Englisches Wetter im Süden der Republik. Party mit Deichkind, Sido, Bring Me The Horizon, Avril Lavigne, Sum 41 u.a. Fotos/Review.
Neuhausen o. E. (dp) - Nach der großen Anreisewelle am Donnerstagvormittag lassen sich die Besucher:innen nicht lumpen und feiern schon auf der Warm-up-Party abends mit Maeckes, Querbeat, 100Kilo Herz und dem Kneipenchor Mädelsabend bis spät in die Nacht.
Pünktlich am nächsten Morgen setzt der Regen ein, der mal stärker, mal schwächer, aber konstant den Freitag einläutet. Oskar und seine Gruppe, alle aus dem Allgäu angereist, finden das nicht lustig: "Sowas kennt man ja eigentlich nur vom Hurricane! Regen ist uncool, aber wir haben Ponchos dabei." "Und Bier!", ergänzt sein fröhlicher Freund Severin und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Dose.
Hurricane-Wetter?
So ganz stimmt die Sache mit dem Regen nicht, denn auch das in den vergangenen Jahren sonnenverwöhnte Southside erlebte in der Vergangenheit seine Katastrophen. 2007 kam bei einem Unwetter ein Sanitäter ums Leben. 2009 versank das Southside im Regen. Auch 2016 wütete eine extreme Unwetterfront über Neuhausen ob Eck, das Festival soff wortwörtlich ab und musste abgesagt werden. Die Bilder eines versunkenen, türkisen Kleinwagens auf dem Parkplatz sind noch immer im Netz zu finden. Immerhin: Nach Unwettern sieht es in diesem Jahr nicht aus.
Starker Start
Unbeeindruckt von der vorabendlichen Feierei und dem unangenehmen nassen Wetter am Vormittag versammelt sich das überwiegend junge Publikum schon am Freitagnachmittag bei den ersten Bands vor den Bühnen. Und der Auftakt hat es in sich: Neben den Headlinern Bring Me The Horizon, Deichkind und The Offspring freut man sich unter anderem auf die Editors, Feine Sahne Fischfilet und Sum 41.
Eine der ersten Bands des Tages sind The Mysterines, die mit ihrem Grunge-Sound den Großmeistern der 90er nacheifern, dabei aber zu brav bleiben. Alice Merton schlägt poppige Töne an. Ironischerweise ähnelt ihr Bühnenbild einer Wüste, während über dem Gelände ein erster Vorgeschmack dessen herabregnet, was noch kommen wird. Auf der Red Stage geht bereits der Punk ab: Adam Angst heizen ihrem Publikum richtig ein, bevor die fucking Schmetterlinge von Team Scheisse übernehmen. Feine Sahne Fischfilet geben Vollgas, während die ersten Bengalos im Publikum brennen. Sum 41 versuchen derweil, dem Starkregen mit Feuer zu begegnen und verbreiten mit ihrer Pyroshow zumindest in den ersten Reihen etwas Wärme.
Die Kernkompetenz des Southside Festivals bleibt Indie, den die Editors - ebenfalls bei Starkregen - massiv umsetzen. Neben einem Cover des Klassikers "Papa Was A Rolling Stone" schmettern sie Hits wie "Munich" und "Papillon" und bringen die Menge zum Tanzen. Höchster Respekt für die Southside-Fans, die sich wirklich nicht vom Feiern abhalten lassen: Auf anderen Festivals wäre ein Großteil erst gar nicht ins Infield gekommen.
Auftritt des Tages: Abbrunzatissima
Auf dem Gelände sieht man auch zahlreiche Tifosi, die offensichtlich wegen den Italoschlager-Königen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, angereist sind. Die Gruppe, die mit ihrem Ende Mai erschienenen Album "KULT" abermals auf der Eins gechartet ist, mischt sich am Nachmittag erst unters Volk und liefert später zur Prime Time direkt den besten Gig des Tages. Nicht nur bei neuen Songs wie "Sophia Loren" liegen sich die Fans in den Armen, die alten Hits wie "Quanto Costa" oder "Bella Napoli" verzücken das Publikum, was das verlorene EM-Match Italiens gegen Spanien fast vergessen macht.
