8. Mai 2017

"Wir wollen die Gitarrenmusik retten"

Interview geführt von

Muss man Gitarrenmusik und Rock'n'Roll retten? Geht es nach Sergio Pizzorno von Kasabian, ist die Antwort ein klares und selbstüberzeugtes "Ja". Den Soundtrack zur Rettung will das britische Quartett natürlich gleich selbst liefern.

"For Crying Out Loud" heißt der neue Longplayer, der die Regentschaft der sechs Saiten zurückbringen soll. Wir trafen Pizzorno, der sich haartechnisch nahtlos in den britischen Frisurenrock-Adel (Gallagher/Weller/Brown) einreiht und auch sonst das Selbstbewusstsein genannter Kollegen ausstrahlt, zum Gespräch in Berlin.

Serge, du hast gesagt, das neue Kasabian-Album soll die Gitarrenmusik retten.

Ja ... (überlegt nochmal) ... ja!

Da müssen wir jetzt mal nachhaken.

Ach Gott, die Dinge, die ich so sage (lacht). Was ich damit wirklich meine, ist, dass wir einfach eine bedeutende Platte machen wollten – und uns dabei der altertümlichen Gangart der Gitarre bedienen. Meine Ohren sind einfach müde, immer Bleeps und Electronics zu hören. Ich wollte einfach mal wieder hören, wie sich eine Gitarre anhört – und wollte somit das als Ausgangspunkt für das Songwriting hernehmen. Ich bin mir sicher, beim nächsten Album werde ich sie nicht mehr benutzen. Oder doch, wer weiß. Sie stand jedenfalls in der Ecke des Studios und ich dachte, ich benutze sie wieder mal. Ich versuchte, schnell zu schreiben, ein erhebendes Feel-Good-Album zu machen. Auf der Gitarre.

Kasabian sieht sich ja selbst als eine der letzten großen Rockbands.

Ja ... ja, das glaube ich wirklich. Es gibt nicht mehr viele, und mir fällt auch niemand ein, der jetzt neu rauskommt. Die Anzahl an Gitarrenbands ist klein geworden, es werden auch keine neuen Bands mehr unter Vertrag genommen.

Warum ist das der Meinung nach so?

Früher, vor den Computern, mussten Menschen, die musikalisches Talent haben, in eine Band einsteigen. Heute machen sie alles selbst, weil sie wissen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, drei andere Leute zu finden, die ebenso großartig sind. Es ist schwer, es als Band zu schaffen – sie denken sich also, wenn ich schon so gut bin, mach ich es doch lieber alleine. Glaube ich zumindest.

Ein weiteres Zitat von dir: "Alle modernen Rockbands sind immer so apologetisch".

Ich mag einfach Leute mit Charakter. Es geht nicht um den Bullshit, einen Lifestyle zu leben, Drogen zu nehmen oder zuviel zu trinken. Das ist lächerlich. Ich mag Freddie Mercury, David Bowie, Johnny Rotten und Kurt Cobain. Diese echten, großen, charismatischen Leute die einfach nur auf die Welt gekommen sind, um dich umzublasen. Die meisten Leute laufen nur herum und entschuldigen sich für alles. Ich möchte jemanden haben, der mich am Hals packt und mir einhämmert, warum ich ihm zuhören sollte.

Noel Gallagher, der ja sonst die meisten anderen Bands hasst, meinte mal, er fände es unverständlich, warum Kasabian oder Arctic Monkeys keine ganze Welle an anderen Arbeiterklasse-Rockbands hervorgerufen hätten.

Ich weiß nicht. Es ist einfach nicht mehr die Zeit dafür. Vor zehn Jahren hat Rock das Radio dominiert – und jetzt hörst du kaum eine einzige Gitarre mehr. Vielleicht kann dieses Album das ja wieder ändern.

"Ich bin aufgewacht und habe mir eine Gitarre geschnappt"

Im September 2016 dachten alle, das neue Kasabian-Album sei fertig. Dann habt ihr eine Pause gemacht – und alles hat doch länger gedauert.

Genau so war's. Ich habe mir selbst nur wenig Zeit genommen für's Schreiben der Platte. Ich brauchte einen Grund, eine Inspiration – also habe ich mir selbst Limits auferlegt. Ich durfte nur eine Gitarre nutzen, es durfte nur sechs Wochen dauern. Das machte es für mich aufregend. Ich hatte bald darauf ein paar Sachen, die fertig waren also sind wir ins Studio und haben sie aufgenommen. Ich fand's großartig – aber dann ging ich ein paar Wochen auf Urlaub. Als ich zurückkam, hörte ich mir die Songs noch mal an. Nein, das war es noch nicht, da fehlte etwas. Es fehlte das Graffiti, der Wahnsinn. Schöne Songs, massive Refrains – aber es fehlte ein Twist, den wir sonst immer haben. Also habe ich alles noch mal neu arrangiert, Sachen geändert. Ich hätte es gar nicht versauen können, weil alles immer wieder auf einen großartigen Chorus hinauslief. Am Ende gab's zwei neue Songs, die wirklich alles andere in den Schatten stellten – und die gaben dem Album auch einen Zusammenhang. Das war toll, beim nächsten Album möchte ich es wieder genau so machen. Eine Auszeit nehmen, um dann zum Material zurückzukehren.

