2. November 2015
"Ich gebe jedem Traum eine Chance"
Interview geführt von Kai ButterweckLudovico Einaudi gilt als Großmeister der neo-klassischen Musik. Auch auf seinem neuen Album "Elements" beeindruckt Italiens Vorzeigepianist mit einem außergewöhnlichen Gespür für melodramatische Soundscapes.
Nach der Veröffentlichung von "Taranta Project", einem für seine Verhältnisse ungewohnt extrovertierten und energiegeladenen Studiowerk, machten viele Fans des Turiners große Augen. Ein knappes halbes Jahr später haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Mit "Elements" wandelt Einaudi auf bewährten Pfaden. Sicher, "Taranta Project" war ebenfalls ein Meisterwerk. Weltweit erntete der Komponist überschwängliche Kritiken. Und doch wollte der Kern seiner Fans den 'alten' Ludovico Einaudi zurück. Nun haben sie ihn wieder. Alles ist gut. Wir trafen den Maestro in Berlin und plauderten u.a. über abgeschlossene Kapitel und musikalische Entwicklungen.
Hi Ludovico, nach deinem "Taranta Project" haben einige Fans ganz schön geschluckt. Viele hatten Angst vor einer längerfristigen musikalischen Kursänderung. Hast du von dieser Stimmung etwas mitbekommen?
Ludovico Einaudi: Nein, nicht wirklich - ganz im Gegenteil. Ich bekam viel Lob für das Projekt. Und das nicht nur von Seiten der Presse, sondern auch von vielen Fans. Von negativen Stimmungen habe ich nichts mitbekommen. Aber ich hätte sie durchaus nachvollziehen können (lacht). "Taranta Project" geht schon in eine andere Richtung.
Schon knapp sechs Monaten später präsentierst du mit "Elements" wieder Altbewährtes. Waren die zeitlichen Abläufe bewusst geplant?
Nein, eigentlich nicht. "Taranta Project" entstand bereits vor fünf Jahren. Damals befasste ich mich erstmals mit der Idee eines Nebenprojektes. Das Ganze wurde dann innerhalb von zwei Jahren mehr oder weniger fertiggestellt. Irgendwie kam danach aber immer wieder etwas dazwischen, sodass das Projekt nicht komplett finalisiert wurde. Als ich dann Anfang 2015 etwas mehr Luft hatte, machte ich mich wieder an die Arbeit.
Ich wusste, dass mein nächstes Album wieder viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen würde. Da geht es ja nicht nur um Kompositionszeit, sondern auch um den Produktionsprozess, die Promoarbeit und eine anschließende Tour. Das "Taranta Project" hätte also wieder hinten anstehen müssen. Ich wollte das Kapitel aber endlich abschließen. Also bündelten wir alle Kräfte, nutzten die Zeit, die wir hatten und brachten das Projekt im Frühjahr zu Ende. Danach konnte ich mich voll und ganz auf "Elements" konzentrieren.
Im Pressetext zu "Elements" schwärmst du von den äußeren Bedingungen während des Aufnahmeprozesses. Was war so besonders?
Es war das große Ganze, das mich inspiriert und angetrieben hat. Es war Frühling. Überall entstand neues Leben. Die Natur malt so faszinierende Bilder. Man muss sich nur die Zeit dafür nehmen. Und dann war da noch die vertraute Umgebung, in der wir arbeiteten. Das Album wurde in meinem eigenen Studio aufgenommen. Alles war perfekt angerichtet.
"Alles passte zusammen"
Hattest du das musikalische Konzept bereits vorher vor Augen?
Jein (lacht). Natürlich habe ich mich schon vor den eigentlichen Aufnahmen der Stücke mit der Geschichte des Albums beschäftigt. Ich habe viel gelesen, mich mit den Werken Kandinskys beschäftigt, Schöpfungsmythen analysiert, mich mit dem Periodensystem der Elemente befasst und mich auf euklidische Geometrie eingelassen. Es spukte also schon viel in meinem Kopf herum (lacht). Während der Aufnahmen kam dann noch der Frühling dazu. All die vielen Farben, das neue Leben und diese einzigartige Form von Aufbruch. Das passt alles perfekt zusammen.
Das klingt nach einem sehr ausgedehnten und zeitintensiven Prozess. Gibt es manchmal auch Augenblicke, die dir eine komplette Geschichte für ein Album servieren?
Das ist immer sehr unterschiedlich. Jeder Prozess basiert ja auf mehreren aufeinanderfolgenden Momenten, die letztlich zu einem großen Ganzen werden. Es ist also immer die Einzigartigkeit eines Augenblicks, der alles ins Rollen bringt. Manchmal ist es aber auch so, dass ein einziger Moment bereits ausreicht.
Eigentlich schwer vorstellbar, dass ein einziger Moment, etwas derart Imposantes wie "Elements" zur Folge haben kann.
Aber so ist es (lacht). Wie gesagt, "Elements" wird von vielen Momenten getragen. Aber unter anderen Umständen hätte sicherlich auch ein einziger ausgereicht. Musik existiert unabhängig von Strukturen. Es bedarf keiner Regeln und keiner festgefahrenen Formeln. Das ist der große Zauber dieser Kunstform. Manchmal sitze ich daheim an meinem Piano und lasse meine Finger einfach drauf los spielen. Und plötzlich ist er da: Dieser Moment.