So dauert es nicht lange, bis sich die ersten Schlagerstrudel bilden. Was für ein Spektakel! Ein bisschen neidisch dürften Dexter Holland und seine Mitstreiter von The Offspring schon auf die Sympathieträger aus Augsburg sein, die ihnen die Zuschauer:innen streitig machen. Dennoch, die Profipunks wissen, wie man eine Menge bei Laune hält. Und so verwundert es nicht, dass Hits wie "Self Esteem" oder "Pretty Fly (For A White Guy)" noch immer so gut zünden wie vor über 20 Jahren.
Bring Me The Horizon in der Kathedrale
Die Emo-Kids warten derweil sehnsüchtig auf Bring Me The Horizon um Sänger und Beau Oli Sykes. Als letzter Act auf der Green Stage geben die Briten mit ihrer imposanten Bühnenshow richtig Vollgas: Die Band scheint in einer riesigen Kathedrale zu spielen, in der es kracht und rummst. Es ballert ganz schön ordentlich. Auf der Blue Stage spielen die mittlerweile international etablierten Giant Rooks und liefern gewohnt zuverlässig eine makellose Show. Wer dachte, die Pandemie könnte die Karriere der Band aus Hamm ausbremsen, lag falsch. Die Welttournee liegt zum Greifen nah.
Die Elektropunk-Veteranen von Deichkind beschließen im Anschluss den Freitag . Seit über 20 Jahre funktioniert der wilde Mix, den die Hamburger servieren: Songs wie "Limit", "Hörst Du Die Signale" oder "Remmidemmi" kommen immer noch gut an.
Slumside am Samstag
Der Samstag beginnt vielversprechend mit Sonne ... bis die ersten Bands anfangen zu spielen. Pünktlich zur Stagetime um 12:30 Uhr öffnen sich die Schleusen des Himmeld: Es regnet sich ohne Unterlass weiter ein. Teile der Parkplätze sind nicht mehr befahrbar, auf dem Gelände bilden sich Schlammseen. Nun rechnet sich der Kauf eines Zeltes mit hoher Wassersäule, und es zeigt sich, wer am falschen Ende gespart hat. Trotz allem ist die Stimmung gut, nur vor der Bühne ist es recht überschaubar: Die meisten Besucher:innen harren noch auf dem Zeltplatz aus, statt bei frostigen 12 Grad Bands im Regen zu schauen.
Ein ganz normaler, englischer Sommertag?
Während die Post-Punker von High Vis treffend anmerken, das Wetter sei "disgusting", sieht das Vorzeigeschwiegerpunk Frank Carter ganz anders: "Das ist doch kein Regen, das ist ein angenehmer, englischer Sommertag!" Kurzerhand bestreitet er das Konzert ab dem zweiten Song aus dem Publikum, den 'Women only moshpit" inklusive.
Die Blue Stage hat zu diesem Zeitpunkt schon einen gut gelaunten Gig von Newcomerin Paula Carolina hinter sich, und die Jugend feiert nun Ski Aggu, der eindrucksvoll beweist, wie man auch ohne großes Können zum Star werden kann. Die Samples und Backing Vocals kommen vom Band, aber Hauptsache Bass.
Am späten Nachmittag kommt die Zeit der halbjungen Wilden mit den Idles, die in letzter Zeit weniger durch ihre Musik, als eher fragwürdigen, eindimensionalen Statements zum Nahostkonflikt von Reden sich machten. Die Briten liefern aber trotz des Starkregens, der seit Stunden über dem Gelände wütet, amtlich ab. Ähnlich ergeht es den Publikumslieblingen Fontaines D.C., die das Areal vor der Blue Stage ansonsten locker gefüllt hätten. Der Sound hat es trotzdem in sich.
