laut.de-Kritik

Polizeigewalt, Zusammenhalt, Klima, Plastikmüll - alles drin.

Review von

Richie Spice hat es spannend gemacht. Das für Mitte 2019 erwartete Album liegt vor, "Together We Stand". Er hat zum Glück die Kurve gekriegt und trotz textlicher Aktualität einen Bogen um alle 'zeitgeistigen' äußeren musikalischen Einflüsse gemacht. Alles klingt originär und organisch nach ihm, dem kraftvollen Sänger von "Earth A Run Red", "Loner", "Brown Skin", einem begabten Melodielieferanten mit Soul auf den Stimmbändern und mit Überzeugungen. Den roten Faden zieht er mit seiner Vokaltechnik: lang anhaltenden Gesangsbögen, unverwechselbarem Timbre, 'mellow notes' in den Harmonien. Überhaupt strotzt das Album, ungewohnt für eine Reggae-Scheibe, vor Melodie und richtet sich so nicht nur an strikte Raggamuffin-Kopfnicker.

Bob Marley-Fans dürften die I-Three-artigen warmen, prägnanten weiblichen Background Vocals gut tun, wie sie in "De Stress", "Beautiful Life (feat. Kathryn Aria)", "Together We Stand" und vor allem in "Unity We Need (feat. Chronixx)" den Weg durch den babylonischen Dschungel freischaufeln und geschundenen, gestressten Seelen zur viel gepriesenen 'Conciousness' verhelfen. Jenes besondere Bewusstsein des sogenannten 'Ovastanding' geht aber auch damit einher, dass sich das Album vermutlich besonders zur Begleitung von Inhalationsvorgängen eignet; jedenfalls wenn man es Spice gleich tut.

Mit seinem Slogan "put a little spice in your life" meinte er stets Gras, und so gibt es in der Mitte des Albums einen - bei aller Niceness - erwähnenswerten Durchhänger. "California", "I Use The Herbs" und das in Dauerschleife bouncende "Dabbin'" sind perfekte en passant-Beschallung, aber keine so wirklich essenziellen Hinhör-Tracks.

Angesichts der Materialfülle ist diese Verwurzelung in der Kifferkultur aber ein zweitrangiger Kritikpunkt, denn das gesamte Album zeichnet sich durch angenehmen Sound, seelenvolle Melodien und eine sinnige Dramaturgie aus. Schwächelnd wirkt einzig das schlagerschleimig mäandernde Stück "Mother Nature" über "nuclear pollution", Abholzung des Regenwaldes und vermüllte Strände – und darüber, dass der Planet und er, Spice, beste Freunde seien. Richies Abklatsch der klischeehaftesten Momente von Morgan Heritage und Jimmy Cliff springt einen hier beim Hören irgendwie an, obwohl der Tune seicht ist. Und wegen der Angesagtheit des Themas ist das Ganze trotz der Oberflächlichkeit auch legitim.

In einem Punkt überzeugt auch dieser Kitsch-Ausflug sehr: Der Jamaikaner nimmt es als einer von wenigen noch ernst, dass eine fette Bass Drum bei der Konstruktion guter Reggae-Musik schon die halbe Miete ist. Drum-Machines, wie in der Masse des Marktes, ersetzen keinen guten Schlagzeuger und kein echtes Drum Set, und so wummern hier zur Abwechslung alle Tracks so sehr, dass der Sound sogar im MP3 für helle Freude sorgt. (Die Tonträger sollen aufgrund der aktuellen Presswerk- und Liefer-Engpässe Mitte Juli nachgereicht werden.)

Aktuell sind schon der Albumtitel und der Songtext mit Chronixx - all die Botschaften von Zusammenhalt praktizierte Reggae aber immer, bereits vor Corona. Vieles wurzelt bei Richie Spice wieder in den christlichen Werten des Gospel und der Rastafari-Religion und schlägt sich in souligen Arrangements nieder. Mal singt er so herzergreifend wie Percy Sledge ("Beautiful Life (feat. Kathryn Aria)", "Eyes To See The World" ), dann covert er Curtis Mayfields "People Get Ready" mit neuem Text, auch wenn er – wie schon Bob Marley in "One Love" – Curtis in den Credits von "Together We Stand" gar nicht nennt. Dort stehen sieben (!) andere Namen. Kleingedrucktes ist verräterisch ... Es ist 'hypocrite', Zusammenhalt zu fordern und zugleich Curtis, dem Godfather aller Zusammenhalts-Musik, die Autorenwürde zu verweigern (auch wenn jene Soul-Koryphäe im Grab nichts von den Tantiemen hätte).

Dabei sprüht Spice sowieso vor eigenen Ideen. Lyrisch zeigt sich eine gute Mischung aus äußerst präzisen Analysen und Forderungen, dann aber auch mal lockeren Strecken. Etwa im "Di Dub Dance" reicht es Richie, ein paar Textrest-Versatzstücke abzuhaken und dann in eine richtig coole Dub-Strecke einzubiegen. Am Anfang des Albums stimmt er so mit etwas Ruhe perfekt auf den quirligen Rest ein. Ein süßes Bekenntnis zu seiner "Dabbing machine" in "Dabbin'" scheint etwas zum Thema Dub zu sagen. Doch nein, es geht um das Extrahieren des THC-Wirkstoffs aus der Marihuanapflanze.

Was sehr effektiv mitreißt, sind die Update-Fassung des eher unbekannten Max Romeo-Tracks "Johosaphatt The Lost Valley" (1975) als pfiffiges "Valley Of Jehoshaphat (Red Hot)" und das Ineinandergreifen von Spices Stimme mit den Gästen Kathryn Aria, Chronixx und Dre Island (Kumpel von Chronixx und Kabaka). Überhaupt punktet der ganze Track mit jenem Dre Island gewaltig, ein tanzbarer Song und zugleich einer über Polizeibrutalität. Und auch ein enorm berührendes Lied über Kinderarmut, "Eyes To See The World", geht sofort ins Ohr. Den Kindern widmet der Rastafari auch einen bezaubernd bassbrummenden, recht direkten Song, "Put This In The Schools".

Fazit: Ein Album wie aus einem Guss und doch mit zahlreichen Stimmen und thematischen Facetten ist das schon, ein mittelgroßer Wurf, gut anzuhören, in Teilen Maßstäbe setzend. Gerade "Eyes To See The World" und "Murderer (feat. Dre Island)" kehren die Rolle von Roots Reggae als Protestmusik phänomenal heraus. Die Produktion der Platte geschah auf höchstem Niveau und unter steter Berufung darauf, dass Reggae anfangs viel Soul reinterpetierte. Weswegen man dieses Album mal gehört haben sollte, wenn man Soul oder Reggae mag.

Trackliste

  1. 1. Blessings (The Album Intro)
  2. 2. Together We Stand
  3. 3. Di Dub Dance
  4. 4. Beautiful Life (feat. Kathryn Aria)
  5. 5. Eyes To See The World
  6. 6. Unity We Need (feat. Chronixx)
  7. 7. Valley Of Jehoshaphat (Red Hot)
  8. 8. California
  9. 9. I Use The Herbs
  10. 10. Dabbin'
  11. 11. Mother Nature
  12. 12. Murderer (feat. Dre Island)
  13. 13. There's A Way (Remix)
  14. 14. De Stress
  15. 15. Put This In The Schools

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