10. Oktober 2017

"Trump wird dafür belohnt, dass er ein Arschloch ist"

Interview geführt von

Mit "Victory Lap" vergrößern Propagandhi erneut ihr Arsenal und feuern mit großer Spielfreude gegen das politische Establishment.

Fünf Jahre nach "Failed States" kehren Propagandhi auf die Bühnen zurück - das neue Album "Victory Lap" könnte kaum zu einem besseren Zeitpunkt erscheinen. Mit einer ordentlichen Portion Wut im Bauch kommt die Blutgrätsche der Kanadier in das politische Klima gerade recht. Wir sprachen vor dem Release mit dem Bassisten Todd Kowalski über den Weg zu einem guten Song, unwissende Leute auf Facebook und die Herausforderung, sich immer wieder neu zu erfinden.

Todd, auf Twitter habt ihr über euer aktuelles Album "Victory Lap" geschrieben, dass es die neue Antwort auf die Frage "Was ist euer Propagandhi-Lieblingsalbum?" sei. Was macht die Platte so besonders?

Todd Kowalski: Ich denke, wir haben auf das neue Album richtig gute Songs gepackt, super gespielt und sehr hart daran gearbeitet. Natürlich gibt es zu jedem unserer Alben verschiedene Meinungen und die Leute haben ihre eigenen Lieblinge. Das ist schließlich Musik. Manche Platten sind düsterer, andere weniger direkt. Aber wir freuen uns sehr über das neue Album, und wenn du unsere Musik und unsere Richtung magst, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass du es gut finden wirst.

Das Cover von "Victory Lap" zeigt eine Achterbahn, die in eine Brandung gebaut wurde. Ich muss dabei an eine Gesellschaft denken, die sorglos im Überfluss lebt, während am Ende der Fahrt das sichere Ertrinken wartet. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine ziemlich treffende Interpretation des Covers. Es ist so, als ließen sich die Exzesse der Menschheit nie mit dem vergleichen, was die Natur aufzubieten hat.

Beim Hören des Albums ist mir aufgefallen, dass auch in den Songs, die unter drei Minuten lang sind, haufenweise Ideen, Riffs und Tempowechsel verbaut sind. Wie kommt das alles im Songwriting-Prozess zustande?

Chris, Jord und ich jammen Tag für Tag und meißeln die Songs in ihre finale Form. Wir schmeißen uns gegenseitig Ideen für die Arrangements zu und jeder hat dabei seinen Anteil. Jord gibt Drumrolls dazu und manchmal habe ich Gitarrenriffs, die ich dann Chris zeige. Ab und zu spiele ich beim Jammen auch mal Gitarre anstatt Bass. Ich denke, wir alle hängen uns da voll rein, um auf das hinzuarbeiten, was wir letztendlich hören wollen. Wir proben fünf mal in der Woche, weswegen sich die Songs stetig verändern. An manchen Tagen sind wir schlecht drauf, manchmal total glücklich und manchmal wollen wir einfach nur headbangen (lacht). Das landet dann alles in den Songs.

Früher wart ihr eine eher traditionelle Hardcore-Band. Mittlerweile habt ihr wesentlich mehr Thrash- und Metal-Einflüsse in eurem Sound, der vielseitiger geworden ist. Habt ihr euch an einem Zeitpunkt mal limitiert gefühlt?

Ich denke, dass jede Band so gut spielt, wie sie kann. Bevor ich in der Band war, gab es auf der ersten Propagandhi-Demo diesen einen total verrückten Song, der 15 Minuten lang ging. Auf dem haben sie damals alles gespielt, was nur möglich war. So läuft das auch noch heute. Du spielst einfach immer weiter und willst neue Erfahrungen sammeln. Wir versuchen, uns nicht einzuschränken und proben dafür sehr hart. Je besser man wird, desto mehr kann man dann zum Sound hinzufügen. So haben wir auch mehr über Dynamik gelernt. Manchmal wirkt ein Album zu komprimiert und nicht abwechslungsreich genug. Dann nimmt man sich vor, das anders anzugehen. Und manchmal hast du einfach nicht die Fähigkeiten. Du hast eine Idee, kannst aber nicht gut genug singen, um dein Ding rüberzubringen. Also musst du etwas ein wenig abändern, um deinen Fähigkeiten gerecht zu werden.

Ich habe gelesen, dass Chris seine Stimme auf den ersten Alben nicht mehr mag. Er meint, er höre sich da wie ein Brite an.

Ja, das kann ich nachvollziehen. Meiner Meinung nach ist er viel besser geworden. Ich habe kein Problem mit seiner Stimme auf diesen Alben, aber er hat sich enorm gesteigert.

"Es ist so, als wüssten die Leute nicht mehr, wie man denkt"

Ihr wart schon immer eine sehr politische Band und habt euch damals aktiv gegen die Politik von George W. Bush eingesetzt. Fühlt es sich wie eine Niederlage an, wenn mit Donald Trump nun ein Hardliner im Weißen Haus sitzt?

