauchen solche Verlegenheits-Lösungen eigentlich nicht. Der zusammenhängende Flow zwischen den Tunes lässt keinen bewussten Spannungsaufbau erkennen, und manchmal wirkt der Gesang schüchtern, was ich persönlich so sympathisch finde wie die Künstlerin als Person, aber mutmaßlich nicht jedes Blues-Fans Sache ist.

Joanne Shaw Taylor steht in einer lauten Zeit für eine vorsichtige und unaufgeregte eigensinnige Art und einen selbstsicheren Stil: Unsicherheit beim Ausprobieren von etwas Neuem offen zu zeigen, zeugt ja wiederum von Selbstbewusstsein und ist viel besser, als noch Jahre an der Platte herum zu basteln oder gar sie nie raus zu bringen. "Nobody's Fool" balanciert Nähe und Distanz sehr angenehm aus. Das übliche heart-crying-out, das viele an Etta James geschult haben, entfällt, und trotzdem kommt Joanne beim Hören nahe - eben auf ihre zurückhaltende Art.

Trackliste

  1. 1. Nobody's Fool
  2. 2. Bad Blood
  3. 3. Won't Be Fooled Again ft. Joe Bonamassa
  4. 4. Just No Getting Over You (Dream Cruise)
  5. 5. Fade Away ft. Tina Guo
  6. 6. Then There's You
  7. 7. Runaway
  8. 8. Missionary Man ft. Dave Stewart
  9. 9. Figure It Out ft. Carmen Vandenberg
  10. 10. The Leaving Kind
  11. 11. New Love

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