Eine Melodie? Eine markante Rhythmik? Eine musikalische Überschrift?
Ja, genau. Es passiert einfach. Und manchmal braucht es eben eine längere Findungsphase.
Faszinierend, oder?
Absolut. Es gibt für mich nichts Schöneres, als in diese Welt einzutauchen, in der es nur um die Verwirklichung von Träumen geht. Und weißt du, was das Schönste daran ist? Es geht hier nicht nur um klassische Musik. Auch in allen anderen Genres geht es einzig und allein darum. Ich habe auch diesmal wieder mit Künstlern aus den verschiedensten Bereichen zusammengearbeitet. Ich rede von Leute aus Brasilien, den Niederlanden, Deutschland und Italien. Und es spielt keine Rolle ob diese Menschen Violine spielen, mit Percussions hantieren oder sich am liebsten mit elektronischen Sounds auseinandersetzen. Sie alle verbindet der Drang nach musikalischem Ausdruck. Sie alle begeben sich mit ihren Instrumenten und ihren musikalischen Vorlieben in ein und dieselbe Traumwelt.
"Mir geht es um den perfekten Moment"
Aber es gibt auch festgefahrene Strukturen, Branchen, in denen man lieber sein eigenes Süppchen kocht. Sind diese Künstler noch nicht bereit für diese Art von Traumwelt?
Doch. Sie wissen es nur noch nicht. Die Entwicklung spricht aber eine klare Sprache. Als man in den Achtzigern und Neunzigern erstmals verschiedene Genres miteinander verband, war das eine richtig große Sache. Alle redeten darüber. Heute hebt kaum noch jemand den Zeigefinger wenn eine Pop-Band zusammen mit einem Orchester auftritt. Es fällt auch gar nicht mehr ins Gewicht, wenn jemand wie ich mit einem Elektro-Künstler wie Robert Lippok gemeinsame Sache macht. Es gehört mittlerweile zum musikalischen Alltag dazu, dass sich Künstler verschiedener Branchen gemeinsam auf den Weg machen. Das ist großartig.
Du sprachst gerade deine Zusammenarbeit mit Robert Lippok an. Welche Kollaborationen könntest du dir für die Zukunft vorstellen?
Viele. Sehr viele (lacht).
Keine Grenzen?
Keine grundsätzlichen. Natürlich muss es schon irgendwie passen. Aber ich bin jemand, der sich alles anhört, der jeder Vorstellung und jedem Traum eine Chance gibt.
Wie lange brauchst du normalerweise, um herauszufinden, ob eine neue Zusammenarbeit klappen könnte?
Das kommt immer drauf an. Es gibt Künstler, mit denen man sofort auf einer Wellenlänge ist, und dann gibt es Leute, mit denen man etwas mehr Zeit verbringen muss. Das ist ganz unterschiedlich. Die grundsätzliche Kommunikationsbasis ist dabei das wichtigste. Wenn es dahingehend keine Probleme gibt, ist alles andere nur eine Frage des Willens. Will ich etwas verändern? Bin ich bereit für eine neue Ausrichtung?
Bin ich jemand, der sich auf Kompromisse einlassen kann?
Ja. Das gehört natürlich auch dazu (lacht).
Bist du jemand, der sich mit Kompromissen eher schwer tut?
Nein. Mir geht es immer nur um die Musik, das Endergebnis, den perfekten Moment. Wenn ich dafür einen eigenen Gedanken hinten anstellen muss, dann mache ich das. Damit habe ich kein Problem.
Und was bereitet einem Ludovico Einaudi Kopfschmerzen?
Es geht immer um die Balance. Wenn die stimmt, komme ich mit allem klar.
Für viele Musiker, die bereits länger im Business sind, ist die mit Abstand wichtigste Balance, die zwischen Familie und Beruf. Ist das bei dir ähnlich?
Auf jeden Fall. Die Familie und die Musik sind die beiden wichtigsten Komponenten in meinem Leben.
Demnächst geht es wieder auf große Tournee.
Ja. Ich werde wieder lange Zeit von meiner Familie getrennt sein. Aber ich war jetzt auch schon seit März nicht mehr unterwegs. Insofern passt das schon. Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn ich sowohl die Musik als auch die Familie das ganze Jahr über an meiner Seite hätte. Aber das geht leider nicht.
Da wären wir wieder beim Thema Kompromisse angelangt.
(lacht) Es geht, wie gesagt, um eine gesunde Balance. Wenn man die findet, sind alle glücklich.
Bist du glücklich?
Oh ja, das bin ich.
Dann hoffe ich, dass das so bleibt und bedanke mich für das Interview.
Das ist sehr nett. Ich habe zu danken.
1 Kommentar
super talk!
ich hätte ihn aus echtem interesse ja auch gern mal gefragt, warum er sich für sein taranta-projekt und den ersten vocal-einsatz überhaupt ausgerechet die provinziellsten hinterhofkasper gesucht hat, die nicht mal an oma corleones hochzeitsgesang herankommen. ....aber dann wäre das gespräch wohl recht schnell zu ende gewesen.