7. November 2018
"Ich liebe Hoch- und Tief-Kultur!"
Interview geführt von Rinko HeidrichIn einem Cafe am Kölner Dom äußert sich PeterLicht über Torten, Tiefkultur und Theater. Absurd und ein wenig philosophisch wie seine Texte verläuft auch das Interview.
Diese Menschen. Sie quetschen sich durch die Einkaufsstraße in Köln, schreien laut und ergeben erst einmal eine gleich aussehende Masse. Erst als ich vor dem unfassbar hässlichen WDR-Gebäude auf Peter Licht warte und die bewegte Lärmkulisse beobachte, ergeben sich die kleinen Details. Die Pfandflaschensammlerin, die keine Schuhe trägt und freundlich jeden Passanten begrüßt, oder die Rosenverkäuferin, die verliebte Paare stört und doch die pflichtschuldig wirkenden Jungmänner dazu bringt, der Partnerin eine gar nicht mal so schöne Rose zu schenken.
Es sind die Ausbrüche aus der Norm, die am ehesten auffallen und Eindruck hinterlassen. So sitze ich später mit Peter Licht in einem altehrwürdigen "Oma-Café", mit Blick auf den auch nicht gerade taufrischen Dom. Das Interieur wirkt wie aus der Zeit gefallen und erinnert mit viel Porzellan und Gold an die Kohl-Ära der 80er. Peter Licht selbst sieht aus, als ob er mit unserer Gegenwart noch in Kontakt stünde. Mit einer Mütze und legerer Kleidung bildet er einen Kontrast zu dem bieder wirkenden Publikum. Es gilt das neue Album "Wenn Wir Anders Sind" zu promoten, das später tatsächlich auf Platz 28 in die Charts einsteigt.
Schnell wird klar, dass dieses Interview nicht normal ablaufen wird. Licht befestigt das Mikro an einer Kunst-Pflanze, durch die er und ich abwechselnd reden. Durch die Blume gesprochen, ergibt sich ein Einstieg über das Thema Torten.
Der Mensch in seiner Tortenfunktion
Wir befinden uns in einem Café, umringt von Menschen. Fühlst dich augenblicklich wohl?
Peter Licht: Ja, ich fühle mich sehr wohl. Es gibt vor allem gleich Torte. Also das hoffe ich mal, so wurde es mir jedenfalls versprochen!
Aha, es geht schon los. Es ergibt sich nicht wie geplant eine schöne Abhandlung oder Bewertung von Menschen, sondern eine Diskussion über Torten.
Also steht die Torte im Mittelpunkt, der Mensch erfüllt nur eine Funktion?
Peter Licht: Ja, eine Tortenfunktion. Wenn der Mensch die Tortenfunktion erfüllt, dann hat er alles hinsichtlich seiner Tortigkeit erfüllt. Aber es gibt natürlich noch andere Dimensionen des Menschlichen, die mit seinem Tortenwesen nicht in Zusammenhang stehen.
Gibt es für dich verschiedene Arten von Tortenmenschen?
Peter Licht: (lacht) Der wichtigste Mensch ist derjenige, der mir die Torte bringt, dessen Torte ich dann anheim falle. Das ist dann der Top-Tortenmensch!
Du unterteilst also nicht zwischen Zartbitter- oder Sahnetortenkuchen-Mensch?
Peter Licht: Doch! Und das ist auch richtig so. Man muss die Menschen klassifizieren, man muss sich ein Bild machen, eine Einordnung vornehmen, um zu wissen wo man ist ... und am Ende muss man reinbeißen, um Teil dieses Lebens zu sein.
Der Interview-Plan fällt gerade wie mein letzter Backversuch im Ofen in sich zusammen. Vielleicht schaffe ich es dem Charme des wirklich sehr netten Gegenübers zu widerstehen.
Also meine Interview-Planung kann ich mir wohl sonstwo hinstecken ...
Peter Licht: Am besten in den Mund.