Da kann auch Kreationist Brian Fallon trotz seines direkten Drahts zum lieben Gott nichts machen: Beim Auftritt von The Gaslight Anthem schüttet es umso mehr. "Bring it on!", um die Band zu zitieren. Der Himmel nimmts wörtlich. Die gute Laune lassen sich dann The Kooks, deren Auftritt beim Hurricane noch dem Wetter zum Opfer fiel, nicht verderben und bringen das Publikum mit ihrem immer noch freshen Indiesound zum Tanzen. Wem bei Hits wie "Ooh Laa", "She Moves In Her Own Way" oder "Seaside" nicht die Sonne im Herzen aufgeht, der hat keine Seele.
Tageshighlight: The National
Dennoch, der beste Auftritt des Tages kommt von The National. Der Opener "Eucalyptus", eine herzzerreißende Abrechnung mit einer gescheiterten Beziehung, zeigt Sänger Matt Berninger voll in seinem Element: Er windet sich, deutet auf eine imaginäre Person, der er immer wieder gebetsmühlenartig befiehlt: "You should take it / I'm only going to break it." Die Dessner-Zwillinge brillieren an den Saiteninstrumenten, die Devendorfs sorgen für Beat und Bass. Wie schon auf Tour ist die Bühne spartanisch dekoriert, Lampen drehen sich, dazu eine große LED-Leinwand. Die Lampen scheint Berninger immer noch nicht zu mögen,er frizzelt regelmäßig an ihnen herum, als wären sie ein persönlicher Affront. Das Bekenntnis des exzentrischen Sängers in "Conversation No.16" folgt wie immer auf den Fuß: "I'm evil". Glanzstück des Sets ist unter anderem "Bloodbuzz Ohio". Hoffentlich lassen sich die Amerikaner nicht allzu viel Zeit für die Rückkehr.
Headliner des Abends sind zum einen Ayliva und Kontra K auf der Blue Stage und natürlich Ed Sheeran, der mit Loopstation und einer Handvoll Instrumente alleine auf der Bühne steht. Zwischen seinen großen Hits wie "Perfect" oder "Shape Of You" erzählt der Brite kleine Anekdoten aus seinem Leben, die das Publikum bei Laune halten. Der starke Regen hat übrigens bei The National aufgehört. Vielleicht braucht es einfach ein wenig Attitüde, um die Götter zu besänftigen.
Endlich Sonne!
Trotz des regnerischen Starts in den letzten Festivaltag wendet sich das Blatt noch zum Guten: Die Sonne zeigt sich und beschert den Festivalist:innen einen fantastischen, warmen und nahezu trockenen Abschluss. Das hat sich das Southside auch redlich verdient. Die Veranstalter:innen ziehen positive Bilanz: Das Festival bleibt überwiegend friedlich, und auch das DRK meldet: Alles unter Kontrolle. Beste Voraussetzungen also, um sich am Sonntag noch Hochkaräter wie Simple Plan, Avril Lavigne, Turnstile oder K.I.Z zu gönnen. Kenner:innen schauen auch mal auf der White Stage vorbei, wo The Last Dinner Party ihren Hexenzirkel veranstalten. Newcomertipp!
Den Auftakt machen mittags die sympathischen The Subways. Auf der Wildcat Tattoo Cruise traten sie noch als Headliner an, nun ist schon früh wieder Feierabend. Der fröhliche Indiepunkrock kommt super an, und beim Smashhit "Rock n Roll Queen" ist die Welt schon wieder in Ordnung. Danko Jones starten bei Regen, der sich aber bald verzieht und machen den Weg frei für die Punkpop-Urgesteine von Simple Plan.
Der Funke springt über
Die Kanadier reihen einen Hit an den anderen, von "Your Love Is A Lie" über "I'm Just A Kid" bis hin zu "Welcome To My Life" ist wirklich alles vertreten. Ein Spaß für alle Altersklassen, die sich fröhlich springend vor der Green Stage versammeln. Da lassen sich die Leoniden natürlich nicht zweimal bitten und legen direkt eine energetische Show nach. Es sprühen wortwörtlich die Funken!
