22. April 2019

"Du magst sie und willst sie killen"

Interview geführt von

Es bedarf keines Genies, um zu bemerken, dass London zur Zeit kocht. In fast jedem Genre feuern die Szenen aus allen Rohren und quasi jeden Monat gibt es eine neue faszinierende Entdeckung aus einer der Hauptstädte Europas zu machen.

Loyle Carner ist da ein interessanter Gradmesser, denn der Mercury Prize-nominierte MC verwebt Soul, Jazz, Poesie und Hip Hop so mühelos, dass er und seine Peripherie eine valide Alternative zum Triumph des Grimes darstellen.

Im Interview dauert es indes eine Weile, bis der junge Mann aus London sich wirklich erwärmen kann. Bei ein paar Routine-Fragen winkt er müde ab, lässt sich nicht so recht aus der Reserve locken. Erst als es dann um London 2019 geht, wird er hellhörig. Nicht nur erzählt er lebendig aus den Jazz-Clubs und Cyphers seiner Stadt, er rechnet auch erbarmungslos mit der Brexit-Gesellschaft ab.

So, jetzt funktioniert die Verbindung. Wie geht's dir? Was machst du gerade so?

Ich bin gerade in Berlin angekommen, habe mir die Stadt angeschaut. Es ist nett hier, auf jeden Fall. Mir geht's gut.

Als ich mich durch deinen Katalog gewühlt habe, ist mir aufgefallen, wie oft du über dein Bild von Familie sprichst. Ist es für dich einfach oder schwer, über so private Themen zu sprechen?

Ach je, es kann schon schwer sein, manchmal. Aber auf der anderen Seite ist es ja auch die einzige Sache, mit der ich mich wirklich wohl fühle, diese Offenheit. Und das macht es dann auf jeden Fall ein ganzes Stück einfacher.

Fühlt es sich für dich notwendig an?

Ja, ich denke schon. Ich weiß nicht, es ist etwas, das sich so natürlich anfühlt, das mir im Schreibprozess immer wieder so zufliegt. Ich könnte das gar nicht anders angehen.

Du bist ja ein prominenter Vertreter des Conscious-Raps. Ist das ein Begriff, mit dem du dich wohlfühlst?

Ich glaube generell, dass Rap conscious ist. Das ist doch, worum es geht, es ist ein bisschen wie mit jeder Form von Poesie. Und auch wenn ich versteh, warum inzwischen "Conscious Rap" ein Begriff oder eine Sparte für sich darstellt, wäre es doch viel schwieriger, einen Rapper zu finden, der wirklich Unconcsious wäre. Außerdem bekommt doch am Ende jeder irgendeinen Begriff aufgedrückt und wird in irgendeine Box gepackt. Da ist es mir eigentlich noch ganz recht, wenn das zumindest in der Hip-Hop-Ecke bleibt. In Großbritannien gibt es nämlich auch Leute, die mir einfach aufgedrückt haben, ich würde nur Dichtung oder nur Indie machen. Aber ich bin ein Rapper! Wieso sollte ich kein Rapper sein? Weil ich keine verdammten Bandanas trage, oder was?

Aber das ist ja schon auch ein bisschen das Ding mit dir. Gestern habe ich noch den Pressetext überflogen und da stand als erstes dick und fett, was für ein smarter Typ du bist. Du seist ja nicht wie die anderen Rapper, sondern dieser soulige Typ, dieser Intellektuelle.

Ja, aber na gut, das ist jetzt halt mein Image, und es ist wie es ist. Gewissermaßen halte ich das auch für die ehrlichste Form von Inspiration, die da meinen Bezug zum Hip Hop ausmacht. Wenn man wirklich von etwas inspiriert ist, dann will man es nicht nur nachmachen. Genau so hat das auch mal J Dilla formuliert: Es gibt schon die Musik, bei der man sich denkt – ja, verdammt, jetzt will ich auch gehen und einen Beat machen. Aber trotzdem will man dann nicht genau diesen Beat machen, sondern seinen eigenen. Und so funktioniert meine Inspiration wohl auch. Mich beeinflussen Leute wie Common, Mos Def oder Talib Kweli. Aber nur weil ich bewundere, wie sie rappen, will ich nicht rappen wie sie. Ich will einfach nur rappen.

Sie haben einfach nur die Idee für dich geprägt, wie Rap sein könnte.

Ja genau. Es ist das Resultat einer Linie von großartigen Geistern, und man kann daraus beziehen, was man will.

