laut.de-Kritik
Der beste Sommer der Rap-Geschichte.
Review von David MaurerMit der Zeile "I don't know if it's the end but yo it might be" heizt Masta Ace auf "Disposable Arts" 2001 die Gerüchte um ein frühzeitiges Karriereende an. Für viele undenkbar, dass die Undergroundperle das letzte Album des ehemaligen Juice Crew-Members sein sollte. Was zu diesem Zeitpunkt niemand weiß: Duval Clear, so Ace mit bürgerlichem Namen, leidet an multipler Sklerose. Nachdem er 2000 die schockierende Diagnose erhält, entschließt er sich, eine Platte zu veröffentlichen, die für den Fall der Fälle einen würdigen Schlusspunkt seines Schaffens darstellen soll.
Nach Komplikationen mit seinem damaligen Vertreiber wird der Verkauf von "Disposable Arts", das hervorragende Kritiken erntet, jedoch nach nur wenigen Monaten eingestellt. Ace fühlt sich betrogen und befürchtet, die Scheibe würde nie den Status erreichen, den er für sie vorgesehen hat. So beginnt er mit der Arbeit am Konzept-Album "A Long Hot Summer". Als Prequel zu "Disposable Arts" ausgelegt, erzählt es dessen direkte Vorgeschichte - die faszinierend flüssige und zugängliche Story eines Underground-MCs im New Yorker Bezirk Brooklyn.
Irgendein schäbiges Motelzimmer, irgendwo in New York: "Jesus Christ, would you shut the fuck up?! You gonna make me lose count again", raunzt eine aufgebrachte Stimme den gedankenverloren vor sich hin murmelnden Ace an. Fats Belvedere, Freund und treuer Begleiter des MCs, zählt gerade die vielen Scheine, die die beiden in den letzten Monaten verdient haben. Da erscheint des Mastas störendes Gebrabbel natürlich kaum hilfreich. Plötzlich klopft es an der Tür, und das Intro "The Count" begleitet den Hörer hinaus aus dem Motelzimmer und auf eine Reise, die einige Monate zuvor in "Big City" ihren Anfang nahm.
"New York, Big City of Dreams / To get by, cats doing plenty of things", stellt Masta Ace den Everyday-Hustle im Big Apple als erzählerisches Gerüst der kommenden knapp 60 Minuten vor. Im Gegensatz zu seinen Freunden und vielen anderen im Viertel will sich MA jedoch nicht mit kriminellen Machenschaften, sondern mit Rap eine lebenswerte Existenz aufbauen. Die Fähigkeiten dazu besitzt er, lediglich an öffentlicher Anerkennung fehlt es ihm bislang.
Schwer zu erklären warum, wenn einer der besten Rapper unserer Zeit über gediegenem Willie Hutch-Sample wie selbstverständlich durch "Good Ol' Love" gleitet, sich seines außerordentlichen Flows dabei immer bewusst: "I'm down to earth and I'm close to ground / And spit shit better than most around / This how hip hop is supposed to sound / Tear them other cats' posters down now."
Nachdem die beiden eröffnenden Tracks die ersten sanften Fäden des Szenarios weben, gerät "A Long Hot Summer" mit "Fats Belvedere" schließlich ins Rollen. "Egal, was du brauchst, komm zu mir" - das erste Skit ermöglicht einen Eindruck vom aufbrausenden, aber herzensguten Begleiter. Fats, stellenweise fast schon eine Joe Pesci-Hommage, kann nicht verstehen, warum sich Ace mühevoll als schlechtbezahlter Rapper verausgabt. Er geht lieber seinen schmutzigen Geschäften nach, zollt seinem ungleichen Freund aber durchaus Respekt für dessen Ambitionen.
Dass das Rap-Game ein Kampf gegen Windmühlen sein kann, verdeutlicht Ace in "Da Grind", einem wunderschönen Boom Bap-Joint zu den schwermütigen Streichern aus Jerry Butlers "How Long Will It Last". Manager, Promoter, Agent, Sekretär - alles nimmt er selbst in die Hand, um nach harter Arbeit wenigstens ein paar Dollar in der Tasche zu haben. Auftreten muss er zudem natürlich auch noch: "And after it all, I still gotta perform / At three o'clock in the morn', when half the fans are gone." Unterstützung ist nur dann zu erwarten, wenn der Rubel bereits rollt, wie Feature-Gast Apocalypse bestätigen kann: "When I'm broke my moms won't even give me a hug / But on payday I'm her baby then she call it love."
