laut.de-Biographie
Bosse
Poprock aus Braunschweig - das konnte, das musste ja eigentlich schief gehen. Nicht nur für Axel Bosse selbst kann das Gras gar nicht schnell genug über seine Ex-Band Hyperchild wachsen. Jugendsünden wie das "Wonderful Life"-Cover, mit dem die Erstband zweifelhaften Ruhm erlangt, sollen hier aber gar nicht Thema sein. Stattdessen richtet sich der Scheinwerfer auf Herrn Bosse in solo und sein ebenso benanntes Deutschrock-Ding.
Wobei das Debütalbum "Kamikazeherz" ziemlich viel Licht schluckt, so dass es schon Halogen und einige Tausend Watt sein dürfen. Gute-Laune-Musik machen schon genug andere, Axel verlegt sich in weiten Teilen auf Gesellschaftskritik. Bei ihm explodieren Herzen, während Stadtastronauten über Müllkippen hinwegjagen. Frische, impulsive Lyrics, die in der Flut der mediokren Deutschsing-Acts wohl tun.
Die musikalische Backing-Band besteht übrigens aus Uncle Ho- und Heyday-Mitgliedern, rockt also recht brettig daher. Bosse bleibt dennoch stets im (erweiterten) Poprahmen. Die Fehlfarben zitiert er, und auch ein fiependes Duett mit Paulas Elke Brauweiler findet sich auf der Platte.
Die abwechslungsreichen Songs zwischen New Wave, Grunge und epischem Rock entstehen unter der Sonne Valencias. Dort gönnt sich der später in Berlin lebende Romantiker eine ausgiebige Pause nach dem Aus der Jugendband, lässt die Seele baumeln und sammelt Ideen für ein Soloprojekt.
Zurück in hiesigen Gefilden, geht er mit Guano Apes-Produzent Wolfgang Stach ins Studio und verewigt sich mal eben mit einem Dutzend Stücken. Ganz ohne Druck. Die rebellische erste Single "Kraft" zeigt das Resultat.
Bosse ergattert vom Start weg Spitzenplätze in den Playlisten von 1Live und Radio Fritz. Capitol erkennt Axels Potenzial zuerst und nimmt ihn unter Vertrag. Die Single kommt wenig später auch in die Plattenläden der Republik.
Bosse geht mit Such A Surge auf Tour, und wieder passiert alles ganz schnell: Gerade noch von den begeisterten Fans per Zugabe verabschiedet, verpasst der gebürtige Berliner seinen Songs den letzten Feinschliff, im April geht "Kamikazeherz" in die CD-Presse.
Ob Bosses Luft länger vorhält als die Deutschrockwelle? Tief durchatmen und sich erholen kann er vorerst vergessen. Das sieht das Label ganz ähnlich und veröffentlicht schon wenig später "Guten Morgen Spinner". Wieder erzählt der Neuhamburger Geschichten aus dem Alltag, von Sehnsüchten und Verlierern, dem kleinen Glück zwischen Gartenzwergen und dem großen Gefühl des Aufbruchs.
Dann kommt sie doch, eine lange Atempause. Zweieinhalb Jahre braucht Bosse, um zu sich selbst zu finden. Er trennt sich von seinem Label EMI, bastelt an neuen Songs, komponiert für Kollegen wie Kim Frank und betätigt sich als Produzent.
Inspiration findet er auf zahlreichen Reisen. Der umtriebige Künstler pendelt zwischen Hamburg und der Türkei, wo Frau und Tochter leben. In Unplugged-Konzerten lernt er die Reduktion des Klangkostüms zu schätzen.
So nistet sich der Musiker einige Zeit später im Wohnzimmer des Produzenten Jochen Naaf ein, der schon PeterLicht und Polarkreis 18 mit spannendem Sound ausstattete. Gemeinsam werkeln sie am dritten Album. "Taxi" solle vor allem Mut machen, jenseits sämtlicher Klischees und Sparten, erklärt der Songwriter.
Anfang Januar folgt die Rückkehr zum Majorlabel, die dem Namen Bosse wieder in die Charts hilft: "Wartesaal" erscheint 2011 über Universal, der zwei Jahre später veröffentlichte Nachfolger "Kraniche" ebenso. Nachdem es im ersten Versuch nur für Platz drei gereicht hat, holt sich Bosse 2013 den Titel bei Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest".
"Was sich mittlerweile nach einem respektablen Musikerleben anhört, war bis zum 'Wartesaal' alles andere als das", stellt die dpa in ihrem Porträt fest. Bosse erzählt rückblickend, sein zweites Album sei so sehr gefloppt, er kenne viele Musiker, die danach aufgehört und doch noch schnell eine Ausbildung gemacht hätten. "Für mich war immer klar: Es gibt nichts anderes. Und ich geh' lieber ins Café oder ins Call Center, um mir meine paar Kröten im Monat dazu zu verdienen."
Mit "Kraniche" ist Bosse fast zweieinhalb Jahre unterwegs. Irgendwann ist der Akku aber leer: "Ich hatte nach über zwei Jahren auf Tour keine Lust mehr, mich zu wiederholen. 'Kraniche' war durch. Ich sehnte mich nach Neuem", so der Sänger.
Für den Songwritingprozess zieht es ihn wieder nach Umbrien. Dort entstehen die Songs für sein sechstes Album "Engtanz", das im Februar 2016 erscheint.
Erstmals in seinem Leben fühlt sich der Familienvater erwachsen: "Ich weiß nicht, wie alt ich werde. Aber ich habe das Gefühl, als wäre so in etwa die Hälfte rum. Und dann blickt man um sich, streckt die Fühler aus und begegnet dabei einem Bewusstsein, dass sich irgendwie verändert hat. Was war? Was ist? Was kommt? Da kommen ganz viele Fragen auf. Die Musik hilft mir dabei, Antworten zu finden."
Der Plan danach sah eigentlich vor, das nächste Album "Alles Ist Jetzt" vom neugewonnenen Familienglück handeln zu lassen. Doch Aki Bosse kommt der Rechtsruck in Deutschland dazwischen. Als politischem Menschen erscheint es ihm untragbar, diesen nicht in seiner Musik zu kommentieren. Das Album ist gespickt mit klaren Statements gegen Nazis und Wutbürger und etabliert Bosse als wohltuende Ausnahme im weichgespülten Deutschpop.
Nur schmeckt Persil halt scheiße, auch wenn es Sachen sauber macht, und so kann Haltung allein Bosses neuntes Studioalbum "Übers Träumen" 2023 auch nicht retten - zumal es sich kombiniert mit Stadiontourneen und signierten Vinyls schon leicht edgy übers System grübeln lässt. Das Album gerät zum künsterischen Totalausfall, der Bosse 2023 tief in den Schlager treibt.
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