laut.de-Kritik
Guilty Pleasure? Nö, dieser Stimme lässt man alles durchgehen.
Review von Alex KlugEs ist schon unfair. Denn gegenüber der zigfach enttarnten Deutsch-Pop-Zirkusgarde hat Peter Heppner nicht nur einen Stein im Brett, sondern gleich eine ganze Lawine von voluminösen Felsbrocken. Wahrlich voluminös kommt nämlich auch im 31. Schaffensjahr sein unverwechselbarer Bariton daher. Und mit diesem könnte Heppner wohl sogar Max Giesinger-Phrasen Leben einhauchen.
Aber was erwartet man eigentlich von einem neuen Heppner-Album? Bestimmt kein neues "The Sparrows And The Nightingales", so viel steht fest. Dafür sind Heppners doch weitestgehend Synthesizer-basierte Produktionen auch fast schon zu zeitgemäß – und zu steril.
Wo insbesondere der Vorgänger "My Heart Of Stone" noch unter der generischen Last zahlreicher Interludien zu leiden hatte, macht "Confessions & Doubts" mit zehn Tracks vergleichsweise kurzen Prozess. Gut so, das wirkt wesentlich gesetzter – genau wie Heppner selbst. Auch die zwanzig Jahre zuvor besungene Flut hat sich inzwischen gelegt, Heppner und Joachim Witt steuern ihre Arche ins Ziel. Und tatsächlich offenbart die neuerliche Kollaboration "Was bleibt" ziemliches Hitpotenzial. "Wo es auch hingeht / frag dich nicht was bleibt." Heppner gibt den Schulbank-Philosophen, Witt versucht sich anders als noch 1998 sogar an richtigem Gesang.
"Das Ende der Angst und all deiner Sorgen / hast du jetzt erreicht" heißt es hier ferner. Beschwichtigende Worte, wie sie Bendzko und Konsorten nicht blumiger hätten ausdrücken können. Und dennoch schwingt da gerade in den deutschsprachigen Tracks immer wieder etwas mit, diese träufelnde Melancholie, diese schuldbewussten Betonungen. Sie sind es, die selbst prätentiösestes Ich + Ich-Storytelling à la "Jetzt sitz ich wieder mal allein in Carlos' Eck / mit 'ner Menge Alkohol schieß ich mich weg" durchgehen lassen. Guilty Pleasure? Nö, wenn man es einem durchgehen lässt, dann Heppner.
Während die deutschsprachige Hälfte also die Gratwanderung zwischen Hitpotenzial und lyrischem Totalausfall zu meistern weiß, gibt sich Heppner auf Englisch gewohnt unverfänglich. "Nothing Ends" und "Chance" sind souveräne Disco-Tracks, die ebenso gut auf dem parallel zu "Confessions & Doubts" erscheinenden Dance-Album "TanzZwang" hätten stehen können. Was-wäre-wenn-Balladen wie "Viele schöne Stunden" und "Good Things Break" runden das Album mit gewohntem New-Romantic-Touch ab, einzig die kantenlosen Reggae-Vibes in "Gib mir doch 'nen Grund" verpuffen irgendwo zwischen nicht Fisch und nicht Fleisch.
Umso überraschender, wie deutlich sich Heppner zum Ende seines dritten Studiowerks aus seiner lyrisch meist allgemeingültigen bis unkonkreten Komfortzone herausbewegt. Insbesondere die Teile der deutschen Presselandschaft, die Heppner (wie auch Witt) in der Vergangenheit eine vermeintliche lyrische Nähe zu nationalistischen Themen andichten wollten, sollten bei "Theresienstadt: Hinter Der Mauer" einmal ganz genau hinhören.
Wobei: Historisch konkreter als der Songtitel wird es eigentlich auch nicht mehr. Mit seinem spärlichen, wie so oft extrem simplifizierten Lyrikstil malt Heppner verdammt bedrückende KZ-Stimmungsbilder in kindlich-naiver Anne Frank-Manier. Textlich dürfte der für das Musiktheaterstück "Die Kinder der toten Stadt" komponierte Song wohl Heppners wichtigster und zugleich beklemmendster Coup seit Wolfsheims "Kein Zurück" sein – ein Stück deutscher Erinnerungskultur.
Hach ja, Wolfsheim. Die vermisst man ja eigentlich so gar nicht. Aber das hier, diese Art von Popmusik, die Deutschland in der heutigen Zeit eigentlich bitternötig hat, die vermisst man. Im Radio. In den Charts. Im Mainstream.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Schade, dass hier gar nicht mit separatem Review auf sein zweites, zeitgleich veröffentlichtes Album eingegangen wird, "TanzZwang". Auf diesem frönt er der elektronisch puren Form vergangener Wolfsheim-Phasen mit schnellen Dancebeats und arrhỵthmischen Gesangspassagen. Schöner Flashback für alle Fans. Für jeden, dem die melidiös-melancholische Struktur seiner leiseren Einzelwerke seit 2008 mit "Solo" nicht genug ist (natürlich gabs da auch treibendere Ausnahmen)
Klingt hart, ist aber voll okay, dass er in sein scheinbares (und zigfach verschobenes) Hauptwerk die wunderbar melodischen Einflüsse zerbrechlicher Emotionen einbringt, die ein gereifter Protagonist darbieten kann. Gespür für gute Melodien hat er sowieso und die Stimme ist einmalig, fantastisch, auch nach 30 Jahren noch genauso soghaft. Auf dem Vorgängeralbum im Jahr 2012 waren die schnelleren Songs eher Beiwerk, gar lästige Arbeit. Hat ja selber damals gesagt, dass sie unbedingt auf die Schnelle noch ein paar griffigere Nummern bauen mussten, da es sonst zu ruhig werden würde.
Aktuell hat man dann aber bewusst unterteilt und das tut dem Gesamtwerk ganz gut, auch wenn er bei dem Teil hier auch den ein oder anderen elektropulsierenden Track drauf hat, wie auch in obigem Text gut erwähnt
btw Die Colabo mit Wurzelzwerg Witt ist sowieso großartig in Melodik und Stimmung, gerade wenn Witt die schwurbeligen Phrasen auspackt und mal wieder versucht weitaus erhabener zu klingen als er selbst wohl meint
Angefügt: https://ancientcave.blogspot.com/2018/09/p…
hier ist "tanzzwang":
https://www.laut.de/Peter-Heppner/Alben/Ta…
PS: bei dem Cover denkt man echt, dass Heppner den Soundtrack zu einem neuen Halloween-Teil beisteuert
Was haben die Future-Pop-Deppen-Synthies in jedem zweiten Track zu suchen? Macht mir die beiden Alben trotz melodischer und lyrischer Klasse ziemlich madig. Da wünscht man sich tatsächlich Carlos Peron wieder zurück.
Ich finde beide Alben großartig, bewegend und mitreißend, mit den Original-Titeln von TanzZwang gewinnen diese Titel gegenüber den meisten Remixen.
Peter Heppner war nie besser. Danke für diese Musik