2. Oktober 2018

"Ich habe keine Ahnung von Dance"

Interview geführt von

Sechs Jahre war es – aus gesundheitlichen Gründen – still um Peter Heppner. Nun meldet sich der Sänger mit gleich zwei neuen Album zurück. Wir trafen den Sänger zum Kaffee in Berlin.

Für "Tanzzwang" beauftragte Peter Heppner verschiedene Musikproduzenten aus dem weiten Dance-Kosmos für Remixe, "Confessions & Doubts" hingegen ist ein klassisches Heppner-Album. Die Doppelveröffentlichung fällt zufälligerweise auch mit einem Jubiläum zusammen: vor 20 Jahren veröffentlichte er gemeinsam mit Joachim Witt das Stück "Die Flut" und feierte damit Riesenerfolge. Passend, dass es mit "Was Bleibt?" zwei Jahrzehnte später ein neues Duett mit Joachim Witt gibt.

Dein letztes Soloalbum ist sechs Jahre her, jetzt kommst du gleich mit zwei neuen Alben raus. Wie kam es dazu?

Es gab verschiedene Gründe für die lange Zeit und das Album-Doppelpack. Ich hatte zwischenzeitlich gesundheitliche Probleme mit dem Herzen. Die konnten dann Gott sei Dank weitgehend behoben werden. Aus diesem Grund musste ich Jahre aussetzen, das ging nicht anders. Deswegen hat es so lange gedauert.

Das mit den zwei Alben hat damit zu tun, dass ich mich diesmal mit einem einzigen Menschen zusammengesetzt habe, um Musik zu machen – Dirk Riegner, einem langjährigen Freund von mir. Er ist auch mein Live-Keyboarder, wir haben also viel miteinander zu tun. Dirk hat immer schon das eine oder andere Stück für meine Soloalben beigesteuert. Diesmal wollten wir bewusst gemeinsam komponieren. Weil ich im Vorfeld schon gemerkt habe, das funktioniert gut, da kommen tolle Sachen dabei raus. Das ist so phänomenal gut gelaufen, dass wir nach vier Sessions dreißig Songs hatten. Und zwar nicht zehn gute Songs und zwanzig halbgute, sondern dreißig, bei denen ich wusste, dass wir sie alle umsetzen müssen. Dann tauchte die Frage auf: Was macht man mit so vielen Songs? Es wäre ja schade, nur ein Album zu machen und zwei Drittel in die Tonne zu werfen.

Das Wort "Tanzzwang" war ja eine Art Running Gag im Studio, oder?

Ja. Wir hatten im Hinterkopf, dass es mal ganz interessant wäre, ein DJ-Set zu zweit zu machen. Wir dachten an ein Set mit Live-Gesang, als eine Art Alleinstellungsmerkmal. Da könnte man auch mit kleinem Besteck antanzen, um Stücke, die es schon gibt, umzusetzen. Dann fragten wir uns aber: Warum nicht gleich neue schreiben? Ganz besondere Stücke, auch für Dance-Verhältnisse. Die einen förmlich dazu zwingen zu tanzen. Auch uns. So kam der Running Gag zustande: "Denk daran: Tanzzwang". So war es nur selbstverständlich, dass es zum Titel wurde.

Seid ihr schon mit fertigen Songs in Studio gegangen – oder entsteht alles erst dort?

Nicht alles. Die Musik war komplett fertig, damit fange ich an. Nur für Gesang und Texte brauche ich ein Ziel. Ich möchte für mich aktuell sein, ich möchte für die anderen aktuell sein, sowohl thematisch als auch hinsichtlich der Sprachentwicklung. Deswegen versuche ich schon, das möglichst nahe an die Produktion ranzuführen. Ich schreibe auch während der Produktion noch Dinge fertig. Das war jetzt sehr extrem.

Es kommen aber nur Stücke in die Produktion, von denen ich weiß, dass es eine Gesangslinie gibt. Ich weiß also schon wie ich singe, ich weiß nur noch nicht, was ich singe. Der Großteil der Stücke wurde während der Produktion geschrieben, wir hatten aber auch drei Monate, also eine relativ lange Zeit.

Wann wusstet ihr, welches Stück für welches Album in Frage kommt?

Das habe ich nach Gefühl entschieden. Da gab es keinen Fahrplan. Ich habe beides behandelt wie vollständige LPs. Wenn mir dann auf irgendeiner Seite noch was fehlte, habe ich geschaut, welches Stück passen könnte.

Ab welchem Moment wusstest du, dass es zwei Alben werden?

Etwa zwei Jahre vor der Produktion. Ich wusste auch nicht, ob beide beim gleichen Label rauskommen. Ich hätte mir auch vorstellen können, "Tanzzwang" bei einem ganz anderen Label zu machen, vielleicht bei einem Dance-Label. Da gab es auch Gespräche. Letztlich bin ich mit Markus Hartmann, den ich schon sehr lange kenne, bei der RCA gelandet. Der hat gesagt, er fände es cool, beide gleichzeitig zu machen. Das fand ich klasse.