Ja, es ist enttäuschend. Vielleicht nicht als Band, aber für mich als Mensch. Du gehst langsam auf die 40 zu und merkst, dass du auf diesem Pendel lebst, das einfach nur hin und her schwingt, während die Welt stirbt. Aber es gibt auch positive Sachen. Immer mehr Menschen entscheiden sich, Veganer oder Vegetarier zu werden. Außerdem haben sich die Rechte für Homosexuelle komplett geändert, seit ich geboren wurde. Gleichzeitig sehe ich die Umwelt sterben und die Menschen hängen nur an ihren Handys. Es ist so, als wüssten die Leute nicht mehr, wie man denkt. Für mich fühlt sich das wie ein Mix aus Enttäuschung und Fortschritt an.

Interessieren sich junge Leute heute weniger für Politik oder die Umwelt?

Wahrscheinlich interessieren sie sich heute noch genau so viel dafür wie früher schon. In den Achtzigern, als ich noch ein Kind war, hat mich Politik auch nicht interessiert, bis ich irgendwann angefangen habe, Punk-Bands zu hören. Traurig ist nur, dass niemand mehr richtig aufpasst und stattdessen die Jahre mit Saufen verbringt. Dann bist du plötzlich 40 und denkst, jetzt eine große Meinung haben zu müssen, obwohl dir die letzten 20 Jahre entgangen sind. Das ist ziemlich frustrierend. Besonders, wenn jeder Zugang zu Facebook hat und seine Unwissenheit im Internet verbreiten kann. So wie Trump. Der wird ständig dafür belohnt, dass er ein Arschloch ist. Ich glaube, das ist nicht die Welt, wie du oder ich sie gerne sehen würden. Unsere Gesellschaft ist in einem Stadium, in dem ein Politiker, dessen Moral so verfallen ist, Präsident werden kann.

Gegen Trump wirkt Kanadas Premierminister Justin Trudeau hier in Europa wie ein guter Typ...

Er sagt in etwa die richtigen Sachen über Frauen und Eingeborene in Kanada, versucht aber gleichzeitig, Pipelines durch indigenes Land zu bauen. Es frustriert mich, wenn er in der Welt so wahrgenommen wird, denn er geht auch Hand in Hand mit den Ölkonzernen und den Ölsanden in Alberta. Er ist ein glatter Politiker, der die Dinge so weiterlaufen lässt, wie sie sind und sie nicht verbessert.

"Ich möchte großartige Songs schreiben"

In dem Track "Letters To Young Anus" geht es um die Sinnlosigkeit, heute noch eine starke politische Meinung zu haben. Am Ende würden die Mächtigen eh die Kontrolle haben. Ist die Welt mittlerweile so geworden?

Es geht eher darum, was die Welt dir sagt. Sie sagt zum Beispiel "Da gibt es nichts!" und du glaubst es vielleicht. Aber letztendlich ist das nicht richtig. Du darfst nie aufhören, zu kämpfen. Aber wenn Songs geschrieben werden, muss es nicht unbedingt eine übergreifende Botschaft geben. Manchmal geht es nur darum, wie man sich gerade in dem Moment fühlt. Wenn jemand einen Lovesong schreibt und voller Liebeskummer ist, heißt das nicht, dass derjenige jeden Tag so rumläuft. Unsere Botschaft lautet immer, alles in der Macht stehende zu tun und weiterzumachen.

Fünf Jahre hat es für die neue Platte gebraucht. Werden es wieder fünf bis zur nächsten?

(Lacht) Ich hoffe, dass wir das schneller hinkriegen. Aber nachdem wir mit einem Album fertig sind und auf Tour waren, müssen wir wieder ganz neu anfangen und austüfteln, wie man neue Songs aufbaut, anstatt das Momentum von der letzten Platte mitnehmen zu können. Das macht uns irgendwie immer zu schaffen. Ich hoffe, das passiert nicht, aber für uns ist das schon wie ein Muster, das gesetzt ist. Ich möchte auch nicht einfach nur Songs schreiben, sondern großartige Songs, und ich bin nur eine durchschnittliche Person (lacht). Also muss ich das machen, was durchschnittliche Personen machen, um großartige Songs zu schreiben. Wir arbeiten hart und brauchen dafür länger.

Schreibt ihr während der Tour?

Nicht wirklich, dafür ist zu viel los. Ab und zu kritzelt man mal ein paar Worte hin, aber oft kommt man dann nach Hause, wo man nicht mehr in dieser Umgebung ist und fragt sich "Oh, warum habe ich das geschrieben?". Darum brauchen wir eine Weile. Aber wie gesagt, das ist dann etwas, worauf ich nach fünf Jahren stolz sein kann. Wenn das jedes halbe Jahr passieren würde, wäre es nicht so gut. Was wäre dann der Sinn dahinter?

Vielen Dank für das Gespräch!

Stay heavy!

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