Besonders in "H.O.O.D." präsentiert sich Masta Ace als Erzähler der besonderen Art. Während Produzent Nostradamus Freda Paynes "Stares And Whispers" in fast schon himmlische Klänge schmiegt, nimmt der Hauptdarsteller eine beeindruckende Doppelrolle ein. Er selbst stammt aus der Hood und sieht sich als Teil davon, sie ist seine Heimat, die er nicht missen will. Und doch schafft er es, gleichzeitig differenziert zu beobachten; das Leben im Viertel nicht zu verherrlichen: "The hood's like a Sitcom / Leave ya bike outside, come back outside / I guarantee your shit gone."
Spätestens, wenn Koolade in "Beautiful" mit dem wohl schönsten Beat des Albums aufwartet, zeigt "A Long Hot Summer", dass die Vielzahl der beteiligten Produzenten keineswegs den Hörfluss mindert. Wie ein roter Faden zieht sich das Gemisch aus Neunziger-Boom Bap und soulgetränkten Samples durch die ersten Tracks und markiert ein Highlight nach dem anderen.
"This is a warm coat on the coldest night [...] It's like Grandma's house, Thanksgiving dinner". Mit einfachen, aber erwärmenden Dingen des Alltags beschreibt der Masta die schlichte Schönheit seines eigenen Tracks, und hat damit vollkommen recht. Unvergleichbarer Flow, eine beruhigende Stimme und perfektionierte Reime veredeln eines der besten Stücke der Platte. "A song like this in these days and times is beautiful" - wie wahr.
Zuvor noch über die betörende Einzigartigkeit der Musik philosophierend, zerfressen den grindenden Underground-MC wenig später jedoch Selbstzweifel, die "F.A.Y." zu einer giftigen Abrechnung mit der Rap-Industrie machen. Seine Fähigkeiten scheinen an die undankbaren Labels völlig verschwendet: "Hate indie labels, especially hate Majors / I don't give a fuck no more, fuck this tour / Fuck these shows and these groupies, they all hoes". Dabei lässt die Fuck Off-Hymne Humor und Selbstironie keineswegs vermissen.
An dieser Stelle springt erneut eines der insgesamt fünf Skits ein, um den Alltag des konträren Duos Masta Ace und Fats Belvedere voranzutreiben. In "The Proposition" schlägt Fats vor, Ace auf seiner anstehenden Tour als Manager zu begleiten, um seinen mittlerweile international verzweigten Geschäften unter einem legalen Deckmantel nachzugehen. Die gemeinsame Reise stilisiert "Travelocity", das ein Stück des französischen Singer/Songwriters Charles Aznavour zur Vorlage nimmt, als Casanova-Abenteuer. Mit geschickten Reimstrukturen und unterhaltsamen Zeilen prahlt Ace, unterstützt von Wordsworth und Punchline, mit Frauengeschichten aus der Schweiz, Indien, den USA und England.
Überhaupt erweisen sich die kurzen Interludes immer wieder als wichtiges erzählerisches Element auf "A Long Hot Summer". Die dort geführten Gespräche setzen die Story stets geschickt fort, während die Tracks lediglich die dadurch entstandene Situation beschreiben. Das sorgt dafür, dass die Geschichte des Albums immer gut zugänglich bleibt und sich nie in unübersichtlichen Story-Labyrinthen verliert. Zudem funktionieren die einzelnen Titel so auch getrennt voneinander perfekt. Bestes Beispiel hierfür: "Soda & Soap", das mit integrierten Markennamen von Limonaden und Waschmitteln auch aus dem Zusammenhang gerissen Spaß macht: "Maybe go to a mountain, do (Mountain Dew) a little skiing."
Gleiches gilt für "The Ways", von DJ Serious mit Alan Parkers verträumtem "Monochrome" und heftigem Bass unterlegt. Anlässlich seiner Tour, auf der Hitzkopf Fats mit plötzlichen Ausbrüchen für kurzweilige Unterhaltung sorgt, reist Ace immer noch in der Weltgeschichte umher. Dort trifft er auch auf andere Rapper und solche, die es noch werden wollen. Ihnen gibt er einen wertvollen Rat: "So before you pick a logo, and choose a Name / First you gotta learn the ways of the music game."
Im Gegensatz zu "F.A.Y.", in dem er hauptsächlich sich selbst als Opfer des Rap-Games sieht, kommentiert er hier das zerrüttete und unmenschliche Verhältnis zwischen Labels und Künstlern, garniert den zweiten seiner beiden überragenden Parts gar mit Anspielungen auf berühmte Auseinandersetzungen zwischen Plattenfirmen und Künstlern: "Diddy had a problem with Stevie Stout / Got a Cristal bottle, knocked Stevie out."