Mit der Torte verbinde ich auch ja schreckliche Tortendiagramme. Wie zum Beispiel von den Wahlen in Bayern. Würdest du mir zustimmen, dass Horst Seehofer nicht die hellste Leuchte auf der Torte ist?
Peter Licht: (lacht) Ach, hier in dem Cafe gibt es ja gerade auch keine Kerze auf der Torte. Die Kerze auf der Torte hat ja den Zusammenhang, dass da ein Jubiläum oder eine Feierlichkeit zelebriert wird. Das macht im Zusammenhang mit Horst Seehofer nicht wirklich Sinn. Er strahlt, er ist hell ... aber er strahlt das Licht der Dunkelheit.
Eine Pause entsteht. Peter Licht gibt an, dass bei ihm ein wachsender Wunsch nach der bereits bestellten Petite Four entsteht, während ich meine zukünftige Karriere bereits bei der Bäckerblume plane. Waren das gerade wirklich zehn Minuten über Torten? In diesen Moment der Verzweiflung stößt eine nette Bedienung dazu.
Peter Licht: Können wir was bestellen?
Bedienung: Gerne ... Ähm, Was ist das hier alles? (schaut irritiert auf das Mikro an der Blume und das Equipment von Peter Licht) Gehört Ihnen das?
Das ist Peter Licht. Ein bedeutender Künstler. Er spielt im Tatort.
Peter Licht: Ich bin immer die Leiche. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, dass es immer leichenhaft endet.
Bedienung: Nee jetzt wirklich? Dafür sehen sie aber viel zu gut aus!
Na immerhin! Ich komme hier ja leider nicht über die stereotype Rolle des indischen Rosenverkäufers hinaus ...
Peter Licht: Du hast indische Wurzeln?
Ja, aber ...
Peter Licht: Ich liebe ja das Indische. Ich war ja mal in Indien und seitdem spiele ich Sitar und bin damit live unterwegs gewesen. Das ist jetzt wirklich kein Witz! Ich liebe diese Musik.
Hattest du dann auch deine Beatles-Phase?
Peter Licht: Es war tatsächlich so, dass ich in Neu-Delhi am Connaught Place stand und dort gibt es ein Sitar-Geschäft, mitten in den Arkaden im Kolonial-Stil. In diesem Geschäft hing ein Schwarzweiß-Foto von den Beatles, wie sie genau in diesem Laden auf einem Teppich sitzen und Sitar spielen. Das war für mich ein großer Moment. Dann habe ich mir eine in Varanasi gekauft, der Stadt des Todes, und habe etwas Unterricht genommen. Das stimmt wirklich.
Ob das wirklich stimmt? Es wäre auf jeden Fall feinstes Seemannsgarn, auf das auch Käpt'n Blaubär stolz wäre.
Das Absurde ist die neue Realität
Was ist eigentlich besser? Eine gute Geschichte oder die langweilige Realität?
Peter Licht: Gute Frage. Die langweilige Realität ist ja meist die gute Geschichte. Die lässt sich nicht toppen. Was wir gerade erleben ist ja, dass die Realsatire stärker als die Satire geworden ist.
Das Absurde ist ja die neue Realität.
Peter Licht. Ja, wenn ich darüber nachdenke, ist das auch die neue Platte, wo ich mit Freude absurde Dinge und neue Sounds ausprobiere. Das Prinzip des Realistischen und Authentischen macht im Oktober 2018 keinen Sinn mehr, finde ich. Die Realität hat das Absurde überholt. Was ein krasser Tatbestand ist.
Patrick Wagner von Gewalt meinte im Interview mit uns, dass man möglichst nicht ironisch sein, sondern immer alles so sagen sollte wie man es meint.
Peter Licht: Ja, unterschreibe ich. Ironie ist vorbei. Auch wenn das anders rüberkommt, aber ich möchte an keiner Stelle ironisch oder abgetrennt von den Dingen sein, sondern nah dran. Wenn ich singe oder texte, soll das genau von dem handeln, was gerade passiert. Wenn die Realität absurd ist, wird es eben auch absurd. So empfinde ich auch die Platte, in der ich in einer Hyperrealität unterwegs bin.