Diese Graffitis von denen du sprichst, waren das eher neue Schichtungen oder echte Neu-Arrangements?

Es ging darum, Teile freier zu machen, Sachen rauszunehmen, auch gewissermaßen zu limitieren. Vieles ist Motown-inspiriert, dort geht es darum, dass alles perfekt und am richtigen Platz ist.

Dieses sich selbst Grenzen auferlegen, galt das auch für die Auswahl des Equipments?

Ich hatte eine Gitarre, damit musste der Song entstehen. Wenn du vor einer Wand mit lauter alten Vintage-Synthesizern stehst, dann kannst du dich ja gar nicht entscheiden, wo du anfangen willst. Ich bin aufgewacht, habe mir eine Gitarre geschnappt und geschaut, was ich tun kann.

Also ein instinktiver Zugang, Gitarre her und los.

Ja. Aufwachen, einen Kaffee trinken und dann loslegen. An manchen Tagen schaffst du zwei Sachen, manchmal auch wochenlang nichts.

Es ist, wie du gesagt hast, ein Gute-Laune-Album.

Ja, absolut und ohne Ausnahme. Ich habe so viel Musik gemacht, die sich ums aktuelle Zeitgeschehen kümmert. Das letzte Album "48:13" beispielsweise. Das war ein sozialer Kommentar der Zeit – aber ich hatte das Gefühl, dass das derzeit so viele Leute machen, so als wäre es der Imperativ unserer Zeit. Das wäre so offensichtlich – deswegen dachte ich, unser bester Beitrag wäre es, den Leuten etwas Hoffnung und Freude zu geben. Ich denke, genau so ist es geworden – dieses superpositive Feel-Good-Experience, das wir alle so dringend brauchen. Wir sehnen uns nach etwas Freude.

Passierte das unabsichtlich?

Total unabsichtlich. Frühere Alben wahren sehr konzeptionell, aber das war rein instinktiv. Ich machte ein Album, zwölf großartige Songs und habe es veröffentlicht. Wie positiv es im Endeffekt klingt, war echt nicht geplant.

"Es ist eine Sucht"

Wie fühlt es sich für dich an, das Album jetzt zu veröffentlichen?

Ich bin sehr erleichtert. Weil ich jetzt nichts mehr daran ändern kann.

Schaffst du es schon, dir das Album anzuhören?

Nein. Ich bin okay damit. Aber ich habe zwei Jungs und die lieben es.

Haben deine Kinder die Songs auch schon während des Entstehungsprozesses gehört?

Ja. Sie sind ja auch mit einem Part am Album vertreten.

Sind sie gute Kritiker? Sagen sie dir, wenn ihnen etwas nicht gefällt?

Ja, vor allem der Kleinere ist ganz schön harsch.

Dass "For Crying Out Loud" eine so positive Platte geworden ist, ist auch angesichts der Interviews interessant, die euer Frontman Tom in letzter Zeit so gab. Sein letztes Jahr war ja alles andere als angenehm.

Ich habe es nicht mit Absicht gemacht, aber ich denke, das Album hat Tom dabei geholfen, sich auf die positiven Dinge im Leben zu konzentrieren. Es wäre nicht gut für ihn gewesen, an einem sehr düsteren, brutalen, niederschmetternden Album zu arbeiten.

Gab es spezielle Einflüsse für dieses Album?

Die 70er waren definitiv wesentlich, weil da die Gitarrenmusik ihre stärkste Zeit hatte. Aber "For Crying Out Loud" ist nicht retro. Der Groove ist wichtig, die Urinstinkte, das Tanzen. Das wollte ich haben, das war mir so wichtig.

Die erste Single des Albums ist "Fell In Love With A Psycho".

Die hat fünfzehn Minuten zum Schreiben gebraucht. Es war einfach ein toller Moment, es kam über mich – ich weiß gar nicht so richtig, wie es passiert ist.

Ich habe mir mal die YouTube-Kommentare durchgelesen – die meisten fanden den Song gut, einige wussten nicht, was sie draus machen sollten. Einer meinte beispielsweise "Keine Sorge, das ist bestimmt der eine kommerzielle Song auf der Platte". Wie siehst du das?

"Fell In Love With A Psycho" ist ganz sicher der kommerziellste Track der Platte. Aber für deine erste Single denkst du dir, warum nicht etwas veröffentlichen, das jeder gleich versteht?

Weißt du das beim Schreiben schon, was eine Single wird?

Ja, das merkt man schnell. Ich hab in der letzten Jahren meine eigene Messlatte ja in gewisser Hinsicht immer ein bisschen höher gelegt und einfach geschaut, mit was ich alles durchkommen kann. Als ich es geschrieben habe, musste ich lächeln – einfach weil wusste, dass ich da eine wirklich ordentliche Single habe. Ich mochte den Gedanken immer.

Was macht für dich das Band-Dasein immer noch interessant?

Die Sucht danach, etwas fertig zu stellen und etwas zu machen. Ein nächstes Album, ein Stück Kunst, das für lange Zeit da sein wird. Das ist eine Sucht. Es ist ein langer Weg, eine Platte zu machen. Dann zu wissen, dass das für immer da sein wird, ist ein großartiges Gefühl.

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