"Viele da draußen rappen besser als ich"

Wenn du eine Kunstform nimmst, deren Form und deren Hauptquelle der Inspiration sich doch ein bis zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit befindet, wie beförderst du das nach 2019? Gibt es da Überbrückungsarbeit zu leisten?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, da ist einfach so viel Musik da draußen und die Situation und die Fülle an Dingen, die man hören könnte, ist so überwältigend, dass die Situation immer einmalig bleibt. Ich liebe ja zum Beispiel auch Jazz. Und ich liebe auch eine Menge neue Rapper! Nur, weil es von der Musik, nach der ich suche, nicht all zu viel gibt, heißt das ja nicht, dass es nicht trotzdem genug coole Künstler gibt, die mich jetzt gerade beeindrucken. Und diese lebendige Szene macht, dass ich mich immer wieder motiviert fühle, meine eigenen Projekte anzugehen.

Wer wäre das zum Beispiel? Welche aktuellen Rapper hörst du gerne?

Da ist ein Typ namens Kofi Stone, den ich super finde. Ein Typ namens Manik MC. Da sind so viele gute Leute da draußen, ganz ehrlich, die rappen teilweise viel besser als ich. Und immer wenn ich sie höre, denk ich mir: Scheiße, ich muss mein Level noch mal erhöhen.

Also ist da Competition in der London-Szene?

Ja, definitiv. Zumindest wünsche ich mir das. Es sollte doch so sein, dass jeder jeden Tag einen neuen Sechzehner schreibt und damit versucht, den Sechzehner von irgendwem anders zu toppen und nochmal einen draufzusetzen. Und klar magst du sie und respektierst sie, aber du willst sie auch killen.

Interessierst du dich auch für die anderen Szenen in London? Du hast ja schon gesagt, wie gerne du Jazz magst, und London brütet ja gerade darüber, von den Sons Of Kemet über A Comet Is Coming bis zu Zara McFarlein.

Sons Of Kemet, Ezra Collective, Alfa Mist, ja, die ganze Bandbreite ist super. Ich hänge mit den ganzen Leuten ab, weil ich eben auch mit ihnen befreundet bin. Gerade die Leute vom Ezra Collective, das sind Freunde von mir. Es ist ziemlich spannend, diesen Einfluss zu haben, von den großen Gruppen bis hin zu den wöchentlichen Jazz-Abenden.

London bringt zur Zeit so viel fantastische Musik hervor, von den Post-Punk und Rock-Bands über die Electro- und PC Music-Leute. Es scheint, als hätte jedes Genre gerade einen Hotspot bei euch. Wie fühlt die Stadt sich für dich gerade an?

Es ist auf jeden Fall wirklich aufregend, es passiert so viel und so viel gleichzeitig. Ich bekomme wahnsinnig viel von der Jazz-Szene mit, mit der Hip Hop-Szene kenne ich mich tatsächlich viel schlechter aus. Aber es gibt schon einen Zusammenhalt. Gerade, wenn jemand zu den Jazz-Leuten kommt und erzählt, er macht Hip Hop, Punk oder Rock oder was auch immer. Da ist man dann total offen.

"Die haben einfach unser Leben ruiniert"

Was bedeutet der Mercury Prize, gerade für einen Rapper?

Ich denke, das Wichtige am Mercury Prize ist allein die Nominierung. Das markiert nämlich irgendwo im öffentlichen Bewusstsein, dass jemand etwas macht, das innovativ und interessant ist. Deswegen sieht man dort auch nicht so viele Popstars – also gut, ein paar sind schon immer dazwischen, wahrscheinlich braucht man das, damit Leute den Fernseher einschalten – aber was da ankommt, das ist kein Blödsinn. Es zu gewinnen, ist dann auch gar nicht so wichtig. Ich meine gut, Sampha hat das schon extrem verdient gewonnen, auch wenn er gegen mich angetreten ist, habe ich mich extrem für ihn gefreut. Mir war das Gewinnen nicht wichtig, mir ging es darum, Teil der Konversation zu sein. Als Musiker anerkannt und an einem höheren Standard gemessen zu werden. Das war fantastisch für mich!

Ja, das stimmt. Und es hat ja auch etwas transzendentales, Sparten-übergreifendes. Das geht dann von Sampha und dir über die Young Fathers bis zu Kate Tempest.

Genau, ja! Das ist vielleicht die beste Sache an der ganzen Geschichte. Es ist so eine aufrichtige Zelebrierung von britischer Musik. All diese Musiker, all diese Alben, sie sind im Kern so unterschiedlich, aber irgendwie passt es doch jedes Mal als großes Ganzes zusammen.

Gibt es eine Großbritannien-haftigkeit, die man in all diesen Alben feststellen könnte?

Ja, ja, das glaube ich wirklich! Klar muss man akzeptieren, dass britische Musik nie so massiv wie amerikanische sein wird und das alles nicht so überzüchtet ist, aber da ist etwas irgendwie Unterschwelliges, Subversives, das viele britische Musik gemeinsam hat.

