Auch S-A-V geht im Lockdown unter die Autoren. Seine Mischung aus Biographie und Ratgeber ist ein bisschen chaotisch, aber liebenswürdig.

Konstanz (ynk) - Der Eindruck der ersten fünfzehn Seiten bestätigt sich über dieses neue Savas-Buch nicht: Nein, es ist kein überlanger LinkedIn-Post des Rappers über Business und Motivations-Entscheidungen. "Die 24 Rap-Gesetze" sind vielmehr eine lose Mischung aus Lebensratgeber und Rapper-Biographie. In vage in Lebens-Lektionen gegliederte Kapitel kommt Kool Savas darin so richtig ins Plaudern, mit allen guten wie schlechten Konsequenzen: Gut, weil er sich authentisch und ungefiltert anhört, wenn er aus dem Nähkästchen plaudert und in seinen Kopf gucken lässt. Schlecht, weil er mehr als nur einmal ein bisschen arg in besagten LinkedIn-Post-Stil verfällt, in dem es vor allem um platte Allerweltsweisheiten und den eigenen Heldenkult geht. Das Buch ist erfrischend, weil durchaus immer wieder ein kluger, analytischer Kopf und viel Lebenserfahrung sprechen, aber auch etwas ernüchternd, weil es alles in allem recht wenig um Rap geht.

Gerade die erste Hälfte des Textes ist Genre-Literatur auf die schlechtere Art und Weise. Blättert man sich durch die Kapitel, erfährt man Glückskeks-Sprüche wie "Folge dir selbst", "Wähle deine Schlachten", "Nimm dir, was du brauchst" oder "Eine Partnerschaft braucht sinnvolle Komponenten". Das mag alles sehr wahr sein – aber eben auch ein bisschen abgedroschen. Nur vereinzelt liefert er Anekdoten, die diese Weisheiten anders klingen lassen als eine Moralpredigt der Eltern. Aber wenn er dann mal in die Geschichte seines Aufwachsens geht, findet er durchaus starke Szenen.

Schellen für ein 'Sieger-Sandwich'

Bildhaft erzählt er zum Beispiel von einer Situation, in der er als Teenager in einer Gang zum Klauen animiert wurde, sich von der Beute ein fettes "Sieger-Sandwich" schmieren wollte, nur um vom Chef der Gang abgewatscht zu werden, dass es ihm nicht zustehe, so viel vom Sandwich zu essen. Er ist gut darin, diesen Vorfall als antiautoritäre Charakterstudie aufzusetzen, darzustellen, wie diese Eindrücke seinen Charakter geformt haben, sogar so weit, dass er anhand dieses einen Sandwitches erklärt, wie sein heutiges Standing in der Szene funktioniert.

Ähnliches gelingt ihm mit starken Szenen aus seiner Kindheit, mit dem ersten geworfenen Spielzeug auf seinen Vater, mit einem Bosporus, der während der Flucht aus der Türkei nach einer Öl-Katastrophe in Flammen steht. Er erklärt später, wie das Fehlen und die Rückkehr seines Vaters sein eigenes Familienbild geprägt hat, er erzählt aber auch ein paar irre witzige Anekdoten aus dem Rapper-Leben. Zum Beispiel, wie er mit seinem Back-Up-Rapper US-Rap-Legende RZA treffen wollte und der seelenruhig und unbeeindruckt mitkommt, bevor er vor dem großen Haus erst schnallt, dass es nicht zur Berliner Hühnchenkette RISA gehen soll.

Geschichten aus zwanzig Jahren Deutschrap-Bundesliga

Das sind die Momente, in denen Savas so richtig aufleuchtet: Wenn es darum geht, zu erzählen, was zwanzig Jahre Deutschrap-Bundesliga für Geschichten hergeben – und wenn er dann noch frei aus der Hüfte analysiert, wieso die Dinge so gekommen und was sich daraus entwickelt hat, dann kommen da ein paar echt interessante Gedanken heraus. Man hätte gerne vorgeschlagen, dass man diesen "24 Gesetze"-Dreh einfach hätte streichen und das Ganze sinnvoller strukturieren können, aber gegen Ende kommt Savas sogar als Lebensratgeber ein bisschen in Form.

Vielleicht liegt das daran, dass er nicht mehr allgemeine Lebensweisheiten erklärt, die zufällig gerade zum Kapitel seiner Biographie passen, sondern weil er immer mehr in den echten Erfahrungsschatz eingeht. "Du kannst vor deinen Problemen weglaufen" oder "Sei nicht der Typ von gestern" sind vermutlich die besseren und von Herzen kommenden Ratschläge in diesem Text. Ein bisschen Selbstkritik an manchen Alben äußert er sehr bodenständig, und sein Hadern mit der Person von Xavier Naidoo klingt aufrichtig und menschlich extrem stabil.

Autorität ist schlecht, es sei denn ...

Der einzige Fall, in dem man überhaupt nicht schlau aus diesem Buch wird, ist der seltsam zweischneidige Umgang mit dem Begriff von Autorität. Bereits Kapitel zwei bläut dem Leser mit der Sandwich-Story und einem Bild von Savas' kommunistischen Eltern ein, dass Autorität definitiv zu hinterfragen sei, ein Gedankengang, der wieder und wieder aufkommt. Bis er dann ins Terrain des Business-Advice kommt und Autorität, klare Hierarchien und Abgrenzungen von Arbeitsprozessen plötzlich das höchste Gut sind und Savas sogar noch ein ganzes Kapitel in Verteidigung von "Ja-Sagern" hinten draufsetzt. Ein bisschen verarscht fühlt man sich, wenn man selbst zusammenbauen muss, dass er eigentlich nur sagt "Autorität finde ich schlecht, es sei denn, ich bin der Chef".

So lernt man am Ende von den "24 Rap-Gesetzen" einiges über Savas und seine Lebensgeschichte, und der lockere, konversations-hafte Ton wird Fans bestimmt direkt ansprechen. Nur dafür, dass es viel um Geschichte, Marke und Status der Musik geht, wird leider sehr wenig über Musik geredet – und wenn, dann wird sie nur anhand ihrer Zahlen diskutiert. Einzig der Abschnitt darüber, wie er ausgerechnet in Amerika gelernt hat, lieber auf Deutsch zu rappen, geht überzeugend auf seinen Schaffensprozess ein. "Das Urteil" erwähnt er natürlich – und wie oft es auf MTV gelaufen ist – und über die jüngste Hitsingle "AMG" bekommen wir gesagt, dass Savas sich über den Erfolg gefreut hat. Dafür, dass Savas immer mal wieder anschneidet, dass ein gutes Produkt das A und O und Zahlen nur nebensächlich sind, verbringt das Buch aber gar nicht so viel Zeit damit.

Kaufen?

Kool Savas - "Die 24 Rap-Gesetze"*

Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!

Fotos

Kool Savas und Sido

Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Kool Savas und Sido,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

Weiterlesen

laut.de-Porträt Kool Savas

Die Suche nach einem Künstlernamen führt Kool Savas relativ schnell zum Eintrag in seinem Pass: Savas Yurderi steht da. 'Savas' bedeutet 'Krieg'. Kann …

2 Kommentare