laut.de-Biographie
Rochelle Jordan
Manchmal will gut Ding Weile haben. Denn obwohl die Industrie eigentlich auf Anhieb verstanden hat, dass sie mit Rochelle Jordan ein Megatalent aufgetan hat, lief es erst überhaupt nicht. Man hört per Survivorship Bias eigentlich nur von den Artists, die es geschafft haben. Aber wie viele dumme Dinge im Limbo von Industrie und Labels schiefgehen können, das ahnt man zwar, aber kriegt es selten so sehr vor Augen geführt wie hier.
Doch bevor Rochelle Jordan fast ein mahnendes Beispiel dafür wird, wie Geld Seele aufisst, ist sie erst einmal ein kleines Mädchen zwischen und mit verdammt vielen Kulturen. Als britisches Kind jamaikanischer Eltern zieht sie jung nach Kanada und rekalibriert sich an diesem neuen Ort, an dem ihrer Aussage zufolge alle Jahreszeiten so intensiv ausfallen.
Ihre Eltern hören Marvin Gaye und Aretha Franklin und natürlich standesgemäß viel Vybez Cartell. Sie trägt ihre britischen Fandoms wie zu den Spice Girls noch eine Weile durch Nordamerika. Wenn sie in der Schule gefragt wird, was sie mal werden will, antwortet sie nur: Sängerin, Sängerin, Sängerin. Und hübsch, wenn sie schon dabei ist.
Dieser Plan wird in der Tat gehegt und gepflegt und auch umgesetzt. Wie so viele talentierte Kids verschlägt es sie nach Los Angeles, wo sie sich der Erfüllung ihrer Träume näher wähnt. Davor veröffentlicht sie 2011 mit "Rojo" eine erste EP, mit "Pressure" eine zweite EP und 2014 ein Debütalbum namens "1021". Letzteres nimmt sie in L.A. tatsächlich in ihrem Schlafzimmer auf. Der Titel des Albums bezieht sich auf ihren Geburtstag, es soll die Geburtstunde von etwas Neuem sein. Die Zeichen stehen an sich gut.
Doch dann? Für eine ewige Weile passiert überhaupt nichts. Sie ist nicht next up, sie bricht nicht durch oder lernt die eine wichtige nächste Person kennen. Schaut man ihre Künstlerprofile an, sieht man, dass erst 2021, in einer ganz anderen Welt und Zeit, ein Album passiert. Wie erklärt sich diese Lücke im Lebenslauf?
Jordan selbst erklärt an verschiedenen Stellen: Sie sei für kurze Zeit bei einem sehr viel größeren Label unter Vertrag gewesen. Leider eine toxische Erfahrung. Gesundheitliche Probleme kommen dazu: Ihr wird eine Sichelzellenanämie diagnostiziert - und ohne Kraft und ohne das Netzwerk ihrer Heimat fällt Jordan in eine schwere Depression.
Viele hätten an dieser Stelle aufgegeben, was absolut nicht falsch gewesen wäre. Auch für Jordan ist es ein sehr langer Weg. Doch 2021 schafft sie das Comeback beim Label von Tokimonsta, Young Art Records. Es trägt den Namen "Play With The Changes" und setzt sich mit den strapaziösen Jahren davor auseinander: Düsterer, tanzbarer R'n'B, der in die Zeit passt und man entdeckt ihr vielversprechendes Talent wieder.
Es braucht noch einmal drei athletische Jahre, um nachzulegen. Und "Through The Wall" ist vermutlich das Album, das sie schon immer hat gerne machen wollen. Es klingt versöhnlich, weniger klaustrophobisch und kaputt, nimmt aber trotzdem ihre Lebenserfahrung, alle Schwere und Leichtigkeit mit. Eine Stunde lang streift sie durch die verschiedensten Modi der Tanzmusik und des R'n'Bs - von Pitchfork bekommt sie dafür eine Best New Music-Wertung, Musiknerds sind absolut entzückt, bei diesem Genere eher selten der Fall. Es hat zwar über ein Jahrzehnt gedauert, aber Rochelle Jordan ist endlich da angekommen, wo sie hingehört.
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