Wir haben ein Album klassisch produziert und sind das andere wie einen Dance-Sampler angegangen. Für jedes Stück einen anderen Produzenten. Das einzig verbindende Element ist meine Komposition und meine Stimme. Bei acht von zehn Stücken bin ich überhaupt nicht involviert gewesen. Zwei haben im Umfeld von Alex Lys stattgefunden, dem Produzenten von "Confessions & Doubts", da war ich näher dran.

Bei zwei, drei Stücken von anderen musste ich mich selbst erstmal dran gewöhnen. Ich hätte vielleicht einiges anders gemacht, aber das ist auch okay so. Es sollten ja Einflüsse aus verschiedenen Richtungen kommen. Es war interessant, loszulassen. Meine Arbeit im Studio kann man unter das Motto Kontrollzwang stellen. So bin ich nicht im Leben, nur bei meiner Musik bin ich ein Kontrollfreak.

"Ihr habt nicht die ganz große Freiheit, die ihr sonst habt"

Du hast die Stücke für "Tanzzwang" an ganz unterschiedliche Produzenten gegeben. Mit welchen Vorgaben?

Mein Label hat ihnen das erklärt. Ich habe meinem Label vorher die Regeln genannt: Ihr müsst es nicht wie einen klassischen Remix produzieren, ihr dürft nicht zu weit weg vom Original gehen. Weil es unter Umständen die einzige Version ist, die es geben wird. Weil noch nicht klar war, dass es diese Fan-Box mit den Originalversionen geben kann. Es hieß: Ihr macht die Originalversion in eurem Stil, aber bitte mit der Grundstruktur des Songs. Ihr habt also nicht die ganz große Freiheit, die ihr sonst habt. Beachtet bitte Dinge wie die Textreihenfolge, nehmt nicht einfach irgendwelche Fragmente, es muss alles vom Text drin sein, da es nah am Original bleiben soll. Die nächste Vorgabe war: Produziert es wie eine Single, was auch immer ihr darunter versteht. Produziert es wie DAS Hauptstück. Das waren die einzigen Vorgaben. Mehr gab es nicht.

Wie hast du die Künstler ausgewählt?

Habe ich gar nicht. Ich sagte meinem Label: "Ich habe keine Ahnung von Dance, da seid ihr kompetenter als ich." Und wenn jemand kompetenter ist in einem Bereich, dann vertraue ich gerne. So war es hier auch. Ich wollte nur ein Veto haben. Also hat das Label die Auswahl getroffen, was ich cool fand, weil die einen viel breiteren Überblick haben. Ich habe nur bei einem Stück gesagt, dass ich möchte, dass Dirk Riegner es macht. Ansonsten sollte die Auswahl die verschiedensten Bereiche abdecken. Das ist gut gelungen – es sind lustige bis durchgeknallte Sachen dabei. Ich finde es ist ein tolles Album.

"Ich wollte immer Wolfsheim machen"

Lass uns über die Single "Was Bleibt?" reden, einer Kollabo mit Joachim Witt. Vor zwanzig Jahren kam "Die Flut" raus – für Witt ein Comeback, aber auch für dich ein Riesen-Bekanntheitsboost.

Ja, das war mein erfolgreichstes Stück – und zwar mit Abstand. Es ist auch Joachims erfolgreichstes Stück, nicht mal der "Goldene Reiter" kam da ran.

Ihr sollt über 900.000 Exemplare der Single verkauft haben.

Ja, ich glaube, das kommt hin. In dem normalen Zeitraum, den man einer Single so gibt, waren es 700.000 verkaufte Stück, mittlerweile sind es an die 900.000, wenn man alle Plays, Streams und dergleichen mit dazu nimmt. "Die Flut" ist auch in die deutschen Jahrhundertcharts gekommen. Das hat uns alle überrascht, fast überfahren. Wir haben alle an das Stück geglaubt, ich habe auch daran geglaubt, dass es erfolgreich sein könnte. Aber dass es SO erfolgreich wurde, vor allem ohne Radiounterstützung, es ging ja wirklich nur über Mundpropaganda und Verkäufe ... das ist schon eine erstaunliche Sache gewesen. Irre. Und es hörte und hörte nicht auf, so dass es beinahe schon etwas genervt hat am Ende.

Ich wollte Nebenprojekte ja so timen, dass sie kurzfristig vor neuen Wolfsheim-Projekten stattfinden, um meine eigenen Projekte damit zu unterstützen. Dann wollten wir mit der neuen Wolfsheim-Single und einem Album rauskommen - und "Die Flut" war immer noch in den Charts. Das war doof für uns als Band. Deswegen haben wir die Wolfsheim-Veröffentlichung um ein Vierteljahr verschoben.

Aber ihr konntet die Welle noch mitnehmen.

Ja, natürlich.