Das ist ein ziemlich interessantes Thema. Immerhin würden die meisten Leute ja Kulturen unterstellen, einen gemeinsamen Nenner zu haben. Russischer Literatur das Russische ablesen zu können, südamerikanischer Musik, japanischer Ästhetik. Aber was ist diese britische Essenz? Gerade, wenn man bedenkt, wie viel Raum zwischen Sampha und den Sleaford Mods, Kate Tempest und den Sons Of Kemet offen steht?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier in London das Multikulturelle ist. Und zwar nicht nur, dass Menschen mit vielen verschiedenen Herkunftsgeschichten im selben Land leben, sondern, wie sehr sie miteinander verwoben sind. Als ich in der Schule war, war der eine Typ neben mir vielleicht ein Muslim, der nächste Hindu, dann kommen zwei Juden, ein Katholik und drei Evangelen. Dann kommen wieder ein paar, die an gar nichts glauben. Aber sie alle sind Teil einer Konversation. Sie kochen anders und sprechen anders und unterhalten sich darüber, wie sie Musik machen und was für Musik sie gerne hören. Ich denke, das ist, was diesen Ort hier ausmacht. Du kannst nicht einfach für dich Musik vor dich hintreiben. Sobald du Musik machst, machst du das notwendigerweise mit Menschen aus allen Ecken der Welt. Das ist aber in meinen Augen auch, was eine Hauptstadt ausmachen sollte.

Das ist ja eben auch ein bisschen das Ding an der Globalisierung, nehme ich an.

Klar! Aber genau das macht den Brexit ja auch zu so einem frustrierenden Problem. Hier in London gibt es niemanden, der Angst vor Migranten oder Flüchtlingen hat.

Es ist ja auch statistisch bewiesen, glaube ich. Regionen mit höheren Zahlen an Migranten oder Flüchtlingen sind in dieser Hinsicht deutlich offener und aufgeschlossener.

Ja, das ist alles, was ich sage. Es ist auch ein faszinierender Fakt, dass ein gewisser Teil derjenigen, die für "Leave" gestimmt haben, seit der Abstimmung einfach schon gestorben sind. Die haben sich gar keine Gedanken gemacht, die mussten es nicht mal erleben. Die haben einfach unser Leben ruiniert und uns zur Witzfigur in ganz Europa gemacht. Das ist doch so interessant daran: Diese Leute haben nichts davon gesehen und in ihrem Leben mit keinem Flüchtling zu tun gehabt. Aber ich sehe jeden Tag Flüchtlinge und liebe sie! Die reden wie ich, sehen aus wie ich und kochen wie ich. Aber klar, wenn du an einem Ort lebst, an dem sowieso jeder weiß ist, du auch so schon wirtschaftliche Probleme und Unsicherheiten hast, dann macht dir der Gedanke wohl irgendwie Angst, dass da ein Pakistani in dein Dorf kommt und einen Friseurladen oder eine Bar aufmachen könnte. Aber das ist eben das Wunderschöne an London. Hier ist das Multikulturelle so normal und so selbstverständlich, ich habe das Gefühl von Sicherheit darin. Und ich dachte mir schon fast, es wäre überall in Großbritannien so. Aber so ist es halt leider nicht.

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    was für ein dümmliches geseibel.

  • Vor 5 Jahren

    Ziemlich einseitige Denke: Weil in London Multikulti funktioniert, sollte es überall so sein...

    Gar nicht daran gedacht, dass manche bewusst von solchen Städten wegziehen?

    • Vor 5 Jahren

      Du kannst also einseitige Aussagen produzieren, bravo.

    • Vor 5 Jahren

      Wieso ich? Hat er doch gesagt, sinngemäß.

    • Vor 5 Jahren

      Wir haben auf der einen Seite Menschen, die etwas kennen und es nicht ablehnen, und auf der anderen Seite haben wir diese Schluffis, die etwas nicht kennen, und es trotzdem ablehnen.
      Also- wer will auf der Seite der Dorfdeppen stehen, deren Badehose daran schuld ist, daß sie nicht schwimmen können?

      Ich lebe in einem der Bundesländer mit dem höchsten Flüchtlingsanteil- die AfD hat hier kaum 7%.
      Da, wo es kaum Fremde gibt, bekommen diese Lappen 30%.
      Was soll man da noch sagen?
      Wählt diese Nazi-Schlaffis irgendwer aus "Erfahrung", oder doch nur aus Angst?
      Angst ist kein guter Ratgeber.

      Wäre das alles so dramatisch, wie diese Hampelmänner behaupten, hätte die AfD HIER ihre Erfolge.
      Und nicht in Dunkeldeutschland.

    • Vor 5 Jahren

      Wir haben auf der einen Seite Menschen die sich an alles mögliche gewöhnt haben und es tolerieren und auf der anderen Seite Menschen die die kommenden Probleme erkennen.
      Man kann sich auch wunderbar darüber streiten, welches Bundesland am meisten Dunkeldeutschland repräsentiert.
      Ist es das mit dem meisten AFD-Wählern, oder das mit den meisten salafistischen Moscheen und Clans?