laut.de-Biographie
Raz Ohara
Can't nobody hold him down. Raz Ohara, bürgerlich Patrick Rasmussen, ist das Genrefüllhorn par excellence. Krakengleich richtet er seine Fühler alle paar Augenblicke auf unerschlossene Horizonte. Seine Neugier funktioniert dem seegeschulten Dänen regelmäßig als Multiplikator seiner Stilblüten.
Seit 1994, als der gerade 18-jährige Raz in seiner neuen Heimat Berlin ankommt und eine Wohnung über einem Jazzclub bezieht, wären da in loser Reihenfolge: Teil einer Hip Hop-Crew sein, samplen, Beats basteln, singen, als The Nightline City Cruisers gemeinsam mit u.a. Musiker/Journalist/Übersetzer/Autor Robert Defcon Sets über Breakbeats, Soul und Elektro in Berliner Clubs improvisieren, als Singer/Songwriter den tragischen Tod seines seefahrenden Vaters verarbeiten, im Team mit den Technoproduzenten Alexander Kowalski und Apparat auf der Bühne des Berghain stehen oder gemeinsam mit Freund und Kollegen Oliver Doerell (The Odd Orchestra) minimalistische introvertierte Downtempo-Elektroakustika mit Stimme intonieren.
"Ich pflegte damals, die Straßen Berlins jeden Tag auf- und abzulaufen, gierig nach Sehenswürdigkeiten, Sensationen, Begegnungen mit anderen Menschen ... Erfahrungen ...", erinnert sich Ohara an seine Pionierzeit in der Hauptstadt. Er saugt die Eindrücke aus seiner Umwelt in sich auf, lässt sie in sich arbeiten, nimmt sie für seine Zwecke in Anspruch: Musik jenseits aller Genre-Zugehörigkeiten zu schaffen.
Ohara schreibt Songs wie Tracks auf der Gitarre, drückt sein Werk irgendwann gegen Ende des zweiten Jahrtausends dem Indie Kitty-Yo in die Hand, der das Debüt "Realtime Voyeur" umgehend der Öffentlichkeit preisbietet. Später erobert er mit The Nightline City Cruisers als Resident die Stage des Indieclubs Maria und jammt stundenlang Großartigkeiten zwischen Beat und Soulmusic zusammen. "Die Leute tanzten und tanzten. Wir rauchten und tranken bis in die frühen Morgenstunden. Ich war gerade Anfang zwanzig. This was my swinging Berlin."
Dann stirbt sein Vater in einer stürmischen Nacht auf dem Atlantik. Ein Frachtschiff-Kapitän, der den Sohn als Kind oft mitgenommen hatte aufs Meer. Dort, unbeobachtet von der Welt, hatte Ohara sich die Seele aus dem Leib gesungen. Freiheit verspürt. Der Tod bringt ihm wieder ins Gedächtnis, was ihn als Jugendlicher zur Musik geführt hat: "Ich nahm 17 einfach gestrickte Songs auf, Nahaufnahmen, die mein Gefühlsleben reflektierten." Kitty-Yo bringt auch "The Last Legend" unter die Leute. Die dazugehörigen Konzerte verlaufen allerdings weniger optimal.
"Mir fehlte jegliche Energie. Alle Menschen, zu denen ich eine wirkliche Bindung hatte, persönlich wie musikalisch, waren entweder dem Wahnsinn verfallen oder gestorben. Dieses Schicksal drohte mir auch, schien es. Ich wurde immer isolierter von der Außenwelt." Das Angebot einer Zusammenarbeit mit Techno-Producer Alexander Kowalski rettet ihn vor einer ausgewachsenen Depression.
Raz bekommt wieder Lust auf Club und Menschennähe: Live-Gigs, diverse Singles und eigene Dancetracks resultieren. Aber des Dänen Rastlosigkeit bleibt ungestillt. Er, der zuvor hilflos schon als Hybrid aus Prince und Nick Drake tituliert worden war, sucht weiter - ohne jedoch wirklich zu wissen wonach. Eine Begegnung mit dem bewunderten Experimental-/Elektronica-/Filmmusik-Komponisten Oliver Doerell führt zum nächsten Projekt.
Unter dem Signum Raz Ohara And The Odd Orchestra verschreibt sich das Duo der Ambition, aus Folk, reduziert pluckernder Elektronik und aufgeräumtem Gesang dem ewigen Thema Beziehungsende Neuwert beizusteuern. Als Label wählt man paradoxerweise die Tanzliga rund um Get Physical Music. Weshalb für die Zukunft zumindest eines als gesichert gelten kann: Es bleibt alles anders bei Patrick Rasmussen.
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