In dem Moment kommt die Bedienung zurück. Eigentlich wollte ich einen Milchkaffee, bekomme aber den Espresso von Peter Licht. Wir bleiben einfach dabei. Improvisation ist alles.
Ich habe übrigens das neue Album einem Freund vorgespielt und sein Fazit war: "Super Sound, aber ich bin zu dumm für diese Art Musik."
Peter Licht: Ich habe ja hart daran gearbeitet, dass meine Musik nicht viel mit Dummheit oder Klugheit zu tun hat. Aber ja, ich bekomme manchmal einen Kommentar, dass meine Musik zu intellektuell sei. Das finde ich Überhaupt nicht. "Chipslied" und "Menschen" sind als Songs ja konkret. Das ist doch sehr 1:1.
Er fühlte sich wohl ausgegrenzt, aber hat die Schuld am Nichtverstehen auf seine Kappe genommen.
Peter Licht: Nee, das muss ich dann auf meine Kappe nehmen! Da gab es wohl ein Problem im Sender-Empfänger-Verhältnis. Ich kann ja nicht behaupten, dass es ein gelungener Popsong ist, wenn es beim eigentlichen Pop-Rezipienten gar nicht ankam. Da muss ich mir dann an die eigene Pop-Nase fassen.
Du machst ja auch Theater, was ja allgemein eher als Hochkultur verstanden wird. Er hat eventuell deine Vita studiert und war dadurch schon abgeschreckt.
Peter Licht: Er soll mal in eines meiner Theaterstücke kommen. Das ist Tiefkultur. Das soll ja keine bildungsbürgerliche Demutsübung sein, sondern eher mit der Sportschau oder einem Besuch bei Obi konkurrieren. Ich hoffe, dass meine Leistung so stark ist, dass es damit konkurriert oder die Überzeugung schafft, dass es besser ist, sich ein Peter Licht-Theaterstück anzuschauen als im Baumarkt einzukaufen.
Du hast auch schon einen Preis für ein Buch gewonnen. Merkst du, wie dich die Hochkultur langsam assimiliert?
Peter Licht: Die spuckt mich mittlerweile wieder aus! Nee, die mag mich immer noch. Ich liebe die Hochkultur, auch die Tiefkultur. Das ist auch alles so ein Abwehr- oder Dissbegriff.
Die Spex hat ja ihr Ende bekannt gegeben. Chefredakteur Daniel Gerhardt behauptet, die Zeitschrift habe immer aus der Mitte berichtet.
Peter Licht: Mitte ist ein weiter Begriff. Ich finde das eine überholte Vorstellung. Ich stelle eher fest, dass Mitte für viele bedeutet, dass man sich selbst nicht mehr spürt. Ich bin traurig über das Ende von Spex. Das ist ein gutes Konzept und eine kritische Auseinandersetzung mit Popkultur. Die muss nicht immer verständlich und eindeutig sein. So habe ich jedenfalls die Spex wahrgenommen.
Wer übernimmt dann die Funktion der Spex? Braucht die Popkultur in Zeiten von Spotify, allgemeiner Verfügbarkeit und Blogs noch Kritik?
Peter Licht: Ja, es geht ums Auseinandersetzen, um Senden und Empfangen, um Impulse. Wenn es keine Kritik mehr gibt, dann sendet jeder nur vor sich hin. Jede kulturelle Äußerung hat Rezipienten und die machen sich ja dann ihr eigenes Bild. Aus so etwas entsteht eine Diskussion. Das ist der Grund, warum ich Musik mache. Ich möchte damit in Kommunikation mit anderen treten. Es geht darum, dass etwas entsteht.
Brauchst du mich, also den Kritiker, aber dann noch zwischen Sender und Empfänger?