Nach dem von Beatbox-Wunder Rahzel unterstützten "Oh My God", überrascht "A Long Hot Summer" mit einem plötzlichen Schnitt. Ace findet sich im Gefängnis wieder. Hier fügt sich die Geschichte zusammen und knüpft an das Intro "The Count" an. An der Tür des Motelzimmers klopfte nämlich weder der Roomservice noch der Putzdienst. Stattdessen steht die Polizei auf dem Teppich, die nicht nur hinter Fats' kriminelle Machenschaften, sondern auch hinter Aces Deckung und damit die Mittäterschaft gekommen ist. Grund genug, sein Leben im abschließenden "Revelations" gründlich zu überdenken: "At times I don't know who I be / And when I look in the mirror it's like I don't know who I see."
Seinem Zellengenossen verrät Ace, er wolle sich nach seiner Haftentlassung weiterbilden, einen Abschluss machen. Genau davon handelt der 2001 veröffentlichte Vorgänger "Disposable Arts", auf dem Masta Ace die fiktive Rap-Institution "School Of Disposable Arts" besucht. Der Kreis schließt sich. Wer wissen will, wie die Geschichte weitergeht, muss sich also "Disposable Arts" anhören, das 2005 als Reissue über des Meisters eigenes Label M3 veröffentlicht wurde. Und genau das wollte Duval Clear, als er diesen Meilenstein schuf.
Der positive Nebeneffekt: "A Long Hot Summer" ist sogar das bessere der beiden Alben geworden. Elegante Soul-Samples sorgen zusammen mit Boom Bap-Romantik für ein unaufgeregtes und wahrlich schönes Soundgerüst, dem Masta Ace mit unglaublichem Flow und interessanten Zeilen jederzeit gerecht wird. Selten war ein Konzept-Album so deskriptiv und dennoch mitreißend, so gut strukturiert und dennoch eingängig und nachvollziehbar. Einer der im Underground meistgeachteten Rapper sorgte 2004 nicht einfach nur für einen langen und heißen, sondern für den vielleicht besten Sommer der Rap-Geschichte.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 6 Antworten
Hammer Album. Sogar eins der wenigen wo die Skits unterhaltend sind. Schön, dass es hier gewürdigt wird.
Wenn der Lauti das sieht, meldet er sich sofort wieder an
du sollst den teufel nicht an die wand malen.
Whut, whut?! Aight, Bois!
och kommt, mit dem war scho lustiger hier ^^
Der liest sowieso mit. Man kann auch davon ausgehen, dass er bereits laengst wieder einen Neuaccount hat und nur auf den guenstigen Moment wartet.
mag sein, aber er hält jetzt schon erstaunlich lang die füsse still. besonders schmerzhaft trifft das natürlich seinen seinen ehemaligen kernkompetenzbereich, den hiphop.während dort früher lustige jagdszenen aus der eifel dominierten, 300 post pro tread keine seltenheit waren und allgemein eine sommerliche heiterkeit herrschte, erinnert mich des heut eher an eine geisterstadt, weisst scho, wo iwo nen coyote heult und son busch durchs bild weht.
aber warten wir mal esc, wm oder den jacko-rape ab,würden sich ja als wiedereinstigspunkt anbieten.
Der lauti ist wahrscheinlich Mohrhagen auf Tour hinterher gereist, um zu schauen, ob der alte Glatzkopf Groupies abkriegt. Diese eventuellen Groupies will er dann mit seinen typischen Balzrufen (yo, allah, whut whut) in sein Zelt locken, um endlich Lochschwager des Eimsbush-Gründers zu werden, womit er glaubt seine angekratzte Kredibilität als Hip-Hop-Koryphäe wiederherstellen zu können. Ich informiere euch, falls ich neues höre.
Quelle: Eifel down the curb - Das Hip Hop und Skatemagazin fürs Mittelgebirge
Alleine dafür, wie oft das bei mir früher im Sommer lief, ist der Stein berechtigt.
Ist Okay, aber sicher kein Meilenstein! Kann man mal leise hören wenn Besuch dabei ist.. Aber ich kenne 10 Alben die mir mehr im Kopf bleiben als das und ich höre schon ewig Rap. Meilensteine mach ich einmal an und will nicht mehr skippen. Es bleibt im Kopf und man feiert es wochenlang!
Wie da eine 5/5 zustande kommt kann ich mir nicht erklären.. Es ist solide Raparbeit, keine Frage, aber mehr als etwas über Durchschnitt kann man da echt nicht geben Leute!!
3,5/5 Sterne!!
Hat nichts an seiner Genialität verloren, genau wie bei Disposable Arts, sehe die Scheiben auch eher wie ein Doppelalbum. Ace nach wie vor (mein) GOAT.