Radioairplay hattet ihr zwar keines, wie du sagst, dafür aber ein bemerkenswertes Video.

Ja, das Video war Wahnsinn. Das gibt es heute nicht mehr. Früher war einfach mehr Geld im Business, das merkt man an so einer Stelle. Das wirst du heute nicht mehr erleben, dass jemand sechsstellige Beträge für ein Video ausgibt. Es war mein allererster, wirklich professioneller Videodreh – und einer der anstrengendsten. Man sieht ja, dass es im Video regnet – es wurde zwar in einem Studio gedreht, aber das Wasser, das da runterkam, war eiskalt. Es war auch draußen nicht warm. Du kriegst so ein Riesenstudio auch gar nicht warm. Dann noch die ganze Zeit mit kaltem Wasser übergossen zu werden, ist nicht so schön.

Dazu kam, dass es meine Video-Klamotten nur einmal gab. Ich konnte mich also auch nicht umziehen. Wir haben die ersten fünf Stunden gedreht, als ich trocken war, die restlichen zwanzig Stunden war ich klitschnass. Ich hatte zwar einen Neoprenanzug drunter, aber der half nicht viel wegen der Verdunstungskälte von draußen. Ich habe da wirklich gefroren – mit Zähneklappern und Kreislaufproblemen. Es gab ein Heißluftgebläse, wo ich mich reinstellen konnte. Das hat aber auch nicht so richtig funktioniert (lacht).

Aber ich fand die Idee des Videos toll und habe auch gleich vor Ort gesehen, dass die Umsetzung toll wird. Im Falle der eigenen Kunst ist mein Standpunkt ohnehin, dass man der erste sein sollte, der am Set ankommt und der letzte, der geht. Insofern war es eine Selbstverständlichkeit, nicht zu mosern. Ich finde, das sieht man dem Video an: dass da viel Ehrgeiz dabei ist.

Jetzt mal abgesehen vom Song: Für mich ist "Die Flut" eines der erinnerungswürdigsten Videos der deutschen Popgeschichte.

Ja, das finde ich auch. Schade, dass man heute nicht mehr machen kann, das tut mir in der Seele weh. Videos waren ja schon eine eigene Kunstform, dafür musst du Geld ausgeben, das kannst du nicht umsonst kriegen. Natürlich kannst du viel wettmachen mit Kreativität und Leidenschaft, aber es führt immer dazu, dass einer draufzahlt. Es ist vor allem unfair gegenüber den Videoleuten: Ihnen zu sagen: "Ich finde es toll, wie du dich dafür engagierst, aber dafür bezahlen kann ich dich nicht, oder zumindest nicht in dem Maße, wie es sein sollte". Das finde ich sehr schade.

Es hat mir auch immer großen Spaß gemacht, daran teilzuhaben. Es gab aber auch abgesehen von "Die Flut" tolle Videos, zum Beispiel "I Feel You", das zweite Stück, das ich mit Schiller gemacht habe. "Kein Zurück" finde ich auf seine Art auch ein tolles Video, es war eine super Erfahrung mit Detlev Buck zu arbeiten. Ich habe das große Glück, in einer Zeit angefangen zu haben, als noch solche Videos gedreht wurden. Nicht, dass es heute keine tollen Videos mehr gäbe. Das Video, das ich gerade für "Was Bleibt?" gedreht habe, ist auch wirklich schön geworden. Das liegt vor allem an Marcus Sternberg, der Regie geführt hat.

20 Jahre später also die nächste Single mit Witt – diesmal auf deinem Album.

Wir haben natürlich seit "Die Flut" darüber nachgedacht, ob wir wieder mal was machen gemeinsam. Wir waren aber beide der Meinung, dass das richtige Stück kommen müsste – und das ist eben nicht passiert. Vor fünf, sechs Jahren tauchte dann dieses Lied auf, Joachim hat mir das vorgespielt. Es war das Instrumental mit seinen Gesangsparts. Ich habe gesagt: "Gut, ich kann mir das vorstellen. Ich setze mich mal ran und gucke, was passiert. Wenn mir was gutes einfällt, melde ich mich wieder". Vom Demo waren wir dann sehr begeistert. Ich habe aber gesagt, dass ich eine LP dazuhaben möchte – sein Label war davon nicht überzeugt, deswegen ist es nicht passiert. Und so hat es eben bis jetzt gedauert. Bei der Planung dieses Albums letztes Jahr haben wir dann das "Die Flut"-Jubiläum bemerkt, aber wenn es das 19. oder das 21. Jahr gewesen wäre, wäre es ebenfalls passiert.

Eine letzte Frage: Beim Thema Wolfsheim ist nach wie vor nichts in Bewegung gekommen?

Nein. Bei mir war da auch nie etwas in Bewegung, ich wollte immer Wolfsheim machen, aber es ist verhindert worden. Ich habe da leider keine neuesten News – scheinbar ist es immer noch die gleiche Situation. Scheinbar kann es nicht weitergehen.

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