laut.de-Kritik
Neoklassischer Schwedentod mit Liebe zum Detail.
Review von Steffen EggertBereits zum vierten Mal laufen die Stockholmer Splatterfreunde von LIK (zu Deutsch passenderweise "Leiche") mit "Necro" auf und erquicken auch die letzte Connoisseur*in der barbarischen Tonkunst mit ihrer eigenen Version des schwedischen Death Metals. Die in diesem Genre gerne aufkommenden Klagen bezüglich fehlender Innovation und Eigenständigkeit können bereits im Vorfeld abgewiesen werden, da LIK hier trotz gewisser musikalischer Grenzen mit einer derart erfrischenden Vielseitigkeit zu Werke gehen, dass kaum Wünsche offenbleiben.
Bereits auf den vorigen Alben "Mass Funeral Evocation" (2015), "Carnage" (2018) und "Misanthropic Breed" (2020) zeigten die Schweden, dass sie deutlich mehr draufhaben, als eine gute Stunde lang auf dem legendären HM-2 Pedal herumzustehen und den Inhalt der gängigen Anatomielexica zu grunzen. Ausgeklügelte, stets variierende Riffs mit dezenten Hinweisen auf progressives Rocksongwriting, virtuos gespielte Soli und dem meist brutalen Geholze entgegenstehende, eingängige Melodien lassen die klassischen Fassaden in einem neuem, dunklen Glanz erstrahlen.
Völlig frei von Intro oder anderen Vorwarnungen reißt die klare Entombed-Verneigung "Deceased" alle hartnäckigen Zweifel in Fetzen und dokumentiert eine hungrige Band, die völlig unverblümt alle möglichen Trademarks des Genres an den richtigen Stellen einsetzt. Die Lyrics aus dem Schlund von Frontmann Tomas Åkvik kommen klar verständlich im Ohr an und seine Stimme glänzt durch eine (ja, klingt komisch, ist aber so) beinahe angenehme, aber in jedem Fall extrem passende Klangfarbe. Die Drums verrenken sich akrobatisch, der Bass ist überall präsent, und die Gitarren flirren wie eine Meute besessener Insekten, ohne dabei strukturelle Aufbauten zu sehr aus dem Fokus zu verlieren. Neben aller Virtuosität kommen auch kompositorische Spitzen nicht zu kurz, da LIK alleine mit dem Spiel von Geschwindigkeit und Druck eine Spannungskurve aufbauen und auch halten.
Die Antikriegshymne "War Praise" spielt gekonnt mit Melodic Death Metal Anteilen, die man bekanntermaßen auch in Schweden perfektioniert hat. Die einleitende Melodie, eine catchiges Thema, erscheint immer wieder und prägt sich bereits beim ersten Durchlauf ein, wobei hier auch Erinnerungen an den klassischen Heavy Metal wach werden. Das Solo hätte auf jeder Judas Priest-Platte eine super Figur gemacht, und auch, wenn es tatsächlich etwas genrefremd wirkt, passt es wie Arsch auf Eimer. Neben kurzen Hochgeschwindigkeitsbangern wie dem fiesen "Worms Inside", dem wilden Rhythmusexperiment "The Stockholm Massacre" oder der völlig überzogenen Humandemontageorgie "Shred Into Pieces", die wirklich die Essenz aus allem Guten des Genres bilden, gibt es durchaus gegensätzlich angelegte Midtempo-Nummern mit merklichem Doom-Einschlag.
Das bereits im Vorfeld als Single ausgekoppelte "Morgue Rat" etwa walzt wie eine führerlose Planierraupe über nackte Füße. Dabei entsteht eine dichte, finstere Atmosphäre, ähnlich jener eines derben Horrorschinkens, nur dass der Jump-Scare im Schneckentempo auf sein armes Opfer zu kriecht. Die Drums tropfen wie lauwarmes Wachs, es groovet wie in Zeitlupe und trotzdem ist unfassbar viel Bewegung im Song. Spätestens mit den entrückt keifenden Gastvocals von Linnea Lindstedt (Tyranex) weicht jeder gute Geist aus dem noch warmen Körper und die Luft gefriert. Großes Tenniskino, Kinder.
Apropos Gäste: beim episch-melodischen Endzeitepos "In Ruins" gibt sich Nick Holmes von Paradise Lost die Ehre und macht dabei wie gewohnt alles richtig. Die ganze Nummer klingt wie ein großartiger Classic Rock Song aus dem Zentralheizungskeller des innersten Höllenkreises und zementiert erneut die Unverzichtbarkeit des Quartetts in der Death Metal Welt.
Nach dem wirklich schmerzlich schleppenden, leicht depressiven Rausschmeißer "Rotten Inferno", der das Album letztlich auch begrifflich zusammenfasst, ist Schluss, aber irgendwie noch lange nicht alles gesagt. "The ambition with 'Necro' was to make an even better record than the previous albums" sagt Fronter Tomas. Das darf als absolut gelungen so stehen bleiben, aber bei all dieser Spielfreude und Detailverliebtheit kommt da hoffentlich noch mehr.
2 Kommentare
Schönes Ding. Für die Art Review kann ich mir aber auch eine der Metal-BILDzeitungen holen.
"Die ganze Nummer klingt wie ein großartiger Classic Rock Song aus dem Zentralheizungskeller des innersten Höllenkreises".. bruda was?
Der Redakteur sollte sich unbedingt damit auseinandersetzen, was Neoklassik bedeutet. Spoiler Alert: Diese Band hat rein gar nichts damit zu tun.