The Hives im Anschluss sind hinlänglich dafür bekannt, immer 150 Prozent zu geben - und so auch heute. Während des Greatest Hit-Sets der entertainenden Schweden gibt Sänger Pelle immer wieder klare Anweisungen - auf Deutsch! Das kommt an, das Publikum folgt brav den Kommandos. Und so meint "Walk Idiot Walk" auch nur den Song und nicht die Fans. Glück gehabt!
Bevor K.I.Z auf der Green Stage das Festival beschließen, zeigen Turnstile noch, was sie drauf haben. Den Co-Headliner Slot haben sich die Amerikaner verdient: Fantastisch, was diese junge Band alleine in den letzten beiden Jahren an Bühnenpräsenz und Virtuosität dazu gewonnen hat.
Avril Lavigne liefert, Sido leider nicht
Die Blue Stage sorgt am Sonntag für nicht weniger Spaß. Neben fantastischen Auftritten von Jungle und Bombay Bicycle Club sind die Publikumsmagneten eindeutig Balladen-Boy Tom Odell und die zuckersüße Avril Lavigne. Letztere liefert mit ihrem Auftritt den Gig des Tages: Die Kanadierin geht auf eine nostalgische Reise in den Skaterpunk und nimmt das Publikum mit langen, blonden Haaren, Plateauboots und Girlie-Punk Outfit in Windeseile für sich ein. Dabei hilft ihre immer noch tolle Stimme, mit der sie Hits wie "Complicated", "Sk8er Boi" oder die Schmachthymne "I'm With You" schmettert. Bei diesem Gig stimmt alles: Attitüde, Musik und der Überraschungsgast: Simple Plan! Man kennt sich, Kanada ist zwar groß, aber doch auch klein.
Sidos Gig bleibt im Vergleich dazu leider recht farblos. Der Berliner Rapper wirkt weder nüchtern noch fokussiert, seine Stimme weniger klar als sonst. Die Ansagen kommen eher cringe als cool rüber. Vielleicht ist es an der Zeit, nach der Maske auch die Karriere an den Nagel zu hängen.
Ob Sonne, ob Regen: Wir kommen wieder!
Auch das Southside 2024 hat bewiesen, dass sich echte Festivalfans nicht mal von Dauerregen, Schlamm und eiskaltem Wind die Laune vermiesen lassen. Zu der positiven Grundstimmung trägt auch die hervorragende und proaktive Arbeit der Veranstalter:innen bei, die die Besuchenden jederzeit über die App und Social Media über die aktuelle Lage informiert haben. Ein besonderer Dank geht auch an die Landwirt:innen, die mit schwerem Gerät steckengebliebene Fahrzeuge aus dem Morast geholt haben.
Hervorzuheben ist wie immer zudem die Sauberkeit des Festivals. Ob es am überwiegend jungen Publikum liegt, das ein anderes Verhältnis zur Nachhaltigkeit entwickelt hat oder an der geographischen Lage: Fakt bleibt, dass kaum Müll im Infield herumliegt. Angebote wie das Grüner Wohnen runden den Kurs des Festivals ab. Einige Neuerungen, wie zum Beispiel der Swimming Pool, konnten aufgrund der Wetterlage nicht wirklich genutzt werden.
Aber nächstes Jahr scheint dann hoffentlich wieder die Sonne! Die kommende Southside-Ausgabe findet vom 20. bis 22. Juni 2025 statt. Der Vorverkauf mit einem limitierten Frühbucherkontingent ab 219 Euro startet morgen, Dienstag, 25. Juni um 14 Uhr. Erste Acts will der Veranstalter FKP Scorpio demnächst bekannt geben.
Fotos und Text: Désirée Pezzetta.
Noch keine Kommentare