Peter Licht. Ja! So sehr ich Entertainment schätze, aber wichtig ist auch, dass man sich damit auseinandersetzt und sich fragt: "Was findet hier eigentlich statt?" Also klar, ich höre natürlich lieber eine Bejubelung als Hass. Kritik ist aber auch Liebe und Beschäftigung mit etwas. Hauptsache, es findet ein kommunikativer Prozess statt.
Wir hatten das Thema Absurdität ja schon. Es gibt Kommentare unter deinem Youtube-Video oder auf Facebook, die den Autotune-Effekt bei "Menschen" kritisieren. Ist Autotune symbolisch für Verzerrung der Realität oder hat es dir einfach Freude gemacht, die Leute zu verstören?
Peter Licht: Hm, interessante Reaktion. Das ist der Hades bzw. der Indie-Hades der Authentizität, der mit Autotune überquert wird. Ich finde, das ist ein toller Sound, der steht sehr für diese Zeit und es macht einfach Spaß, ihn einzusetzen. Ich hatte ja auf meiner ersten Platte schon Stimmeffekte drauf und deshalb habe ich da keine Berührungsängste, aber ich verstehe die Reaktion darauf. Das Konzept der Authentizität oder Realität wird damit angegriffen. Autotune steht ja auch für eine glatte Maschinenwelt und Entmenschlichung. Rick Rubin vermittelt auf seinen Arbeiten mit Johnny Cash eine Rauheit, und Autotune ist das Gegenteil davon.
Der Song "Letzter Toter des großen Krieges" hätte ohne Autotune gar nicht funktioniert. Das war mir aber wichtig, dass man diesen Menschen durch diese Filter-Maschine schickt. Wir leben auch in einer Welt, in der alles durch Filter geht. In den Sozialen Netzwerken, überall wird ein Filter drauf gelegt.
Du legst ja auch einen Filter der Absurdität über dich?
Peter Licht: Ist das so?
Du brauchst mir nicht zuzustimmen. Du kannst es auch verneinen.
Peter Licht: Ich stimme dir nicht zu. Mir gefällt es, aber ich bin dagegen (lacht).
Es geht in das letzte Schlussdrittel. Der Weg von Kuchen zu Autotune war nicht ganz leicht, aber wie das Petite Four auf dem Teller äußerst gehaltvoll.
Du hast die Anonymität aufgegeben. Zwingt uns dies die gegenwärtige Weltlage auf, müssen wir uns erkennbar machen?
Peter Licht: Ja, dem stimme ich zu. Diese Zeit handelt von Präsenz und Dasein. Das macht Spaß. Ich bin ja diesmal auch vorne auf dem Plattencover drauf.
Das Cover ist sehr bunt. Ist das deine Idealvorstellung von dieser Welt?
Peter Licht: Es ist drüber. Momentan ist alles drüber.
Viele deiner Alben handeln vom Ende. Ende vom Kapitalismus oder wie im "Chipslied" vom letzten Chips, der gegessen wird. Was kommt denn nach dem Ende? Ein Neuanfang?
Peter Licht: Gute Frage. Ja, das stimmt. Die Ausrufung eines Endes ist gerade zeitgemäß. Es gibt derzeit viele Ausrufungen von Endzuständen und Paniken. Als ich die Lieder vom Ende des Kapitalismus zu Ende hatte, war mir nach Erbaulichem, nach was Schönem, was einen aufrichtet. Ich möchte keinen Niedergang oder eine Depression besingen. Das jetzige Album ist keine Dysoptie. Selbst wenn ich ein trauriges Lied schreibe wie "Die Nacht", die sich mit dem Blick in die Dunkelheit beschäftigt, habe ich mich beim Songprozess mit etwas aktiv beschäftigt, und das finde ich dann sehr lebensbejahend.
Mit wem habe ich nun das Interview geführt? Peter Licht oder Meinrath Jungbluth?
Peter Licht: Immer Peter Licht.
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