laut.de-Kritik

Ein Deep House, der tatsächlich in die Tiefe geht.

Review von

2024 führte ein größerer queerer Club in Berlin folgende Diskussion: Der Laden müsse dicht machen, es laufe nicht mehr. Recht schnell wurden Stimmen aus der Community laut, dass es an den DJs liege. Diese spielten jeden Abend immer nur dieselben zehn Songs. Die Antwort einiger DJs: Man würde ja gerne wagemutigere Musik spielen, aber sobald auch nur ein Track von Britney- und Gaga-Pfaden abweichen würde, leere sich die Tanzfläche im Handumdrehen.

"Through The Wall" von der kanadisch-jamaikanisch-britischen Sängerin Rochelle Jordan könnte ein Antidot für eine Dance-Szene sein, der Nostalgie und Gimmicks zu Kopf gestiegen sind. Dieses Album liefert eine wunderschön elegante unterschwellige Tanzmusik. Ein Argument für Deep House, der tatsächlich in die Tiefe zielt. Von vorne bis hinten entfaltet sich eine anti-schranzige Stunde komplexer, wunderbar getimter und gepacter Dancejams, die wirklich wieder Lust auf Afterhour-Midtempo machen.

Dabei will ich gar nicht behaupten, dass das explosive, manische und überdrehte nicht auch gut sein kann. Im Gegenteil - oft ist es der Tod eines Dancefloors, wenn man zu stilvoll und geschmackvoll arbeiten möchte. "Through The Wall" gewinnt eben deswegen, weil es nicht den Kopf im Arsch hat. Es zeigt einen verdammt guten Geschmack, den es aber nicht demonstrativ flext, sondern schlicht gewinnbringend einsetzt. Das Gesamtprodukt wirkt nicht prätentiös, sondern einladend.

Was besonders auffällt: Obwohl die Farbpalette des Albums recht einheitlich bleibt (das Cover hält Wort), arbeitet dieses Album mit Songstrukturen. "Bite The Bait" hat zum Beispiel einen wunderschönen, komplexen und vielschichten Breakdown im Herz des Songs. "Words To Say" schlittert am Ende in einen Breakbeat, der die britischen Einflüsse noch mal richtig auf die Spitze treibt.

Aber auch bei Songs ohne besondere Bewegung wie "TTW" stimmt der Groove von Anfang bis Ende. Es sind nie diese lauten, einfachen Four to the Floor-Grooves. Aber lässt man sich einmal darauf ein, klappt der Zustieg eigentlich immer.

Abgesehen davon: Dieses Album meistert Textur. "Get It Off" dippt mit beiden Füßen in den G-Funk-Sound, ohne ein Fünkchen billig zu klingen. Der Glitter in "Words To Say" geht ebenfalls absolut spektakulär durch. "Sweet Sensation" baut mit einem coolen Zwischenspiel zwischen Staccato und Legato einen sehr heterogenen Beat auf, der viel Raum für den Refrain lässt. Ich weiß nicht, ob ich verrückt werde, aber er klingt in meinem Kopf extrem ähnlich zu "Blue Hour" von TXT, wahrscheinlich orientieren sich beide am selben Vorbild.

Aber das nur am Rande. Es hilft natürlich auch, dass neben den Hausproduzenten KLSH ein paar fantastische Zuarbeiter mit von der Partie sind. So steuert etwa Kaytranada einen Beat bei, aber auch House-Veteran Terry Hunter schaut vorbei.

Generell: Jordan macht auf diesem Album in gewisser Weise einen Punkt für den Link von House zu R'n'B. Natürlich sind das Genres, die irgendwo im großen Stammbaum der schwarzen Musikgeschichte mindestens Cousins ersten oder zweiten Grades sind. Aber die Einfachheit, mit der Jordans nie überschwänglichen Vocals in die tiefen House-Grooves hineinschlittern, hinterlassen doch den Eindruck, als wären diese beiden Sounds schon immer absolut selbstverständlich in direkter Nachbarschaft gelaufen.

Dass Jordan wirklich A-Tier-R'n'B-Vocals an den Start bringt, hilft natürlich ebenfalls. Ihre größte Qualität ist, wie wenig sie das Gefühl vermittelt, die Hörer:innen beeindrucken zu wollen. Jordan singt, als wäre sie selbst stundenlang tanzend in Trance, jegliche Fremdwahrnehmung perlt an ihr ab. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum dieses Album so einladend wirkt. All die "Renaissance"-Platten in Ehren, aber dieses Album umgibt eine introvertierte Aura, die kein Bedürfnis hat, dir etwas zu befehlen oder vorzuschreiben. Mach einfach dein Ding!

Ein seltsamer Gedanke noch zum Schluss: Erinnert sich jemand an "Honestly, Nevermind", dieses missverstandene House-Rap-R'n'B-Experiment, mit dem Drake vor ein paar Jahren auf die Nase gefallen ist? Wenn er clever ist, dann holt er sich Inspiration bei Rochelle Jordan. So dumm es klingen mag, die unterschwelligen Electronica-R'n'B-Sounds sind gar nicht so weit von einem "Take Care" entfernt. Dieses Album könnte man als Roadmap lesen, was geschehen wäre, wenn die Tagträume von "Honestly, Nevermind" tatsächlich wahr geworden wären.

Trackliste

  1. 1. Grace
  2. 2. Ladida
  3. 3. Sum
  4. 4. The Boy
  5. 5. Doing It Too
  6. 6. Never Enough
  7. 7. Words 2 Say
  8. 8. Bite The Bait
  9. 9. On 2 Something
  10. 10. TTW
  11. 11. Crave
  12. 12. Get It Off
  13. 13. Sweet Sensation
  14. 14. Eyes Shut
  15. 15. Close 2 Me
  16. 16. I'm Your Muse
  17. 17. Around

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